Leichtathletik:Glaubwürdigkeit ist kein Computer

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Argwöhnisch betrachtet: Marita Kochs 400-Meter-Weltrekord von 1985. (Foto: dpa)

Die Leichtathletik will alte Rekorde unter Quarantäne stellen. Trotzdem bleiben zwei Probleme: Rekordlust und der lasche Anti-Doping-Kampf.

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Weltrekorde und Olympiasiege waren in der Leichtathletik oft eine Mahnung. Die Fabelzeiten der Amerikanerin Florence Griffith-Joyner über 100 und 200 Meter etwa, die bis heute in den Rekordbüchern stehen, als Symbol für das rücksichtslose Anabolika-Wettrüsten der 80er Jahre. Oder Marion Jones, Joyners Landsfrau, die bei den Kontrollen nie auffiel - ehe amerikanische Ermittler Jones' Dopingdealer Victor Conte enttarnten. Oder die chinesischen Läuferinnen des dubiosen Trainers Ma Junren, die in den 90er Jahren nimmermüde durch die Stadien wackelten, wie aufgezogene Spielzeugfiguren. Zurück ließen sie Rekorde, die wie missratene Denkmäler in der Landschaft standen, befallen vom Unkraut des Zweifels. Oder die Äthiopierinnen Genzebe Dibaba und Almaz Ayana, die zwei dieser toxischen Marken jüngst überboten.

Oder, oder, oder.

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Es ist also erst einmal begrüßenswert, dass der europäische Leichtathletik-Verband EAA sich der verseuchten Historie stellt und nun das plant, womit der deutsche Verband vor 17 Jahren gescheitert war: einen Rekord-Neustart, zum 1. Januar 2018. Dieser würde sämtliche alte Taten in eine historische Liste überführen, eine Quarantäne. Sollte der Weltverband IAAF im August zustimmen. Klar, eine derartige Entgiftungskur würde auch saubere Bestmarken aus den Geschichtsbüchern spülen. Aber das müssten die Betroffenen schon ihren Verbänden und deren lauwarmen Anti-Doping-Tests anlasten, die selten darauf geeicht waren, alles aufzuspüren - sondern nur so viel, damit das Geschäft mit den Rekorden nicht zu sehr beschädigt wurde.

Mit der Glaubwürdigkeit ist es nur leider so: Man kann sie nicht einfach neu starten wie ein fehlerhaftes Computer-Betriebssystem. Schon der Kern des EAA-Entwurfs, künftige Rekordinhaber öfters vor und nach ihren Taten zu testen, hat einen Makel: So, wie Marion Jones jahrelang unter den Radaren der Dopingfahnder hindurchsegelte, lassen sich viele Substanzen bis heute nicht nachweisen: Designermittel, ein im Labor gebasteltes Steroid etwa, oder Klassiker wie Humaninsulin und Wachstumshormone. Die neuen Bestmarken wären also kaum glaubwürdiger, sie wären zunächst einmal bloß: neuer. Die "Wolke des Zweifels" (EAA-Präsident Hansen) wäre erst dann vertrieben, sobald die Verbände einen Anti-Doping-Kampf verfolgen, der diesen Namen verdient, der dopingverdächtige Clenbuterol-Nachtests nicht verheimlicht, wie es zuletzt das Internationale Olympische Komitee tat.

Eine weitere Lösung wäre freilich, die Rekordlust zu zügeln, in der Publikum, Medien und Funktionäre jahrelang badeten. Dass nicht nur der Rekord von der Stärke eines Sports erzählt, wie IAAF-Präsident Sebastian Coe in Rio ausführte. Sondern der Wettstreit.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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