Mario Theissen:"Wir werden auch feiern"

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Das Gefühl beim ersten Sieg, Robert Kubicas schrecklicher Unfall, der Ausstiegs-Schock: BMW-Motorsportchef Mario Theissen über zehn Jahre Formel 1.

René Hofmann

Mit dem Großen Preis von Abu Dhabi an diesem Sonntag endet das Formel-1-Engagement von BMW. Von 2000 bis 2005 trat die Firma als Motorenlieferant des Williams-Teams an, ab 2006 engagierte sie sich mit dem eigenen Rennstall BMW-Sauber. Insgesamt glückten elf Siege. 2002 und 2003 wurde Juan Pablo Montoya WM-Dritter. Das Ziel, den Fahrertitel zu gewinnen, verfehlte die Marke jedoch. Mario Theissen, 57, stand dem Projekt als Motorsportchef vor. "Wir haben viele Gründe, stolz zu sein", sagt er im Rückblick.

Abschiedsfoto: Mario Theissen und das BMW-Team beim Grand Prix in Abu Dhabi. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Theissen, wo waren Sie, als BMW 1997 den Formel-1-Einstieg bekannt gab?

Mario Theissen: Ich weiß noch, dass das im September war, auf der Automobilausstellung in Frankfurt. Aber wo ich damals gewesen bin - keine Ahnung!

SZ: Wie kamen Sie zu dem Projekt?

Theissen: Ich war damals verantwortlich für die Innovations-Zentren von BMW. Mit Motorsport hatte ich nichts zu tun, aber dass er mich interessierte, war bekannt. Im März 1999 hat man mich gefragt, ob ich neben Gerhard Berger Sportdirektor werden wolle. Ich habe zunächst abgelehnt. Solche Doppelspitzen gehen in neun von zehn Fällen schief. Ein Treffen mit Gerhard hat mich umgestimmt. Am 1. April 1999 ging es los.

SZ: Wie ist das - als Quereinsteiger in die Formel 1 zu kommen?

Theissen: Entscheidend war, dass ich Gerhard Berger drei Jahre lang neben mir hatte. Von ihm habe ich viel gelernt. Zum Beispiel was die Öffentlichkeitsarbeit betrifft. Da habe ich erst einmal nur zugeschaut. Was die Arbeitsweise angeht, war ich dagegen überrascht: Von außen hat man oft den Eindruck, in der Formel 1 wird von heute auf morgen gearbeitet. Das ist aber überhaupt nicht so. Das Vorgehen gleicht dem bei der Entwicklung von Serienfahrzeugen. Es geht nur alles sehr viel schneller.

SZ: BMW begann als Motorenlieferant von Williams. War das ein Fehler?

Theissen: Überhaupt nicht. Nach dem ersten Formel-1-Engagement, das 1987 endete, gab es im Unternehmen um Paul Rosche weiter eine kleine Gruppe, die sich mit Formel-1-Motoren befasste. Darüber, wie man ein ganzes Auto baut, hat sich aber nie jemand Gedanken gemacht. Mit einem etablierten Team war deshalb schneller auf Touren zu kommen, was der Vergleich mit Toyota zeigt: Deren Projekt, ein komplettes Formel-1-Auto zu entwickeln, dauerte viel länger.

SZ: Die Partnerschaft mit Williams begann vielversprechend.

Theissen: 2000 war unser Lernjahr. Aber schon 2001 hatten wir den stärksten Motor im Feld. Das Rennen in Imola, in dem Ralf Schumacher der erste Sieg glückte, war ein Highlight. Damals waren wir davon überzeugt, gemeinsam auf dem richtigen Weg zu sein. Wir hatten das Gefühl: Das ist der Durchbruch!

SZ: Ab wann lief es auseinander?

Theissen: Ende 2001 haben wir uns mit Frank Williams und Patrik Head von Williams zum ersten Mal zusammengesetzt. Wir haben diskutiert: Was müssen wir tun, um ganz nach vorne zu kommen? Diese Diskussionen gab es danach immer wieder. Den einen Knackpunkt, den gab es nicht. Es war ein Erkenntnisprozess. Uns wurde klar, dass der ungemein starke Motor, den wir 2001, 2002 und 2003 hatten, alleine nicht den Titel bringen konnte. Die Dominanz, die Ferrari damals hatte, zeigte: Das ganze Projekt musste enger vernetzt sein.

SZ: Wann fiel die Entscheidung: Wir machen Schluss mit Williams?

Theissen: 2003 hatten wir uns nach einem schlechten Saisonstart stark gesteigert und konnten bis zum Ende um den Titel kämpfen. Den haben wir knapp verpasst. Als 2004 mit den gleichen Problemen begann, war klar: Wir müssen etwas ändern. Beschlossen wurde die Trennung im ersten Halbjahr 2005.

SZ: Das heißt, als Peter Sauber Ende 2004 mit dem Anliegen kam, BMW-Motoren beziehen zu wollen, gab es die Gedankenspiele schon, seinen Rennstall in Hinwil bei Zürich zu übernehmen?

Theissen: Als wir das erste Mal gesprochen haben, ging es nur um Motoren.

SZ: Und als Sie zum ersten Mal in Hinwil waren?

Theissen: Das war im Frühjahr 2005. Da ging es in der Tat schon um mehr.

SZ: Sie haben erst verhandelt und sich dann die Fabrik angesehen?

Theissen: Ja. Was Sauber darstellt, war bekannt. Dafür musste ich nicht durch die Hallen gehen.

SZ: An einem Formel-1-Auto arbeiten mehr als 500 Menschen. Bewegt wird es aber letztlich von einem. Wie speziell ist das Verhältnis Sportchef - Fahrer?

Theissen: Sehr speziell. Und bei jedem anders. Formel-1-Fahrer sind Individualisten, es sind Extremkönner, die ganz bestimmte Voraussetzungen brauchen, um ihre volle Leistung zu entfalten.

SZ: Sie haben mit Ralf Schumacher gearbeitet, mit Nick Heidfeld, Timo Glock, Sebastian Vettel und Robert Kubica. Wer war denn am pflegeleichtesten?

Der Unfall von Robert Kubica im Juni 2007. (Foto: Foto: AFP)

Theissen: Ich will da nicht differenzieren. Die Ausgangslagen waren ja auch unterschiedlich. Einer, der frisch in die Formel 1 kommt, ist immer glücklich. Man muss sich einfach aufeinander einstellen - beidseitig. Auch der Fahrer muss verstehen, dass er eine Führungsrolle spielt, und dass er nur Erfolg haben kann, wenn er das Team hinter sich bringt.

SZ: Hält man so eine Beziehung bewusst nüchtern?

Theissen: Im Gegenteil. Die Beziehung zu den Piloten ist immer eine ganz persönliche. Man arbeitet eng zusammen, hat anspruchsvolle Ziele und geht zusammen durch alle Emotions-Wellen.

SZ: 2007 hatte Robert Kubica in Montréal einen sehr schweren Unfall. War das Ihr schwierigster Formel-1-Moment?

Theissen: Ja, eindeutig. Unmittelbar nach dem Crash wussten wir am Kommandostand nicht, wie es Robert ging. Wir sahen nur das Fernsehbild. Nach unserem Gefühl hat es extrem lange gedauert, bis er aus dem Wrack geborgen war. Aber das war ein falsches Empfinden. Die Unfallanalyse hat ergeben, dass die Retter tatsächlich sehr schnell waren. Ich bin dann ins Streckenhospital, aber Robert war direkt weiterverlegt worden. Erst nach dem Rennen bekamen wir Informationen, die uns aufatmen ließen. Als ich kurz darauf ins Krankenhaus kam, fragte Robert mich gleich, ob er beim nächsten Rennen fahren könne. In so einem Moment staunt man schon, wie so etwas möglich ist. Am Abend habe ich Max Mosley, dem damaligen Präsidenten des Automobilweltverbandes, eine SMS geschrieben, in der ich mich für alles bedankt habe, was er für die Sicherheit getan hat. Der Unfall war der schlimmste, an den ich mich überhaupt erinnern kann.

SZ: Ihre Beziehung zum Motorsport gilt als innig. Sie stammen aus Monschau in der Eifel. Von dort ist es nicht weit zur Rennstrecke in Spa. Es gibt Fotos, die Sie als Kind im Fahrerlager zeigen - in kurzen Hosen, als Autogrammjäger.

Theissen: Seit ich denken kann, habe ich mich für Autos interessiert. Phasenweise, als Kind, auch nur für Autos. Und die Krönung dieses Interesses waren Rennen mit Autos. Diese Kombination fand ich faszinierend.

SZ: Ende Juli hat BMW verkündet, 2010 keine Autos mehr in Formel-1-Rennen zu schicken. Wie war das für Sie?

Theissen: Der Moment der Verkündung war für mich nicht der entscheidende. Wichtig war die Zeit vor der Sitzung, auf der das Thema anstand. Ich wollte sicher gehen, dass der Vorstand alle Aspekte kannte, die es aus der Perspektive des Motorsports dazu gab. Mir war klar, dass eine Entscheidung anstand, denn ein neues Concorde Agreement lag fertig vor.

SZ: Mit einem Ja zu dem Grundlagenvertrag hätte BMW sich verpflichtet, bis 2012 in der Formel zu bleiben.

Theissen: Der Vorstand hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Nachdem das Thema durchgesprochen worden war, nahm er sich noch einmal eine Woche Zeit. Aus der Sicht des Motorsportlers ist der Formel-1-Rückzug enttäuschend, aber ich kann ihn nachvollziehen. Das Unternehmen hat sich entschieden, die Strategie zu ändern und andere Prioritäten zu setzen.

SZ: "Der Motorsport hat die Entwicklung der Automobiltechnik beschleunigt. Die Auseinandersetzung mit der Technik bringt Begeisterung und Fortschritt mit sich. Motorsport ist ein Element, das die Kultur im Unternehmen, die Denk- und Arbeitsweise immer befruchtet hat": Das stammt aus einem Vortrag von Ihnen. Seit wann gilt das für BMW nicht mehr?

Theissen: Das gilt weiterhin. Der Formel-1-Ausstieg ist keine Entscheidung gegen den Motorsport generell. Aber wenn sich die Ausrichtung eines Unternehmens ändert, werden auch die Ressourcen neu verteilt. Die Formel 1 hat davon einfach enorm viele verschlungen. Wir werden jetzt ein neues Motorsportprogramm kleineren Zuschnitts machen.

SZ: Unternehmen geht es um Glaubwürdigkeit. Für wie glaubwürdig halten Sie eine Firma, die bis zum 31. Juli die Formel 1 toll findet und quasi am nächsten Tag Joschka Fischer als Berater holt?

Theissen: Das sieht vielleicht nach einer 180-Grad-Wende aus. De facto ist es das aber nicht. Die Neuausrichtung eines Unternehmens passiert nicht über Nacht, das ist ein komplexer Prozess. An manchen Punkten ballen sich nur einfach Entscheidungen. Die Entscheidung, aus der Formel 1 zu gehen, wurde Ende Juli getroffen, weil sie dann anstand.

SZ: Was wird aus den Mitarbeitern, die bisher Formel-1-Motoren bauten?

Theissen: Sie werden vollständig in die Entwicklung von Serienautos integriert. Parallel tun wir alles, damit das Team in Hinwil weiterbestehen kann.

SZ: Für die einstige Sauber-Fabrik gibt es einen Kaufinteressenten: die Investorengruppe Qadbak. Weil niemand weiß, wer das eigentlich ist, gab es viele negative Schlagzeilen. Wie kam es zu der Entscheidung für Qadbak?

Theissen: Nach der Rückzugsankündigung haben sich Kaufinteressenten für das Team bei uns gemeldet. Es gab dann einen intensiven Informationsaustausch, der BMW ermöglicht hat einzuschätzen, wie seriös und wie stark die Interessenten sind. Mit einem kleinen Kreis gab es Verhandlungen. Die mündeten in den Vertrag mit Qadbak.

SZ: War es nicht dumm, dass Concorde Agreement nicht zu unterschreiben? So ging der Startplatz verloren, der einen großen Teil des Team-Wertes ausmacht. Ohne Starterlaubnis kann Qadbak vom Kaufvertrag zurücktreten.

Theissen: In der jetzigen Situation, in der wir das Team gerne weitergeben wollen, ist der Startplatz in der Tat ein entscheidendes Kriterium. Im Juli stand aber noch nicht fest, ob das Team verkauft wird. Damals hat der Vorstand gesagt: Wir wollen und können nicht einen Formel-1-Vertrag über drei Jahre unterschreiben, wenn wir nicht die Absicht haben, dort drei Jahre lang anzutreten.

SZ: Was werden Sie künftig tun? Bleiben Sie bei BMW oder in der Formel 1?

Theissen: Vor Saisonende will ich darüber nicht reden.

SZ: Das letzte Formel-1-Rennen. Ist das ein Grund zum Feiern?

Theissen: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren viel erreicht und viele Gründe, stolz zu sein. Wir werden den Abschluss auch feiern, aber nicht am Sonntag an der Rennstrecke. Dort ist ja immer nur ein kleiner Teil des Teams.

© SZ vom 31.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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