Männer-Staffel gewinnt Bronze:Endlich ein deutsches Flow-Erlebnis

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Ausgerechnet in der Staffel halten die deutschen Männer dem großen Erfolgsdruck stand und holen ihre erste Medaille bei der Heim-WM. Held des Tages ist Oldie Michael Greis - der bei dieser Weltmeisterschaft eigentlich gar nichts zu suchen hatte.

Carsten Eberts, Ruhpolding

Es wurde mächtig viel geknuddelt und gepatscht am Freitagnachmittag in Ruhpolding, die kräftigsten Schläge bekam Michael Greis ab. Zunächst von Simon Schempp und Andreas Birnbacher, die bereits im Ziel waren, als Greis seine Staffel-Runden beendete. Später schlug ihn auch Arnd Peiffer, der Schlussläufer, er klatschte ihm kräftig auf den Rücken. Greis ertrug alles, er war schließlich der glücklichste Mann von allen. Und er revanchierte sich: Patsch, patsch, patsch.

Rechtzeitig in Form: Michael Greis lief eine gute Zeit - und schoss wie dereinst Fritz Fischer. (Foto: Bongarts/Getty Images,)

Dass Michael Greis bei dieser Biathlon-WM noch eine Medaille gewinnen würde, ist eine wunderbare Geschichte. Er war eigentlich schon raus, im schlimmsten Leistungsloch seiner Karriere angelangt; nach langer Krankenzeit wurde er erst in allerletzter Sekunde für die Heim-WM nominiert. Und von da an kritisch beäugt, denn die Frage war, ob die Nominierung bei Greis' Leistungsstand tatsächlich Sinn macht.

Kurzum: Sie machte Sinn. Greis hat sich in den vergangenen zwei Wochen auf ein völlig anderes Niveau gekämpft. "Diese Medaille ist ganz speziell für mich", sagte Greis ergriffen. Minuten zuvor bei der Siegerehrung hatte er sich mit seinen Kollegen das Edelmetall abgeholt, vor den Tausenden auf der Ruhpoldinger Wand, der großen Tribüne, die der deutschen Staffel dankbar entgegen jubelte: "Ich habe mich vorher nicht in der Staffel gesehen. Jetzt freue ich mich unheimlich."

Das Rennen gewann Norwegen, nach einer ansprechenden Aufholjagd. Die Skandinavier entschieden damit nach der Mixed-Disziplin auch die zweite Staffel der WM für sich, vor Frankreich und Deutschland. "Man muss auch mal schauen, wen wir alles hinter uns gelassen haben", erklärte Peiffer sichtlich stolz. Hinter den Deutschen kamen tatsächlich starke Staffeln ins Ziel: etwa die Österreicher, Russen oder Schweden.

Für das deutsche Quartett war es vor allem eine Nervenprobe, die es an diesem Tag zu bewältigen hatte. Das Team hatte schließlich noch keine Medaille geholt, dazu dieses frustrierende Einzelrennen hinter sich, bei dem bis zum vierten Schießen alles klappte - und dann nichts mehr. "Wir haben unser großes Ziel erreicht", erklärte nun Bundestrainer Uwe Müßiggang, "die Jungs haben das bravourös gelöst." Greis und Co. schossen passabel, wenn auch nicht überragend, blieben am Ende nach etlichen Nachladern jedoch ohne Strafrunde.

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Wer hätte es gedacht? Das Biathlon-Team der Frauen besteht nicht ausschließlich aus Magdalena Neuner. Bei den Männern gibt es in Arnd Peiffer und Andreas Birnbacher zwei große Medaillenhoffnungen - und ein großes Sorgenkind. Der deutsche WM-Kader im Überblick.

Carsten Eberts, Ruhpolding

Viel weiter nach vorne hätte es an diesem Tag ohnehin nicht gehen können. Dafür demonstrierten die Norweger und Franzosen zu deutlich, dass sie bei den Männern aktuell die führenden Biathlon-Nationen sind. "Die anderen waren stärker, das muss man akzeptieren", urteilte Greis. Norwegens Schlussläufer Emil Hegle Svendsen hatte am Ende knapp 30 Sekunden Vorsprung vor dem französischen Weltmeister Martin Fourcade.

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Carsten Eberts, Ruhpolding

Greis, 35, war darüber nicht enttäuscht - er strahlte über das ganze Gesicht. Das Rennen entwickelte sich zu einer spannenden Angelegenheit und Greis kam tatsächlich eine Schlüsselrolle zu: Als dritter Läufer hielt er zunächst dem heranstürmenden Norweger Tarjei Bö stand, vergrößerte jedoch auch den Abstand auf Platz vier sukzessive. "Unsere Schlüsselposition war beim Michi der Stehendanschlag", erklärte Müßiggang hinterher, "Michi hat seine Nominierung deutlich unterstrichen." Greis schoss schnell, blieb fehlerfrei - und gab Schlussläufer Peiffer einen Vorsprung von fast einer Minute auf Platz vier mit auf den Weg.

"Das Stehendschießen war so ein klassisches Flow-Erlebnis", erklärte Greis hinterher. Sein Ausdruck passt gut zum Auftritt der Staffel an diesem Tag: Was zuvor fehlte, war der Flow, das Glücksgefühl, die Sicherheit, dass die entscheidenden Schüsse einfach reingehen. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Im Einzel hätten die deutschen Männer ihre entscheidenden Schüsse sicher noch versemmelt. Diesmal ging alles gut.

Später am Abend wurden Schempp, Birnbacher, Greis und Peiffer von den Tausenden im Ruhpoldinger Champions Park empfangen. Die Medaillen um den Hals fühlten sich gut an, man sah es den Athleten an. "Keiner von uns hat vorher von einer Medaille geredet", erklärte Greis, "aber wir Athleten merken natürlich, was von uns erwartet wird." Zum ersten Mal bei dieser WM hielten die Männer dem großen Druck stand.

Was nun beim Massenstartrennen am Sonntag zu erwarten ist? Kaum jemand wollte ernsthaft darüber reden. Erst mal musste diese Medaille gefeiert werden, über alles weitere können sich die deutschen Männer auch noch am Samstag Gedanken machen. Am Freitag jedoch waren sie die glücklichsten Bronzemedaillen-Gewinner der Welt.

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