Manchester United:Auf die Übernahme folgt das große Comeback

Lesezeit: 3 min

Alles muss raus: Rasmus Höjlund (Zweiter von rechts) hat sein erstes Premier-League-Tor für Manchester United erzielt - es sollte der Siegtreffer zum 3:2 gegen Aston Villa sein. (Foto: Oli Scarff/AFP)

Nach dem Einstieg des Milliardärs Ratcliffe als Miteigentümer steht ManUnited vor einer Zeitenwende. Der Traditionsverein soll auf Vordermann gebracht werden - ein Stürmer beginnt im Spitzenspiel gegen Aston Villa seine eigene Wiedergutmachung.

Von Sven Haist, London

Die Präsenz von Jim Ratcliffe als neuer Anteilseigner bei Manchester United war am Dienstagabend bereits spürbar, ohne dass er selbst im Stadion Old Trafford zugegen war. Der Gründer und Chef des Petrochemie-Konzerns Ineos verzichtete auf einen Besuch des Premier-League-Heimspiels von United gegen Aston Villa am traditionellen Boxing-Day-Spieltag. Stattdessen verfolgte sein langjähriger Geschäftspartner Dave Brailsford, der als Generalmanager das Sportportfolio bei Ineos verantwortet, auf der Ehrentribüne das erste Spiel des Klubs nach dem aufsehenerregenden Führungswechsel beim englischen Rekordmeister am Freitag. Dass Brailsford als früherer Teamchef der britischen Radfahrer-Equipe und des Sky-Radsport-Teams, später Ineos, keinerlei Zeit als Ratcliffe-Statthalter bei United verstreichen ließ, deutet an, vor welchem Umbau United steht.

Dave Brailsford, rechts, langjähriger Weggefährte des neuen Miteigentümers Jim Ratcliffe, nimmt die Darbietungen von United gegen Villa in Augenschein. (Foto: Nathan Stirk/Getty Images)

Bei seinem Besuch dürfte sich Brailsford vorgekommen sein, als würde er eine Schnellzusammenfassung des wechselhaften Saisonverlaufs sehen. Uniteds stetes Auf und Ab gleicht für Brailsford vermutlich einer Hochgebirgsetappe bei der Tour de France, wobei die Spiele ergebnistechnisch überwiegend im Tal und nicht auf dem Berg endeten - weshalb ja nun Ratcliffe eingestiegen ist. Auch gegen Villa drohte Manchester durch zwei Standardgegentore gleich wieder ein Debakel. Doch der Mut der Verzweiflung, dass solche Darbietungen von Brailsford wohl nicht länger toleriert werden, schien die Mannschaft des Trainers Erik ten Hag zu einem Comeback-Sieg zu treiben. Der 3:2-Siegtreffer gelang Mittelstürmer Rasmus Höjlund, es war sein erstes Premier-League-Tor nach dem Wechsel im Sommer. Bezeichnenderweise erzielte es der 20-Jährige weniger selbst als sein Gegenspieler Diego Carlos, der den Ball mit dem Knie entscheidend abfälschte.

Allein das Inhaltsverzeichnis des Abkommens erstreckt sich über drei Seiten

Ähnlich unterhaltsam wie die Partie fielen kurz danach auch die veröffentlichten weiterführenden Informationen zum abgeschlossenen Agreement zwischen der Eigentümerfamilie Glazer und dem neuen Minderheitsteilhaber Ratcliffe aus. Die Details machte der an der New Yorker Börse gehandelte Klub allerdings nicht mal für seine Anhänger auf der eigenen Internet-Startseite zugänglich. Sie müssen auf der United-Homepage über diverse Menü-Punkte ("More - Investor Relations - Financials - SEC Filings") angesteuert werden. Und auch auf der dann erscheinenden Seite ist das entscheidende Dokument unter vielen anderen nicht auf den ersten Blick ersichtlich: Es trägt den mehrfach verwendeten Namen "Report of Foreign Issuer", weshalb es nur mit dem 26. Dezember als Datum ausfindig zu machen ist.

Das 241 Seiten umfassende Rechtsschreiben an die US-Börsenaufsichtsbehörde - allein das Inhaltsverzeichnis hat drei Seiten - trägt für die United-Anhänger sowohl positive als auch negative Aspekte. Die Fanvereinigung fasst die Transaktion mit "gemischten Gefühlen" auf. Ihnen wäre es am liebsten gewesen, wenn sich die mindestens so wie Erzrivale Liverpool unerwünschte Glazer-Familie vollständig zurückgezogen hätte. Den Gefallen tut sie ihnen nicht, im Gegenteil: nicht mal eins der sechs Geschwisterkinder hat genug. Sie treten jeweils 4,59 Millionen der wichtigen B-Aktien für insgesamt 909 Millionen Dollar ab. Ratcliffe wird künftig 29 Prozent an United besitzen, den Glazers verbleiben noch 49 Prozent.

Dass mit der Ratifizierung des Geschäfts die Fußballsparte eines Fußballvereins an einen Minderheitseigner ausgelagert wird, zeichnet ein vorzügliches Bild des heruntergewirtschafteten Klubs. Bis dahin verpflichten sich die Glazers (Artikel VI., Zusicherungen der Verkäufer), dass sie keinen Fußballchef oder den Trainer der ersten Mannschaft ohne Zustimmung Ratcliffes "ernennen, entlassen oder dessen Rücktritt akzeptieren" dürfen. Dieselben Konventionen gelten auch auf für Spielertransfers in diesem Winter.

Ratcliffe nimmt mit vier Direktorenposten Einfluss

Die sportliche Entmachtung geht allerdings nicht mit einer strukturellen einher. Zwar machen die der Rendite zugewandten Glazers ein aus ihrer Sicht wohl generöses Zugeständnis: Sie verzichten in den nächsten drei Jahren auf jegliche Dividenden, nachdem sie sich von 2015 bis 2022 halbjährliche Tantiemen vom Verein überweisen lassen hatten; Investitionen in die marode Klub-Infrastruktur sollen im Vordergrund stehen. Aber sie behalten sich das Recht vor, den Verein nach anderthalb Jahren zu jedem Zeitpunkt ganzheitlich veräußern zu können - womit auch Ratcliffe gezwungen wäre, seine Anteile wieder abzugeben, wenn er dem Angebot nicht entsprechen will. Er besitzt jedoch ein Vorkaufsrecht.

Seinen Einfluss wird Ratcliffe künftig über vier Direktorenposten bei United geltend machen. Er besetzt sie allesamt mit Ineos-Verbündeten: Die beiden Fußballpositionen übernehmen Brailsford und der ehemalige Juventus-Turin-Geschäftsführer Jean-Claude Blanc, der zuletzt als solcher bei Ineos Sport wirkte. Und die beiden Unternehmensstellen im Verein gehen an den Finanzchef John Reece und den Sportvorsitzenden Rob Nevin.

Erste Fußball-Erfahrungen hat Ineos bisher als Eigentümer bei den Klubs FC Lausanne-Sport (Schweiz) und OGC Nizza gemacht. Während Lausanne nach Ab- und Aufstieg derzeit wieder auf dem letzten Tabellenplatz rangiert, ist Nizza in der Ligue 1 überraschend auf dem zweiten Platz, fünf Punkte hinter Paris Saint-Germain. In beiden Klubs ist Brailsford umfangreich involviert. Wie sich die Lage bei Manchester United entwickelt, dürfte nun maßgeblich von seinen Einschätzungen abhängen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFußballrechte der Premier League
:Irgendwie rekordverdächtig

Fast acht Milliarden Euro für vier Spielzeiten: Die Premier League schafft es mit ihrem neuen TV-Deal, selbst dann noch nach Maximierung zu streben, wenn im Grunde längst alles ausgereizt ist.

Von Sven Haist

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: