Mut. Respekt. Gratulation. Das waren die häufigsten Reaktionen auf die Nachricht des Stabhochspringers Shawn Barber, der am Dienstag im sozialen Netzwerk Facebook verkündet hatte, "stolz und schwul" zu sein. "Du machst ganz Kanada stolz", antwortete ein Nutzer unter Barbers Botschaft, "hoffentlich wirst du ein Vorbild für viele andere Menschen sein", ein anderer. Auch aus Deutschland traf Zuspruch ein, wo Barber in den vergangenen Sommern trainiert und zeitweise in einer kleinen Wohnung gelebt hatte, am Stabhochsprung-Hotspot in Leverkusen. Barber wird sich über die Bekundungen gefreut haben, die ihm zuflogen, "ich habe eine großartige Gruppe an Unterstützern", richtete er noch aus. Aber er weiß vermutlich auch: All die schönen Nachrichten sind auch Teil des Problems.
Shawnacy "Shawn" Barber, 22, ist seit Dienstag ja nicht mehr der begabte Stabhochspringer, unbekümmert, bodenständig, Weltmeister 2015. Bestleistung 5,93 Meter im Freien, sechs Meter in der Halle. Er ist jetzt der Stabhochsprung-Weltmeister, der sich outete, der über Nacht zur historischen Figur wurde. Barber sei "umgehend einer der bekanntesten und erfolgreichsten schwulen Athleten weltweit geworden", befand das Portal Outsports, das sich als "Stimme von lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen Athleten" beschreibt. Einer, der weiß, wie sich das anfühlt, ist der Fußballer Thomas Hitzlsperger, der nach dem Coming-out vor drei Jahren sagte: Er hoffe sehr, "dass wir eine Zeit erleben werden, in der niemand mehr in einer solchen Situation von Mut spricht. Weil es dann ganz normal sein wird, dass ein Sportler über seine Homosexualität redet, wie andere über ihre Frauen oder Freundinnen sprechen."
Dass das Normale nicht mehr unnormal ist.
SZ Jetzt Video:Muss ein schwuler Fußballer sich outen?
Diese Frage stellt Fußball-Ikone Clarence Seedorf während einer Podiumsdiskussion der Fifa. Und bekommt von Thomas Hitzlsperger, der sich 2014 selbst outete, eine unaufgeregte und kluge Antwort.
Noch ist diese Zeit nicht angebrochen, das legen schon die Reaktionen zu Barbers Outing nahe. Nicht nur im Fußball, auch in der Leichtathletik gibt es noch immer wenige bekannt schwule oder lesbische Athleten, den amerikanischen Marathonläufer Matt Llano etwa, oder Diskuswerferin Nadine Müller aus Halle. Der Sport, der oft seine integrative Kraft beschwört, ist in Sachen Homophobie noch immer rückständig, gefangen in Vorurteilen und Ablehnung. "Im Sport gibt es eine große Inszenierung von Männlichkeit", sagt Christopher Knoll vom Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum in München (Sub), das - längst entkräftete - Klischee tue schwul aber noch immer als schwach ab. Barber nehme mit seinem Outing auch "große wirtschaftliche Nachteile" in Kauf, sagt Knoll, "da sind zwei Drittel aller potenziellen Sponsoren weg". Weil er halt nicht dem genormten, massenkompatiblen Sportlerbild entspricht. Nicht mehr.
Barber hat zu all dem erst mal nichts gesagt, auch zu etwaigen Vorbildfunktionen, oder dass er wohl wieder ein Etappe auf dem Weg geebnet hat zur Normalität. Aber eine Botschaft hatte er dann doch aufgesetzt, verpackt in seinen knappen Zeilen: Wie wichtig der Zuspruch des Umfelds ist, um seine Sexualität ausleben zu können, auch öffentlich. Wenn das eigene Kind plötzlich zu einer Randgruppe gehöre, weiß auch Knoll, höre bei vielen Eltern die Toleranz auf. "Danke an meine Eltern, dass sie mich so großartig unterstützen", schrieb Barber nun, "sie haben in letzter Zeit sehr viel mit mir durchgemacht."
Damit dürfte freilich auch das vergangene Jahr gemeint sein. Nach Olympia in Rio war publik geworden, dass eine Dopingkontrolle bei Barber am 9. Juli 2016 ausgeschlagen hatte, kurz vor den Sommerspielen. Positiv, auf Kokain. Der Kanadier führte den Befund auf ein Techtelmechtel mit einer Internetbekanntschaft zurück, die Substanz müsse durch Küsse in seinen Körper gelangt sein. Der kanadische Sportgerichtshof legte ihm keine Sperre auf, Barber verlor lediglich seinen nationalen Titel. In Rio wurde er Zehnter. Und jetzt?
Anfang Mai beginnt die Zeit der ersten Freiluftwettkämpfe, Barber will am Wochenende bei den Drake Relays starten, einem der bekanntesten Leichtathletik-Meetings in den USA. Er dürfte bei allem Zuspruch wohl nichts dagegen haben, wenn man ihn dann vor allem als Stabhochspringer wahrnimmt.