Didier Deschamps ist kein Mann, der sich Illusionen macht. Augenwischerei ist ihm ebenso zuwider wie das Schönreden von Krisen. Wenn Deschamps gestresst ist oder genervt - und das ist er in letzter Zeit öfter als zunehmend angefeindeter Trainer von Olympique Marseille -, dann kann man ihm das von seinem Gesicht ablesen.
Es ist ein Gesicht wie aus einem Asterix-Comic, knautschig, knarzig, kauzig. Mit diesem Gesicht hätte der Baske Deschamps, der aus Bayonne im äußersten Südwesten Frankreichs stammt, Fischer werden können, Schnapsbrenner oder Schinkenfabrikant - Berufe, die in seiner Heimat angesehen und verbreitet sind. Die beliebteste Sportart dort ist Rugby, auch das Ruppige, Schnörkellose dieses Ballsports hätte zu Deschamps gepasst. Er probierte es kurz, fand dann jedoch Fußball besser.
Deschamps wurde Profi, er wurde Nationalspieler und als Kapitän Welt- und Europameister. Er wurde im Schatten des alles überragenden, genialen Zinédine Zidane immerhin einer der besten Mittelfeldspieler der Welt. "DD" galt nie als Verkörperung fußballerischer Eleganz, aber er bewies, dass man es mit Willensstärke und Fleiß ganz nach oben schaffen kann.
Während Zizou auf dem Platz ausflippte, lieferte sich Deschamps Boxkämpfe lieber hinter den Kulissen - überliefert ist bei Juventus Turin ein legendäres Match des Spielers mit seinem damaligen Trainer Marcello Lippi. Der Rugby-gestählte Deschamps gewann, angeblich.
Mit noch nicht 33 Jahren beendete er seine Profikarriere. Jetzt ist er 43 und sagt: "Trainer ist ein harter Job. Du kannst jederzeit entlassen werden." Seiner Entlassung ist Deschamps schon mehrfach zuvorgekommen, indem er selber ging: beim AS Monaco, bei Juventus Turin. Im Fürstentum trat er ab, weil er dauernd verlor. In Turin hatte er gewonnen und Juve nach der Zwangsrelegation 2006 sofort wieder in die erste Liga geführt. Der Rücktritt damals sei ein Fehler gewesen, sagt Deschamps heute - da ein neuer Abschied in der Luft liegt.
Es ist in Marseille wie damals mit Monaco, und es ist ein bisschen wie mit Juventus: Der knorrige Deschamps tritt an in Klubs, auf die kaum jemand einen Cent wetten würde. Er hat ein begrenztes Budget und er hat ehrgeizige Ziele, die er zunächst auch erreicht. 2004 war Monaco die große Überraschung der Champions League, warf Real Madrid und Chelsea aus dem Wettbewerb und unterlag erst im Finale dem FC Porto von José Mourinho. In dieser Saison trainiert Deschamps wieder eine Überraschung. Dass Olympique Marseille so weit kommen würde, hätte er vermutlich noch nicht einmal selbst geglaubt.
Nun aber steht OM im Viertelfinale der Champions League, weil die Mannschaft gespielt hat, wie Deschamps es in einem seiner Lieblingssätze beschreibt: "On a gagné à l'ancienne." Wir haben auf altbewährte Weise gewonnen. Auf Französisch hört sich das immer noch fast elegant an, auf dem Platz ist es zum Wegschauen. Mit "à l'ancienne" ist eine Art Juventus-Effizienzfußball der frühen 90er Jahre gemeint, französisch abgeschmeckt kommt das allerdings so schwerfällig daher wie fette Sahnesauce im Vergleich zu würziger Piemonteser Öltunke.
Außenseiter in der Champions League:Als Malmö FF nach München reiste
Am Dienstag trat Real Madrid im Champions-League-Viertelfinale bei Apoel Nikosia an - und löste die Aufgabe einigermaßen souverän. Doch es gab auch Außenseiter, die weit kamen - etwa der schwedische Klub Malmö FF, der in München sogar im Europapokalfinale stand. Ein Streifzug durch die Außenseiter-Geschichten in der Champions League.
Olympique Marseille war zuletzt eine beinharte und weitgehend phantasielose Mischung aus Mauern und Kontern, ein Team, das sein Talent konsequent versteckt und dessen bester Mann meistens der am Mittwoch gehen den FC Bayern gesperrte Torwart Steve Mandanda ist. Dass die Südfranzosen es in dieser Saison international so weit gebracht haben, liegt überwiegend an Gegnern, die ihnen noch weniger entgegen zu setzen hatten als zuletzt Inter Mailand.
Außenseiter in der Champions League:Als Malmö FF nach München reiste
Am Dienstag trat Real Madrid im Champions-League-Viertelfinale bei Apoel Nikosia an - und löste die Aufgabe einigermaßen souverän. Doch es gab auch Außenseiter, die weit kamen - etwa der schwedische Klub Malmö FF, der in München sogar im Europapokalfinale stand. Ein Streifzug durch die Außenseiter-Geschichten in der Champions League.
Jetzt geht es also gegen die Münchner, und dass Deschamps auf zweckoptimistische Floskeln verzichtet, entspricht seinem Charakter. Noch mehr aber entspricht es der Situation. Olympique krebst in der Liga auf Platz neun herum nach zuletzt fünf Niederlagen, im Pokal patzten die Südfranzosen gar gegen den Drittligisten Quevilly, ein 20 000-Einwohner-Nest im Département Seine-Maritime. Am Samstag gab es beim Regionalderby in Nizza wenigstens ein Remis. "Besser ging's nicht", kommentierte Deschamps. Das 1:1 sei "wenigstens ein Pflaster auf die Blutung". Ob's hält? "Ein Punkt in sechs Begegnungen, was soll ich dazu sagen? Um hoffen zu dürfen, braucht man Punkte."
Noch verteidigt die Klubführung den Trainer, der mit OM die Meisterschaft und zweimal den Pokal gewann und dessen Vertrag erst 2014 ausläuft; doch die Fans haben Deschamps schon abgeschrieben. In Nizza boykottierten die organisierten Gruppen das Spiel aus Protest gegen den Coach. Deschamps konterte cool: "Es war besser, dass unsere Leute zu Hause geblieben sind. Als ich das Polizeiaufgebot vor unserem Hotel gesehen habe, glaubte ich an Halluzinationen."
An München hat Deschamps die besten Erinnerungen, 1993 gewann er hier als Spieler mit Marseille den Landesmeister-Pokal. Jetzt schwant ihm, dass die Mannschaft wohl nicht zurückkehren wird zum Finale. Trainer wie er sind daran gewöhnt, mit viel Einsatz und Disziplin aus dem Nichts eine Mannschaft zu schaffen - und dann zuzusehen, wie sie wieder zerbröselt.
Weil es an jenen Dingen fehlt, die man braucht, um auch oben zu bleiben - Selbstbewusstsein, Gelassenheit, Kreativität. Das Viertelfinale könnte Deschamps' letzte Station mit Marseille sein, wenn man ihm nicht zutraut, auch einmal eine Krise zu bewältigen, die er selbst verursacht hat.
Sein letzter Champions-League-Gegner Claudio Ranieri empfahl ihn kürzlich nach Italien. Er könne sich Deschamps sehr gut als Trainer eines großen italienischen Klubs vorstellen, sagte Ranieri - bevor Inter Mailand gegen Marseille unterlag. "Er versteht unseren Fußball. Er denkt italienisch." Ranieri wollte dem Kollegen vermutlich ein Kompliment machen, tatsächlich gilt Deschamps nach Ranieris Rauswurf am Montag als Kandidat für Inter Mailand. Aufbauarbeit, wie üblich.
Wenn er italienisch spricht - und er spricht es perfekt -, dann weicht das Nussknackerhafte aus Deschamps Gesicht. Der Kauz wird witzig, ja charmant. Seinen früheren Teamgefährten Alessandro Del Piero, der erst Weltmeister wurde und dann unter Deschamps in der B-Liga spielte, würde er gern nach Marseille holen, hat Deschamps kürzlich gesagt. Daraus wird wohl nichts werden. Es sei denn, Deschamps überrascht in München alle Welt.