Marco Odermatt:Ein Schwergewichtler im Mittelgewicht

Lesezeit: 3 min

Sogar noch Kraft für eine Showeinlage: Marco Odermatt rutscht nach seinem Sieg im Riesenslalom in Adelboden auf der Werbebande. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Der Schweizer Marco Odermatt zieht im alpinen Weltcup von Sieg zu Sieg - die Gegner reagieren mit einer Mischung aus Bewunderung und Ratlosigkeit.

Von Philipp Rindlisbacher, Adelboden

Zumindest etwas bereitete ihm dann doch noch Mühe. Marco Odermatt gab im Zielraum von Adelboden ein Interview auf Französisch; er ließ sein jüngstes Husarenstück im Riesenslalom im Berner Oberland Revue passieren, mit dem ihm eigenen Akzent aus dem Kanton Nidwalden und immer wieder mal auf der Suche nach der passenden Formulierung. Hatte auf der Piste auf dem Chuenisbärgli, einem der schwersten Riesenslalomhänge des Weltcups, gerade noch jeder Schwung gesessen, so fand er nun nicht auf Anhieb jedes Wort. Wie beruhigend: Selbst einem Marco Odermatt fließt nicht alles spielerisch von der Hand.

Wobei es im Riesenslalom schlichtweg nicht besser geht, als es der 26-Jährige derzeit im alpinen Ski-Weltcup vormacht. "Wenn wir beim Boxen wären, dann wäre er der Schwergewichtler, der uns Mittelgewichtler alle k. o. schlägt", sagte der Amerikaner River Radamus, der als Vierter am Samstag knapp zwei Sekunden auf Odermatt einbüßte, und das auf einer Piste, die wegen Nebels und Schneefalls um 15 auf 40 Tore verkürzt worden war. Am nächsten, um 1,26 Sekunden, kam noch der überraschend starke Speed-Spezialist Aleksander Aamodt Kilde aus Norwegen. "Wie er das macht? Ich weiß es nicht", sagte River Radamus, "wir alle wissen es nicht." Alexander Schmid, am Samstag respektabler Zehnter nach überstandenem Kreuzbandriss, fügte an: "Der kann sich nur selbst schlagen."

Ergebnisse
:Ski-Alpin-Kalender 2023/24: alle Sieger im Überblick

Abfahrt, Slalom, Super-G und Riesenslalom: Unser Weltcup-Kalender zeigt Ihnen, wer welchen Wettbewerb gewann und wer sich im Gesamtweltcup durchsetzte.

Von Michael Schnippert

Von seinen vergangenen 30 Rennen hat Odermatt 16 gewonnen, deren 25 auf dem Podest beendet. Auch in der Abfahrt kommt Odermatt, der im Sommer noch einmal ordentlich an Muskeln zugelegt hat, den schweren Männern immer näher; in Bormio wurde er zuletzt Zweiter auf der beinharten Stelvio. Der Franzose Blaise Giezendanner fragte bereits im vergangenen Winter im Scherz: "Wollen wir nicht eine Petition starten, dass Odermatt in einer anderen Kategorie fährt und so Platz für andere Fahrer auf dem Podest lässt?"

Bei der Konkurrenz löst Odermatt einen Mix aus Bewunderung und Ratlosigkeit aus. Auf die Frage, ob er im Riesenslalom überhaupt zu schlagen sei, antwortete der Österreicher Manuel Feller in Adelboden: "Von mir sicher nicht. Wenn bei mir alles passt, dann fahre ich um Platz zwei." Einen Hoffnungsschimmer sah Feller noch: "Odi hat mir versprochen, dass er nur noch zwei Jahre Riesenslalom fahren will und danach voll auf die Speed-Disziplinen setzt. Ich nehme ihn beim Wort, aber befürchte, dass es nur einer seiner vielen Scherze war." Derzeit, so bilanzierte auch Feller, könne sich Odermatt jedenfalls nur selbst bezwingen. Wobei: "Er gewinnt ja auch dann, weil er nach Fehlern noch mehr riskiert und noch schneller wird."

Ein wenig hatte es nach Odermatts erneuter Machtdemonstration in Adelboden wahrhaftig den Anschein, als würden die Gegner die weiße Fahne hissen. Selbst Henrik Kristoffersen, dessen Skifahrerleben von jeher auf Siege programmiert ist, ließ nach Platz fünf und der nächsten Enttäuschung in diesem Winter verlauten, an Siege sei im Riesenslalom derzeit kaum zu denken. Noch im Vorjahr hatte er nach seinem zweiten Platz in Adelboden die Kurssetzer im Weltcup kritisiert: Er forderte sie auf, wieder langsamer, stark drehende Läufe zu setzen, so wie es sich für Riesenslaloms gehöre - was Odermatt weniger entgegenkomme. Nun korrigierte sich Kristoffersen: Odermatt sei bei jeden Verhältnissen, bei jeder Kurssetzung nicht beizukommen.

Der nächste Sieg im Gesamtweltcup dürfte Odermatt nur noch schwer zu nehmen sein

Es ist eine Stärke, die ihn schon länger auszeichnet: die Fähigkeit, über schwerste Schläge und Wellen in der Piste zu rauschen, als sei es ein Leichtes. Zugleich ist der 26-Jährige bei allen sportlichen Höhenflügen immer am Boden geblieben. Bis heute schätzt er die Heimat in Nidwalden als Rückzugsort und Kraftquelle. Odermatt ist auch langjährigen Betreuern, Sponsoren und Ausrüstern treu geblieben, zugleich einer der bestverdienenden Athleten im Wintersport überhaupt.

Das andere ist das Selbstvertrauen, das mit jedem Sieg - zuletzt zwei WM-Goldmedaillen in Abfahrt und Riesenslalom sowie dem Olympiasieg im Riesenslalom - ins Unerschütterliche zu wachsen scheint. Und so vergeht mittlerweile kaum ein Tag, an dem Odermatts Name nicht in einem Atemzug mit diversen Skilegenden genannt wird. Mit seinem 29. Weltcupsieg liegt er in der historischen Bestenliste nun gleichauf mit dem Österreicher Stephan Eberharter auf Rang zwölf; Pirmin Zurbriggen, der beste Schweizer (40 Siege), rückt allmählich in Sichtweite. Der dritte Sieg im Gesamtweltcup dürfte Odermatt nach dem Saisonaus von Marco Schwarz auch nur noch schwer zu nehmen sein.

Experten sagen, Odermatt demoralisiere die Konkurrenz derzeit schon vor dem Gang ins Starthaus. Auch Walter Reusser, der Vorstandsvorsitzende des Schweizer Verbandes, glaubt, dass die Siegesserie in den Köpfen der Gegner etwas auslösen dürfte. Er vergleicht es mit regelmäßigen Radfahrten unter Kollegen. "Wenn der andere immer ein wenig schneller ist, wird dir bewusst: Du fährst sowieso hinterher. Dann akzeptierst du den Rückstand oder den zweiten Platz."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSki Alpin
:Im Höhenrausch

Viele Debatten und ein Jahr Verzögerung: Am Matterhorn soll die Speed-Saison an diesem Wochenende erstmals mit einer neuen Abfahrt aus knapp 400 Metern Höhe eröffnet werden. Bahnbrechend oder aus der Zeit gefallen? Über ein Projekt mit zweifelhafter Zukunft.

Von Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: