Mexiko vor dem WM-Achtelfinale gegen Holland:Zurück zum wahren Kaiser

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Rafael Márquez: Mit viel Erfahrung im Achtelfinale (Foto: REUTERS)

Mit Rafael Márquez ist eine ausgestorbene Gattung zurückgekehrt: Der Mexikaner ist einer wie Beckenbauer, der die weiten Pässe schlägt und in die Offensive geht. Bei seiner vierten WM will er heute die Niederlande bezwingen - dabei war seine Karriere schon der Frühpensionierung nahe.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Manchen Menschen steht die Traurigkeit, Rafael Márquez hatte man auch deshalb vermisst. Der Mexikaner trug schon in früheren Jahren diesen melancholischen Blick über die Fußballplätze der Welt, damals die schwarzen Haare im Nacken noch mit einem Gummi gebändigt. Übersteigert man das ein wenig, dann sieht es aus, als stecke dahinter die Verantwortung für eine Jahrtausende alte Kultur, die es auf dem Rasen der Neuzeit nie zu den ganz großen Momenten gebracht hat.

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Besonders nostalgisch und ernst schaut Mexikos Mannschaftskapitän und Abwehrchef immer dann, wenn er und die anderen die rechte Hand quer vor der Brust halten und die martialische Hymne schmettern. "Mexicanos al grito de guerra", Mexikaner zum Schrei des Krieges. Mexiko kann froh sein, dass er bei dieser WM wieder mitsingt.

Rafael Márquez Álvarez, geboren 1979 in der Stadt Zamora im heißen und umkämpften Bundesstaat Michoacán, war ja schon weg gewesen. Seine Karriere hatte ihn zu den Chivas in Guadalajara geführt, zu AS Monaco und dem FC Barcelona mit Ronaldinho, Deco, Messi. Er wurde einer der besten und teuersten Verteidiger, unterschrieb sagenhafte Verträge, gewann mit Barça sämtliche Trophäen.

Doch nach der WM 2010 in Südafrika ging das stille Idol zu den New York Red Bulls in die US-Profiliga, das schien nach drei Weltmeisterschaften auch sein Ende im Dienste von La patria zu sein, dem Vaterland. Auch die Heimkehr 2012 zum wohlhabenden Provinzklub FC León galt dann nur als weiterer Schritt Richtung Frühpensionierung, sein Marktwert wurde zuletzt nur noch mit einer Million Euro angegeben.

Aber dann spielte Rafa Márquez in Mexikos populärer Liga wieder groß auf, und der neue Auswahltrainer Miguel Herrera holte ihn zurück. Mit ihm in der Defensive gewann die "Tri", wie sie wegen ihrer drei Farben in der Fahne genannt wird, nach schwacher Qualifikationsrunde die Entscheidungsduelle gegen Neuseeland. Beim ersten Match im vollen Aztekenstadion von Mexiko-Stadt trug Márquez gleich wieder die Binde und schoss ein Tor. Jetzt führt der Mann mit der Nummer 4 die Mexikaner auch durch diese WM in Brasilien, am Sonntag im Achtelfinale gegen die Niederlande. Er sagt: "Es ist wie meine erste WM, so fühle ich mich, und so spiele ich."

Seine erstes von 126 Länderspielen ereignete sich jedoch bereits im Februar 1997 gegen Ecuador, vor 17 Jahren, damals unter dem Coach Bora Milutinovic. Da waren die meisten seiner heutigen Kollegen und Rivalen noch Kinder, und es regierte noch ohne Pause die ewige Revolutionspartei PRI, die dann nach zwölf Jahren Unterbrechung 2012 ihr präsidiales Comeback geschafft hat. So vergeht die Zeit. Seine erste WM bestritt der heutige Veteran 2002 in Japan und Südkorea, schon bei jener Premiere als Spielführer. Nun ist er zum vierten Mal der mexikanische Kapitän bei einer Weltmeisterschaft, was kein anderer geschafft hat.

"Der letzte Mohikaner", schreibt der Schriftsteller Juan Villoro und hält es für besser, wie ein Mohikaner aufzutreten als wie andere nur so auszusehen. Márquez' Frisur kommt im Vergleich zu den Schnittmustern diverser Zeitgenossen auch eher konservativ daher. "Wenn die Haare wichtig wären, dann wären sie innerhalb des Kopfes", erläuterte mal Villoros Autorenfreund Eduardo Galeano.

Mit Rafa Márquez ist es, als sei da eine ausgestorbene Gattung zurückgekehrt. Einer wie Franz Beckenbauer und Paolo Maldini, der die weiten Pässe schlägt und in die Offensive geht und nicht nach einem sturen System des Strategen auf der Bank nur als Manndecker in einer Viererkette mitschwingt. "Während sich andere mit Protzerei aus dem Friseurladen sichtbar machen, beweist der letzte Mohikaner unseres Fußballs, dass der Libero noch existiert", findet der Dichter Villoro.

Ein bedeutender Teil der 120 Millionen Mexikaner sah zu, als mit Márquez in Natal Kamerun 1:0 besiegt, in Fortaleza gegen Brasilien dank des Torwarts Guillermo Ochoa ein 0:0 erstritten und schließlich in Recife Kroatien 3:1 bezwungen wurde. Gegen die Kroaten köpfelte Márquez den Führungstreffer. Das dritte Tor von Javier Hernández alias Chicharito aus Manchester bereitete er vor und wurde anschließend völlig zu Recht zum "Man of the match" gewählt, nachdem er zwischendurch fast vom Platz gestellt worden wäre.

2002 hatte Márquez dem Amerikaner Cobi Jones einen Kopfstoß versetzt, Mexiko verlor das Achtelfinale 0:2 gegen die USA; 2006 unterlag man trotz seines 1:0 den Argentiniern, 2010 war wieder im Achtelfinale gegen Argentinien Schluss. Diesmal will Márquez bei seiner voraussichtlich letzten Gelegenheit "Geschichte machen", zunächst in Fortaleza gegen die Niederlande. Mexiko verneigt sich, nachdem man wegen eines abenteuerlichen Fouls bei der Copa Libertadores an seiner Eignung für höchste Aufgaben gezweifelt hatte. "Zum Glück haben wir uns geirrt und müssen den wahren Kaiser anerkennen", schwärmt ein Leser der Zeitung Reforma in einem Brief: "Gut gemacht, Señor capitán Rafa Márquez!"

© SZ vom 28.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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