Springreiterin Mathilda Karlsson:Mit dem Kinderausweis nach Tokio

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  • Die schwedisch-sri-lankische Springreiterin Mathilda Karlsson, 35, hat offensichtlich Schlupflöcher entdeckt - und sich einen Platz bei Olympia erritten.
  • Es sieht aus, als habe die Nummer 283 der Weltrangliste keine Regeln verletzt.
  • Die Chefin des Springreiterclubs spricht von einer "unerfreulichen Situation".

Von Gabriele Pochhammer

Das Paar zieht die Blicke auf sich, kein Zweifel: der große schwarze Hengst Chopin, kraftvolle Eleganz und ein Ausnahmetalent im Parcours, und seine filigrane Reiterin Mathilda Karlsson, die ihn anscheinend mühelos über die Hindernisse steuert. Die 35-Jährige, geboren in Sri Lanka, aufgewachsen bei Adoptiveltern in Schweden, seit 16 Jahren auf dem Grönwohldhof nahe Hamburg zu Hause, ist unterwegs in Richtung Tokio zu den Olympischen Spielen. Karlsson hat einen der 15 Plätze ergattert, die die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) für Einzelreiter aus Nationen vorsieht, die kein Dreierteam nach Japan schicken können. "Reiten ist mein Beruf", sagt sie, und die Krönung dieses Berufslebens wäre natürlich der Olympiastart.

Seit 2018 reitet Karlsson wieder für ihr Geburtsland Sri Lanka, neben dem schwedischen Pass hatte sie den Kinderausweis aus ihrem Herkunftsland stets behalten. "Die haben mich mit offenen Armen aufgenommen", sagt sie. Kein Wunder, es gibt dort keine olympiaverdächtigen Reiter, die verlorene Tochter war sehr willkommen.

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Auf den schleswig-holsteinischen Turnieren ist Karlsson seit vielen Jahren bekannt. Nicht jeder, der ihre ersten Versuche in kleinen Springen sah, hätte ihr eine olympische Zukunft prophezeit. Wer was werden will im Springsport, braucht Klassepferde. Wer nicht aus einem reichen Elternhaus kommt, braucht Sponsoren. Den ersten fand Karlsson in dem Inhaber einer Bäckereikette, nebenbei ein erfolgreicher Züchter Holsteiner Pferde. Auf dem Grönwohldhof, wo Karlsson mit ihren 20 Springpferden inzwischen zwei Stallgassen belegt, wurde Chopin geboren. Sie mochte ihn von seinem ersten Lebenstag an. "Es hat ihn nie ein anderer Reiter geritten", sagt sie: "Er kennt nur mich." Chopin habe schon als Fohlen das gewisse Etwas gehabt, das ihn von anderen Pferden unterscheidet, sagt sie.

Die Chefin des Springreiterclubs spricht von einer "unerfreulichen Situation"

Als weitere Sponsoren nennt sie zwei Hamburger Immobilienfirmen. Eines der Vorstandsmitglieder kaufte nicht nur Anteile an Chopin und sicherte ihn damit für Mathilda Karlsson, er finanziert auch das Team "Hamburg Giants" in der Global Champions League, das der Reiterin Auftritte auf großen Plätzen ermöglicht. So konnte sie beweisen, dass sie auch in Weltklassegesellschaft schwere Kurse mit Anstand bewältigen kann. Mehr als zwei Millionen Euro müssen pro Team jährlich hingeblättert werden; Kritiker des Modells sprechen von gekauften Startplätzen.

Wie es die Nummer 283 der Weltrangliste und zwei andere Reiter geschafft haben, einen der umkämpften Tokio-Plätze zu bekommen, beschäftigte derzeit die Szene, die FEI ebenso wie den Internationalen Springreiterclub (IJRC). Buchstäblich auf den letzten Metern vor dem Schlusstermin am 31. Dezember, haben Karlsson, der Jordanier Ibrahim Bisharat und der Syrer Ahmad Hamcho die entscheidenden Punkte für Tokio gesammelt. Weder die Reiter noch die Veranstalter der Turniere, so sieht es aus, haben Regeln verletzt. Termine und Ausschreibungen wurden von der FEI abgesegnet, auch Änderungen noch nach Nennungsschluss. "Aber da wusste einer ganz genau, wie es geht", sagt ein hoher FEI-Funktionär. Jedenfalls hat sich jemand die Mühe gemacht, das Regelgestrüpp der FEI-Ranglisten zu durchforsten und ein paar Schlupflöcher entdeckt.

Es geht um eine Reihe von Turnieren in Villeneuve-Loubet an der Côte d'Azur und in Damaskus, die offensichtlich dazu gedacht waren, bestimmten Reitern eine Olympia-Qualifikation zu verschaffen, indem erst gar keine starke Konkurrenz eingeladen wurde, stattdessen Nationen, die keinen Reiter unter den ersten 1000 der Weltrangliste haben. Ob dabei Geld geflossen ist, untersucht derzeit die FEI; es wird allerdings schwer nachzuweisen sein.

In Villeneuve-Loubet, wo Karlsson neun ihrer olympiarelevanten Ergebnisse erzielte (die 15 besten Resultate übers Jahr 2019 werden gewertet), starteten in einigen Prüfungen, darunter einem sogenannten Großen Preis, nur fünf Reiter. In Damaskus wurden zwischen Oktober und Ende Dezember nicht weniger als neun Veranstaltungen durchgeführt. Es waren 80 syrische Teilnehmer eingeladen, so viele internationale Reiter gibt's in Syrien gar nicht - für Reiter aus anderen Nationen ist das Land zurzeit nicht gerade ein Hotspot, wo man mit seinem Pferd hin muss. So waren im Schnitt nur etwa zehn Reiter mit zwei bis drei Pferden am Start. Dort erritten der Jordanier Bisharat 13 und der Syrer Hamcho sieben ihrer 15 Ergebnisse für Tokio.

Mehrere Springreiter, die sich durch das Verteilungssystem der Olympia-Plätze benachteiligt fühlen, haben den International Jumping Riders Club (IJRC) eingeschaltet. Dessen Direktorin Eleonore Ottaviani spricht von einer "unerfreulichen Situation" und hat die FEI aufgefordert einzugreifen, um Fair Play zu gewährleisten. Der Weltverband versichert, er prüfe die Sache. Endgültig gibt er die 15 Einzelreiter, die neben 60 Reitern aus 20 Teams antreten dürfen, am 17. Februar bekannt, bis dahin können Teams noch zurückziehen und stattdessen einen Einzelplatz einfordern. "Ich sehe das ganz entspannt", sagt Mathilda Karlsson. Aber aufatmen kann sie noch nicht.

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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