Leichtathletik-DM in Ulm:Ein starkes Zeichen

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Die deutschen Leichtathleten schöpfen bei den nationalen Meisterschaften in Ulm Hoffnung für die in sechs Wochen startende Heim-WM in Berlin. Die Medaillenkandidaten zeigten sich in guter Form.

Thomas Hahn

Eine schmale Frau ist zurück geblieben von den Wettkämpfen dieses freundlichen Samstags, steht hinten bei Block D und verdreht die Augen. "Gibt's auch gute Fragen?", fragt Ariane Friedrich, die von Reportern umzingelt ist. Sie ist gerade wieder deutsche Meisterin im Hochsprung geworden, mit 2,01 Meter. Sie hat längst gesagt, dass sie "sehr, sehr, sehr zufrieden" damit sei, jawohl, auch wenn sie unter ihrer Weltjahresbestleistung von 2,06 geblieben sei. Jawohl, auch wenn sie die Siegeshöhe erst im dritten Versuch gemeistert habe.

Sprung ins Glück: Sebastian Bayer schafft in Ulm mit einem Riesensatz über 8,49 Meter die WM-Norm und gilt nun als Favorit in Berlin. (Foto: Foto:)

Und jetzt würde sie gerne fortgehen, frei sein wie die weiße Wolkenherde, die friedlich übers Ulmer Donaustadion zieht. Aber sie soll noch etwas sagen, irgendwas. Waren Sie motiviert? "Warum sollte ich nicht motiviert sein?" Haben Sie Ihr Idealgewicht? "Ja. Und ich bin nicht magersüchtig." Was essen Sie heute abend? "Das weiß ich noch nicht." Sie wirft den Blick zum Himmel, ihr Tonfall klingt nach Ungeduld. Nerven Sie die Fragen manchmal? "Ja", sagt Ariane Friedrich. "Gerade!"

Realkitsch und andere Geschichten

Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften sind die Summe aus hundert kleinen Geschichten. Eine Sammlung von Szenen, die so unterschiedlich sind, dass sie sich kaum zu einer einheitlichen Handlung verknüpfen lassen. Und so sind auch die Titelkämpfe im Donaustadion kaum zu fassen gewesen bei allem, was sich in den zwei Tagen von Ulm ereignete. Der Kampf der Hochspringerin Friedrich mit der eigenen Prominenz hat jedenfalls wenig zu tun gehabt mit dieser Anmutung von Rosamunde-Pilcher-Leichtathletik, welche das Paar Sebastian Bayer/Carolin Nytra als Realkitsch um Liebe, Sprung und Hürdensprint anbot, oder mit dem forschen Urteil des Diskus-Meisters Robert Harting (starke 67,69 Meter), der nämlich die seltenen Wettkampfauftritte des iranischen WM-Mitfavoriten Ehdan Hadadi so deutete: "Das ist pures Doping."

Trotzdem ist am Ende ein Eindruck von dem Reigen geblieben, und zwar ein guter, vielleicht trügerisch guter Eindruck von einer Sportfamilie, die sechs Wochen vor der Heim-WM in Berlin, Kräfte bündelt und zu beachtlichen Leistungen veredelt. Es wurde früh klar in Ulm: Eine solch rege nationale Meisterschaft wie diese hat es auf dem Gebiet des deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) schon lange nicht mehr gegeben.

Erschütterung wegen Pechstein

Wie gesagt, vielleicht trügt das starke Zeichen. Freitagabend vor dem Fest hatte es immerhin die ultimative Mahnung ans Publikum gegeben, bei sportlichem Erfolg nicht bedenkenlos begeistert zu sein: die Erschütterung durch die Blutdoping-Affäre um Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein spürten auch die Leichtathleten. Bayerns Justizministerin Beate Merk, eng verbunden mit DLV-Präsident Clemens Prokop im Kampf um ein echtes Antidoping-Gesetz, nutzte die Ulmer Bühne, um mal wieder nachhaltig dafür zu werben, den Straftatbestand des Sportbetrugs einzuführen. Der Fall Pechstein war eines ihrer Argumente.

Aber dem Anschein nach war vieles gut, das Donaustadion ordentlich gefüllt mit insgesamt 30000 Zuschauern, das Programm dicht, und über den Rängen lag eine Atmosphäre von ehrlichem Interesse am Geschehen, die sich immer dann entlud, wenn wieder jemand die WM-Norm knackte wie Dreispringerin Katja Demut etwa (14, 20 Meter) oder 400-Meter-Hürden-Läufer Thomas Goller (49,20 Sekunden). Da fiel es den Bundestrainern Herbert Czingon und Rüdiger Harksen leicht, die stolzen Verwalter eines neuen Reichtums zu geben. "Teilweise Weltklasseleistungen" erkannte Czingon, Harksen sah "wahre Leistungsexplosionen" namentlich von 100-Meter-Gewinner Tobias Unger (10,18 Sekunden) und den furiosen Hürdensprintern um Meister Matthias Bühler (13,36 Sekunden), hinter dem auch Helge Schwarzer (13,39) und Thomas Blaschek (13,53) die WM-Norm erfüllten (15, 55).

So schritt das Ereignis voran. Geschichte um Geschichte, Szene um Szene. Es war, als würden die wenigen Enttäuschungen sogleich wettgemacht von neuen Coups entschlossener WM-Kandidaten, und dabei war gar nicht alles WM-Norm, was glänzte. Erster Tag, drittes Finale, nach dem Rennen: Der Tübinger Hindernisläufer Filmon Ghirmai hat sich zufrieden bei Block D niedergelassen und berichtet strahlend, wie er im Spurt den Kieler Steffen Uliczka auf Distanz gehalten hat, in 8:38,27 Minuten, die weit vorbei sind am WM-Standard von 8:23, 00.

Der Kampf um die Norm

Filmon Ghirmai kennt die Normenjagd gut, er hat sie oft verloren, der Frust darüber stand ihm immer wieder im Gesicht, und auch dieses Jahr dürfte er sich vergeblich darum bemühen. Aber Ghirmai lacht. Er berichtet, dass er seit diesem Jahr nur noch Leistungssportler sei, nicht mehr Profisportler, dass er seine zwei Trainingseinheiten täglich jetzt neben seinem Job in der Marketing-Abteilung eines Teigwaren-Herstellers bewältigt. "Die nötige Regeneration fehlt", trotzdem gefällt ihm sein anstrengenderes Sportlerleben besser als das vorige, in dem ihn eine verpasste Norm schwer betrübte. In Heusden wird er demnächst noch einen Anlauf starten, aber ohne Zwang. "Die Norm wäre überperfekt", sagt Filmon Ghirmai und ist jetzt schon zufrieden. Es ist, als habe bei ihm das Gute gesiegt über die bösen Geister des erzwungenen Ehrgeizes.

Später geht noch einmal Ariane Friedrich über die Bühne. Das heißt, sie geht ab. Sie nimmt den Ausgang bei Block G und steuert zum Parkplatz mit Günter Eisinger, ihrem Trainer. Sie trägt ein pinkes beinfreies Etwas, das an ein Tenniskleid aus der Bonbon-Farben-Ära erinnert. Sie hat noch einen Termin im Aktuellen Sportstudio, mit dem sie gegen Mitternacht noch einen Beitrag leisten wird im Kampf ihres Sports um mehr Aufmerksamkeit. Diesmal ohne Gegenfragen und Augenverdrehen.

© SZ vom 06.07.2009/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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