Mailänder Stadt-Derby:Wie auf dem Schulhof

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Inter begeistert beim 4:0 gegen den Lokalrivalen AC Mailand mit Flipperfußball - Milans Gennaro Gattuso wird zum Hauptdarsteller einer Farce.

Birgit Schönau

An diesem warmen August-Abend hatten die 80.000 im Giuseppe-Meazza-Stadion mit allem gerechnet. Aber nicht mit dem großen Zauberer Mou. Eine ganze Saison lang hatte José Mourinho seine Mannschaft aus Nussknackern ödesten Einkesselungs- und Zerquetschungsfußball vollführen lassen - was ihm in Italien einen Meistertitel einbrachte, in Europa aber nur Hohn und Spott. Als Zlatan Ibrahimovic, der kraftstrotzende Chef der Nussknackerbande, zum FC Barcelona zog, schien Mourinho seines wichtigsten Mannes beraubt zu sein. Prompt verlor Inter Mailand den Ligapokal an Lazio Rom, ein verpatzter Saisonstart gegen den Aufsteiger Bari gemahnte an düsterste Zeiten. Bis der Samstag kam und das Derby.

Abwehrspieler Lucio (rechts) und Inter Mailand zeigten im Stadtderby eine überzeugende Leistung. (Foto: Foto: dpa)

José Mourinho erschien dazu ganz in Grau. Graues Hemd, graue Hose, graue Schuhe, graue Haare - ein graues Männchen. Es war Teil des Plans, der großen Illusion, der finalen Finte. Sie währte genau 20 Minuten, in denen Inter dem AC Mailand das Feld überließ, wie um zu sehen, was der Gegner denn zu bieten hatte: nullkommanichts, außer einer einzigen Torchance. Pato zirkelte den Ball zu Ronaldinho, der drosch ihn neben den linken Pfosten. Es war der Auftakt zu einem der peinlichsten Abende in Milans Klubgeschichte und zu Mourinhos Zaubershow.

Seine Mannschaft spielte, wie sie noch nie gespielt hatte. Wie ein Team von José Mourinho überhaupt noch nie gespielt hat: Flipperfußball mit einer Geschwindigkeit, einer Frische und einem Ideenreichtum wie aus einer anderen Liga. Fast so, als hätten sie sich gesagt: Wenn Ibra zu Barca geht, dann verlagern wir mal Barcelona hierhin. Mourinhos Team gewann 4:0. Aber nur, weil sie irgendwann aufhörten zu spielen, wie Straßenkicker, die am Ende den Gegner schonen, weil sie ihn doch am nächsten Morgen auf dem Schulhof wiedertreffen.

Nicht nur die Mannschaft des AC Mailand wurde in diesem Albtraum eines Heimspiels vorgeführt - die Derby-Katastrophe geriet zu einem Desaster für die Klubführung. "Wir sind bis hierhin gefahren, um Kakà zu sehen", höhnten die Inter-Fans vor dem Anstoß, tatsächlich wirkt Milan ohne Kakà und, schwerwiegender noch, ohne den ewigen Kapitän Paolo Maldini kraftlos, orientierungslos, ja seelenlos. Beim Stand von 0:1-- Thiago Motta traf nach einer wunderbaren Dreieckskombination mit Diego Milito und Samuel Eto'o mit dem linken Außenrist - erwies sich ausgerechnet der alte Milan-Kämpe Gennaro Gattuso als Hauptdarsteller einer Farce, die seine Mannschaft endgültig in den Abgrund reißen sollte.

Auf einen Freistoß von Andrea Pirlo entgegnete Inter mit einem blitzschnellen Konter. Samuel Eto'o, den Inter für Ibrahimovic quasi geschenkt bekommen hatte, durchmaß im Sauseschritt das Feld und wurde erst im Strafraum von Gattuso gestoppt. Mit einem nachgerade linkischen Foul, für das Gattuso mit Gelb begnadigt wurde. Einen Elfmeter gab es dennoch, Diego Milito verwandelte ihn mit fast schon provozierender Coolness zum 2:0 für Inter. Da stampfte Gattuso auf wie Rumpelstilzchen. Er hatte bereits vor seinem Faux pas gegen Eto'o mit verzweifelten Gesten um Auswechslung gebeten, eine verdrehte Wade machte ihm zu schaffen.

Der neue Milan-Trainer Leonardo wies Clarence Seedorf an, Gattuso zu ersetzen. Aber Seedorf war nicht fertig. Er konnte sein Trikot nicht finden, und als er es endlich anhatte, bekam er die Schuhe nicht zu. Leonardo stand stumm an der Außenlinie herum, offensichtlich traute der elegante Brasilianer sich nicht, den für seinen Jähzorn berüchtigten Seedorf anzuschubsen. Stattdessen sah er zu, wie Gattuso vollends einbrach. Der Kapitän beging rasch nach Militos Treffer das nächste Foul und wurde vom Platz gestellt. Endlich Ruhe für Gattuso! Man möchte es eigentlich gar nicht betonen - aber Seedorf war immer noch nicht fertig.

Milan, eine Baustelle

Zehn Minuten vor der Pause war Milan also in Unterzahl. Leonardo hätte zu diesem Zeitpunkt auch die weiße Fahne hissen können, um weitere Demütigungen zu verhindern. Stattdessen versuchte sich nun auch Lúcio an einem Torschuss, den Milans Torwart Marco Storari, Reserve der Reserve, jedoch zur allgemeinen Überraschung abwehren konnte. Lucios Abwehrkollege Douglas Maicon, bedient von dem entfesselten Neuzugang Milito, war erfolgreicher: Zur Halbzeit führte Inter 3:0.

Dennoch, so berichteten die Spieler später, habe Mourinho sie in der Pause angetrieben, jetzt bloß nicht nachzulassen. Dejan Stankovic erzielte in der 67.Minute das vierte Inter-Tor, aus dem Stand, aus 25 Metern. Damit ließ es Inter dann genug sein. "Ich habe alles bekommen, was ich gewollt hatte", erklärte Mourinho: "Lúcio, Milito, Eto'o und Sneijder." Eine neue Mannschaft. Ein Team, das zaubern kann. Das zaubern wird? "Schon vergessen, dieses Ergebnis", behauptete jedenfalls Mourinho, "morgen ist ein neuer Tag."

Für seinen Kollegen Leonardo aber wird der Herbstwind dieses Derby nicht ganz so schnell verwehen. Auch er hatte mit Jan-Klaas Huntelaar einen vorzeitig umjubelten Debütanten. Aber Huntelaar fand noch kein fertiges Team. "Wir sind im Aufbau", entschuldigte sich der sanfte Leonardo in seinem geschliffenen Italienisch. Milan ist eine Baustelle, Inter eine Schau.

© SZ vom 31.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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