Leichtathletik: Der Fall Semenya:Südafrika fühlt sich erniedrigt

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Der Geschlechtstest von 800-Meter-Weltmeisterin Semenya erhitzt in Südafrika die Gemüter. Die Rede ist von Rassismus und Imperialismus.

Der Geschlechtstest von Südafrikas 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya wird in ihrer Heimat immer mehr zum Politikum. Von Gewerkschaftern über Studenten bis hin zum Sprecher des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) reicht die Woge der Empörung. In hitzigen Reaktionen werden Rassismus, Imperialismus und eurozentrischer Neid bemüht, die der 18 Jahre alten Studentin eine traumatische Erfahrung ohnegleichen bescheren.

Der Fall Caster Semenya entwickelt sich zum Politikum. (Foto: Foto: ddp)

Der ANC äußerte heftige Kritik. Sprecher Brian Sokutu: "Was passiert ist, ist die erniedrigendste Erfahrung, die je einem internationalen Sportler zuteil wurde. Wir haben Caster gebeten, die Medaille für alle von uns in Südafrika anzunehmen."

In der offiziellen Mitteilung der südafrikanischen Nachwuchsorganisation der an der Kap-Regierung beteiligten Kommunistischen Partei (SACP) hieß es: "Das klingt nach schlimmstem Rassismus; es repräsentiert eine Mentalität, die konform mit einem weiblichen Schönheitsideal der weißen Rasse geht." Der Verband der südafrikanischen Fußballspieler erklärte: "Es zeigt, dass diese imperialistischen Länder es sich nicht erlauben können, das Talent, das Afrika als Kontinent hat, zu akzeptieren."

Nach Informationen der südafrikanischen Tageszeitung Times wollte Weltmeisterin Semenya die Goldmedaille ablehnen - aus Protest über den umstrittenen Geschlechtstest, sagte der Vorsitzende des südafrikanischen Leichtathletik-Verbandes, Leonard Chuene. "Sie erklärte mir, nicht aufs Podium gehen zu wollen, doch ich habe ihr gesagt, sie müsse es tun. Sie sagte mir: 'Niemand hat mir je erklärt, dass ich keine Frau sei... Ich bin kein Junge! Warum hat man mich hierher gebracht - man hätte mich zu Hause in meinem Dorf lassen sollen'."

Ihr Vater Jacob betonte laut Times: "Wir sind mit ihr einer Meinung: Sie hätte diese Medaille besser ablehnen sollen!" Männlich wirkende US-Tennisspielerinnen würden auch nicht angezweifelt. Für die südafrikanischen Medien war klar, dass Semenya trotz gelegentlicher Zweifel an ihrem Geschlecht bei auswärtigen Sportveranstaltungen eine Frau ist, die weniger auf Make-up als auf Leistung Wert legt.

Es wäre für sie einfach gewesen, sich vor dem Start in Berlin als Frau in Schale zu werfen, meinte die Wochenzeitung Mail & Guardian. Das jedoch hätte nicht auf der Prioritätenliste der jungen Frau gestanden: "In ihren Augen war die Frage nach ihrem Geschlecht kristallklar: Sie ist eine Frau, die nichts anderes zu beweisen hat, als das Rennen zu gewinnen."

Wiederholt Fälle in der Vergangenheit

Semenya, die am Dienstag in ihre Heimat zurückkehren wird, hatte am Mittwoch den WM-Titel über 800 Meter in der Weltjahresbestzeit von 1:55,45 Minuten gewonnen. Sie musste aber zu einem Geschlechtstest, obwohl ihr Trainer und der Leichtathletikverband ihres Landes erklärten, sie seien nicht darüber informiert gewesen. Die Ergebnisse der genetischen Untersuchung sollen innerhalb einer Woche vorliegen.

Die Zeitung Sowetan veröffentlichte ein Interview mit Noko Matlou, der Stürmerin des südafrikanischen Frauen-Nationalteams Bayana Bayana. Sie hatte 2007 bei einem Länderspiel gegen Ghana ähnlich erniedrigende Erfahrungen machen müssen und riet Semenya: "Ich weiß aus eigener Anschauung, was sie durchmacht; sie weiß, wer sie ist, und obwohl es schwierig ist, muss sie die Ignoranz einfach nicht beachten und weiter machen."

In der Vergangenheit gab es wiederholt Fälle, bei denen Tests zutage förderten, dass Männer unwissentlich als Frauen an den Start gingen. Die in Polen geborene Amerikanerin Stella Walsh etwa holte 1932 in Los Angeles über 100 Meter Olympiagold und vier Jahre später in Berlin Silber. Als sie 1980 bei einem Überfall erschossen wurde, stellte sich heraus, dass Walsh männliche Geschlechtsorgane hatte.

Bei den Asienspielen 2006 in Doha musste die indische Leichtathletin Santhi Soundarajan ihre 800-Meter-Silbermedaille wieder abgeben, nachdem bei einem Geschlechtstest herausgekommen war, dass sie von der Chromosomen-Konstellation männlich ist. Anschließend versuchte Soundarajan, sich das Leben zu nehmen.

Normalerweise weisen Frauen zwei X-Chromosomen (XX) in ihren Zellen auf, Männer ein X- und ein Y-Chromosom (XY). Manche mit einem Y-Chromosom geborene Menschen entwickeln alle körperlich charakteristischen Merkmale einer Frau - ausgenommen der inneren Sexual-Organe. Sie leiden unter dem Androgen-Insuffizienz-Syndrom (AIS). Diese Frauen sind XY, allerdings kein Mann, weil ihr Körper nicht auf das produzierte Testosteron reagiert.

Doch das Geschlecht eines Menschen ist nach Auskunft der Berliner Genetikerin Heidemarie Neitzel nicht so leicht zu bestimmen, wie es gemeinhin scheint. "Man kann das nicht immer so einfach determinieren, die Übergänge zwischen Mann und Frau sind fließend", erläuterte die Leiterin der Zytogenetik an der Berliner Universitätsklinik Charité im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Ausschlaggebend sei nicht allein das in der Regel nur bei Männern vorkommende Y-Chromosom. "Vor 20 bis 30 Jahren hätte man gesagt, wenn ein Y da ist, ist jemand männlich. Heute wissen wir, dass es nicht mehr so klar ist."

So gebe es Männer ohne und Frauen mit Y-Chromosom. "Wir kennen heute Gene, bei denen eine einzelne Mutation dafür sorgt, dass jemand mit einem Y-Chromosom sich zur weiblichen Seite entwickelt", erläuterte Neitzel. Auch die Untersuchung des Hormonspiegels sei nicht unbedingt eindeutig. "Es gibt Beispiele, wo Androgene wie Testosteron in männlicher Dosierung vorhanden sind, aber von den Zellen nicht erkannt werden. Diese Menschen sind physiologisch und psychologisch weiblich", berichtete die Professorin vom Institut für Humangenetik.

© sueddeutsche.de/dpa/sid/aum/segi/lala - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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