Unangenehme Überraschungen begleiten Pep Guardiola ebenso durch die Zeit als Trainer von Manchester City wie die Aufstellung von Rekorden. Seit seiner Ankunft im Sommer 2016 war die Mannschaft selten davor gefeit, eine jener schmerzhaften, zermürbenden Niederlagen ("Shock Defeats") zu erleiden, mit denen vorher absolut nicht zu rechnen war.
Kürzlich wäre es fast wieder so weit gewesen, in der Einstiegsrunde im FA Cup bei Cheltenham Town. Der Viertligist ging in Führung, City rackerte sich ab. Die Zeit drängte, in Raheem Sterling und Bernardo Silva bereiteten sich zwei Offensivspieler auf ihren Einsatz vor -, aber Guardiola überlegte es sich anders, er wechselte Ruben Dias ein. Zentraler Abwehrspieler, 1,87 Meter groß, ordentliches Kopfballspiel. Die Vermutung war, dass sich Dias direkt nach vorne begeben würde. Irrtum: Dias begab sich auf seine angestammte Position, stabilisierte die Defensive und beschleunigte den Spielaufbau. City gewann 3:1 durch späte Tore; Sterling und Silva blieben draußen.
Die finale Phase des nachrangigen Spiels bestätigte nur den Trend der Saison: Guardiola hat einen Stilwandel vollzogen. Der ewige Prophet des Offensivstils baut seine Mannschaft nun von hinten auf. Sogar die bisweilen gegen hundert Prozent laufenden Ballbesitzwerte von Guardiola-Mannschaften nähern sich irdischen Maßstäben. Am Sonntagabend beließ es City bei 55 Prozent, die Folge war ein unansehnlicher 1:0-Sieg beim FC Arsenal. Neuerdings lässt Guardiola seine Profis nicht mehr für die Empore spielen, sondern allein fürs nackte Resultat. Schon jetzt hat City sechs Mal mit 1:0 in der Premier League gewonnen, häufiger als in jeder anderen Saison zuvor mit Guardiola. In Manchester machen sie sich einen Spaß daraus, beim Tabellenführer vornehmlich die Gegentore zu addieren. Geht ganz leicht, ist nicht viel zu tun: Nur 15 sind es in 25 Ligaspielen, der absolute Spitzenwert in Europas Spitzenligen.
18 Pflichtspielsiege in Serie hat City in den drei nationalen Wettbewerben eingefahren, und an diesem Mittwoch geht's corona-bedingt in Budapest im Champions-League-Achtelfinale gegen Borussia Mönchengladbach. Eine Gelegenheit, um zu zeigen, dass sie es international endlich besser machen wollen, denn in diesem Wettbewerb kam City nie besonders gut zurecht. Kein Spieler aus dem vom Wüstenemirat Abu Dhabi alimentierten, sündteuren Kader hat bislang eine Hand an den silbernen Henkelpokal gebracht, weder der Belgier Kevin De Bruyne noch der Deutsche Ilkay Gündogan noch der Argentinier Sergio Agüero. Auch für Pep Guardiola liegen die Tiki-Taka-Triumphe mit Messi, Xavi und Iniesta beim FC Barcelona schon weit zurück (2009, 2011).
Nun also der Stilwechsel im Klub der Abwehr mit den zittrigen Füßen. Eine sündteure Angelegenheit. Denn schon zuvor hatte sich ManCity den Versuch, das Defensivproblem zu beheben, über vier Jahre eine halbe Milliarde Euro kosten lassen. Da kam es im Herbst 2020 auf zusätzliche 68 Millionen Euro auch nicht an - gezahlt für den bei Benfica Lissabon abgeworbenen Ruben Dias, 23. Nach verpasster Qualifikation für die Champions League sah sich Benfica gezwungen, den Profi in den Markt zu geben. Im Gegenzug bekam Benfica für 15 Millionen Euro den kapriziösen Argentinier Nicolas Otamendi, 33, den City schon länger zum Verkauf freigegeben hatte.
In Bernardo Silva, Joao Cancelo und Dias befinden sich nun drei Spieler in Citys Aufgebot, die ihre Ausbildung in Lissabon absolvierten. Benficas anspruchsvoller Kombinationsfußball mit weit aufgerückter Abwehr kommt Guardiolas Spielauffassung nahe und verkürzte die Integration für Dias. Im Interview mit der Daily Mail betonte Portugals Nationalspieler, dass er primär "ein fürs Verteidigen zuständiger Verteidiger sei". Bis dahin galt in Manchester die Guardiola-Maxime, wonach der Verteidiger der erste Angreifer sei.
Nun hat City endlich einen Abwehrchef, der den Namen verdient. Einen Nachfolger für den 2019 abgetretenen belgischen Langzeitkapitän Vincent Kompany. Das Sportmagazin The Athletic urteilte, dass Dias die erhoffte "all-weather-option" für City sein könne, die Allwetterlösung für die poröse Abwehr. Die Konkurrenz hatte vorgeführt, dass auch gute Verteidiger ziemlich teuer sind: Manchester United präsentierte im Sommer 2019 den Engländer Harry Maguire (87 Millionen Euro/Leicester City); der tabellarisch abgestürzte Meister FC Liverpool im Winter 2018 den Niederländer Virgil van Dijk (84,65 Millionen/FC Southampton). Diese drei Innenverteidiger sind nun die teuersten Defensivkräfte in der Geschichte der Premier League.
Neben gutem Stellungsspiel, Zweikampfstärke und klaren Kommandos hat Dias auch das Niveau seiner Mitspieler gehoben. Der bereits abgeschriebene John Stones zeigt plötzlich, warum ihn City 2016 für 55 Millionen Euro vom FC Everton geholt hatte. In 13 gemeinsamen Startelfeinsätzen in der Premier League verbuchte das Duo nur zwei Gegentore. Die portugiesisch-englische Partnerschaft wird bereits mit Ricardo Carvalho und John Terry verglichen. Beide konnten dem FC Chelsea die Meistertitel 2005 und 2006 sichern.