Lewis Hamilton:"Fernando zu schlagen, war eine große Sache"

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Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton über die wechselhafte Saison, Geduld, Lügen im Auftrag des Teams und Frauen wie Angelina Jolie.

René Hofmann

SZ: Herr Hamilton, Sebastian Vettel nennt die Formel-1-Saison 2009 "etwas verrückt". Ihre Formkurve ist dafür ein gutes Beispiel: Sie sind der Titelverteidiger, zu Saisonbeginn aber waren Sie chancenlos. Dann siegten Sie plötzlich in Budapest, und in Valencia wurden Sie Zweiter. In Belgien und in Monza sah es wieder schlechter aus. Jetzt der Sieg in Singapur. Wie überrascht sind Sie selbst über all das?

Lewis Hamilton: In der Formel 1 hofft man immer, dass man gewinnen kann, aber sicher kann man nie sein. Was ich aber immer gewusst habe: Bei McLaren-Mercedes habe ich alle Möglichkeiten, gut zu sein. Wenn jemand das Ruder herumreißen kann, dann dieses Team.

SZ: Vor dem Rennen in Ungarn haben Sie gesagt: Eine Podiumsplatzierung käme überraschend - und dann gewannen Sie. Es drängt sich der Eindruck auf: In diesem Jahr haben selbst die Hauptdarsteller Mühe, das Kräfteverhältnis einzuschätzen. Wie ist das zu erklären?

Hamilton: Intern hatten wir vor dem Rennen in Ungarn ein gutes Gefühl, dass wir besser aussehen würden als zuvor. Aber darüber wollten wir nicht reden. Das ist nicht unser Stil. Wenn man etwas ankündigt und das dann nicht klappt, steht man dumm da. Aber dass unser Auto das schnellste sein würde, hätten wir wirklich nie gedacht.

SZ: Sie mussten in diesem Jahr geduldig sein. Geduld aber zählt nicht unbedingt zu Ihren Stärken.

Hamilton: In so einer Situation bleibt einem nichts anderes übrig, als zu lernen, geduldig zu werden. Ich habe ja gesehen: Jeder im Team gibt Gas, jeder will den Rückstand aufholen. Es dauert nur einfach gefühlsmäßig schrecklich lange, bis all die tausend Möglichkeiten ausgetestet sind. Was mich dabei hat ruhig bleiben lassen: Ich musste mich nie sorgen, dass die Jungs in der Fabrik auch wirklich hart arbeiten.

SZ: Als Sie in die Formel 1 eingestiegen sind, hatten Sie sofort Erfolg. Was hat Sie die neue Erfahrung jetzt gelehrt?

Hamilton: Es stimmt: Ich hatte in meiner Karriere bisher viel Glück. Aber das kam nicht zufällig. Die Philosophie von meinem Vater und mir war immer: Wir sind Sieger, wir wollen die Besten sein. Um das wirklich zu sein, muss man sich ständig weiterentwickeln. Ich habe dann fast jede Rennserie gewonnen, in der ich angetreten bin. Wenn man mit der Art, wie man arbeitet, nicht jeden schlägt, kommt man nicht weiter - so lautet meine Einstellung. Wenn man die Dinge richtig angeht, erregt man Aufmerksamkeit, man ist gefragt - und das bringt einen in die besten Teams. Ich hatte Glück, 2007 direkt bei McLaren-Mercedes zu landen. Damals war Fernando Alonso mein Teamkollege. Er war zuvor zweimal Weltmeister und ist sicher einer der spektakulärsten Fahrer, den die Formel 1 seit langem erlebt hat. Neben ihm anzutreten und ihn auch zu schlagen - das war eine große Sache für mich.

SZ: Haben Sie in den vergangenen fünf schwierigen Monaten mehr gelernt als in den Jahren zuvor, in denen es gut lief?

Hamilton: So sehe ich das nicht. Ob ein Rennen gut oder schlecht war: Man lernt immer etwas, wenn man sich danach mit den Ingenieuren zusammensetzt. Das perfekte Rennen gibt es nicht.

SZ: Haben die schwierigen Erfahrungen 2009 Sie denn besser gemacht?

Hamilton: Ja. Aber ich kann noch besser werden.

SZ: Was war der Tiefpunkt des Jahres?

Hamilton: Über solche Fragen denke ich nicht nach. Ich konzentriere mich auf das, was kommt.

SZ: Müssen Sie sich dazu zwingen?

Hamilton: Nein. Jeden Morgen wache ich auf und frage mich: Wo kann ich heute besser werden? Auch nach einem Unfall wache ich auf und sage mir: Ich will so schnell wie möglich ins Auto!

SZ: Nach dem ersten Saisonrennen logen Sie auf Anraten des Teammanagers bei einer Anhörung die Rennkommissare an. Für die Aktion wurden Sie bestraft. Beim zweiten Rennen haben Sie sich für Ihr Verhalten zudem öffentlich entschuldigt. Wie lange hat das Erlebnis Ihnen danach noch zu schaffen gemacht?

Hamilton: Es hat eine Weile gedauert, das hinter mir zu lassen. Es war eine sehr schwierige Zeit für mich. Aussagen werden aus dem Zusammenhang gerissen, Dinge verdreht. Wer das nicht erlebt hat, macht sich darüber keine Vorstellungen, wie schlimm das ist.

Lesen Sie auf Seite 2: Warum Angelina Jolie nicht die perfekte Frau ist und Formel-1-Fahrer manchmal Idioten sind...

SZ: Damals haben Sie gesagt, dass Sie erwogen hätten, die Formel 1 zu verlassen. Wie ernst war Ihnen das?

Hamilton: Das war kein Spaß. Wenn die Emotionen hochkochen, geht einem vieles durch den Kopf. Ich werde aber nie vergessen, was der Motorsport mir bedeutet. Ich könnte ohne ihn nicht leben.

SZ: Sie haben damals gesagt: "Ich bin keine Maschine, ich bin auch ein Mensch." Ist das ein Dilemma: Als Formel-1-Pilot perfekt wirken zu müssen?

Hamilton: Jeder erwartet von den Stars, die in den Medien gefeiert werden, dass sie perfekt sind. Das beste Beispiel dafür sind wahrscheinlich die Schauspielerinnen: Angelina Jolie erscheint jedem als die perfekte Frau. Aber ich bin sicher: Auch sie hat Schwächen und begeht Fehler. Auch für Brad Pitt gilt das. Und in dem, was sie tun, schwingt noch nicht einmal Politik mit. Aber wir sind alle Menschen. Journalisten können packende Geschichten schreiben - oder schlechte. Für uns Formel-1-Fahrer gilt das Gleiche: Wir können Autos unglaublich gut bewegen, aber manchmal stellen wir uns dabei auch wie Idioten an.

SZ: In England ist es eine große Geschichte, dass Ihnen Jenson Button in diesem Jahr die Show stiehlt. Er ist älter, er hat einen anderen familiären Hintergrund, eine andere Art Freundin. Wie viel davon bekommen Sie mit?

Hamilton: Überhaupt nichts. Ich lese keine Zeitungen.

SZ: Aber Ihr Vater tut das.

Hamilton: Ja, das ist sein Job. Ich habe Leute, die sich um diese Dinge kümmern. Deshalb kann ich sie ausblenden.

SZ: Wie kommen Sie mit Jenson aus?

Hamilton: Gut. Wir respektieren uns. Er macht einen tollen Job, und ich genieße es, gegen ihn anzutreten.

SZ: Teilen Sie den Eindruck, dass Ihre Kollegen Ihnen in diesem Jahr nicht mehr so kritisch begegnen?

Hamilton: Man kann nicht immer nur auf die anderen zeigen. Ich habe sicher auch Fehler gemacht. Ich habe Dinge gesagt, die ich besser nicht gesagt hätte. Und es gab Dinge, die sie besser nicht gesagt hätten. Ich habe den Eindruck: Das Verhältnis unter uns allen verbessert sich langsam. Als ich in die Formel 1 gekommen bin, war gleich ein ziemlich großer Hype, denn ich war von Anfang an vorne dabei. Es gab viele Fahrer, die schon länger auf so eine Chance gewartet hatten. In so einer Situation ist es verständlich, dass es nicht nur glückliche Menschen um einen herum gibt. Jetzt haben alle gesehen, dass auch ich Probleme haben kann. Und wie ich damit umgehe. Das hat die Situation entspannt.

SZ: Was bedeutet Ihnen der WM-Titel?

Hamilton: Als ich aufgewachsen bin, wollte ich immer sagen können, dass ich im Leben etwas erreicht habe. Ich habe Freunde, die zur Universität gingen und Abschlüsse gemacht haben. Darum habe ich sie beneidet. Ich war nicht der größte Akademiker, ich habe immer nur ans Rennfahren gedacht. Ich wollte aber, dass meine Familie stolz auf mich ist. Ich wollte gut sein, in dem was ich tue. In diesem einen Ding. Weltmeister zu werden, und vor allem, in der Art, wie mir das gelungen ist, auf den letzten Metern, das macht mich sehr stolz. Auch wenn es bald schon ein Jahr her ist, fühlt es sich immer noch ein wenig unwirklich an.

© SZ vom 30.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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