Leichtathletik bei Olympia:Eingeklemmt vor der Rempelei

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Durchschnaufen und hoffen: Im Ziel ist die fünftplatzierte Katharina Trost (Zweite von rechts) zunächst enttäuscht, später kann sie sich fürs Halbfinale einiges vornehmen. (Foto: Olaf Rellisch/imago)

Christina Hering und Katharina Trost werden in ihren 800-Meter-Vorläufen jeweils Fünfte, doch nur eine hat es damit ins Halbfinale geschafft. Sprinterin Alexandra Burghardt gewinnt zum Auftakt souverän.

Von Andreas Liebmann, München

Christina Hering musste gleich zweimal zittern, ehe sie wusste, dass es aus und vorbei war. Ehe sie zugeben musste, dass sie "supersuperenttäuscht" ist. Fünfte war die 800-Meter-Läuferin von der LG Stadtwerke München in ihrem Vorlauf am Freitagmorgen in Tokio geworden, genau wie einen Vorlauf vor ihr ihre Freundin und Trainingskollegin Katharina Trost. Die beiden 26-Jährigen fieberten nun also gemeinsam mit während der drei noch ausstehenden weiteren Vorläufe. Würden sie über ihre Zeiten am Ende doch noch ins Halbfinale gelangen?

Und dann legte der Deutsche Leichtathletik-Verband auch noch Protest für die 1,87 Meter große Hering ein, denn es hatte eine Rempelei gegeben, etwa nach 600 Metern. Sie habe selber nicht wirklich gewusst, inwieweit sie in dieser Szene behindert worden sei, sagte sie - aber dass sie dabei zwei, drei Meter verloren hatte, das wusste Hering. Die Videos hätten dann allerdings gezeigt, dass sicher keine Absicht vorlag, dass es eben ein Vorfall war, wie er im Positionsgerangel dieser Strecke nun mal vorkommt, und dass es damit endgültig vorbei war für sie. Es sei noch gar nicht so ganz bei ihr angekommen, dass sie ihr ganz großes Ziel verfehlt habe, "mal zeigen zu können, was ich wirklich draufhabe", sagte die deutsche Abonnementmeisterin über diese Strecke einige Stunden nach dem Rennen.

Etwas Pech, eine kleine Rempelei - und am Ende große Enttäuschung: Christina Hering ist im Vorlauf ausgeschieden. (Foto: Michael Steele/Getty Images)

Sie hatten also gemeinsam gezittert, dann aber trennten sich die Wege der beiden Münchnerinnen - denn Trost hat das Halbfinale erreicht. Mit ihrer Zeit von 2:00,99 Minuten war sie nicht nur schneller als Hering (2:02,23), sondern zog auch ins Halbfinale ein, als erste Deutsche auf dieser Strecke seit dem Jahr 2000. "Als ich gestern die Startlisten gesehen habe, musste ich erst mal schlucken", sagte die junge Lehrerin, das Niveau sei "echt extrem", im Vergleich zur WM "noch mal ein Level drüber". Auf den letzten Drücker hatte sich Trost für Olympia qualifiziert, als sie mit 1:58,68 erstmals unter zwei Minuten geblieben war, am 20. Juni im polnischen Chorzow. Nun lag sie an sechster Stelle, als es in die zweite Runde ging, fiel sogar auf Platz sieben, doch am Ende hätte sie beinahe sogar noch die viertplatzierte Halimah Nakaayi aus Uganda eingeholt. Die anfängliche Enttäuschung über Rang fünf wich später natürlich der Erleichterung. Wie dramatisch es bei Olympia zugehen kann, bekam Trost dann auch gleich aus nächster Nähe mit, als die zweitplatzierte Noelie Yarigo (Benin) hinter der Ziellinie am Bein der Siegerin hängenblieb, strauchelte, umknickte und mit dem Rollstuhl aus dem Stadion gefahren wurde.

Christina Hering, die seit geraumer Zeit als Profi trainiert, hatte allerdings auch Pech, nämlich dergestalt, dass sie sich in ihrem besonders stark besetzten Vorlauf mit der Jahresschnellsten Athing Mu (USA) ausgerechnet an die Fersen der Kanadierin Melissa Bishop-Nriagu hängte, von der sie dann völlig verblüfft war, dass diese nach anfänglicher Führungsarbeit bewusst auf die Bremse drückte. "Das hat für uns alle das Rennen irgendwie ein bisschen kaputt gemacht", sagte Hering in der Mixed Zone. Der Lauf wurde langsam. Als die Ersten an der am Ende viertplatzierten Kanadierin vorbeizogen, war Hering noch immer hinter ihr eingeklemmt, dann kam die Rempelei - und als es in den Zielspurt ging, die Stärke der Münchnerin, da liefen ihre langen Beine nicht mehr ganz so rund wie nötig, um noch aufzuholen.

Ihre beeindruckende Form hat Alexandra Burghardt mit dem Gewinn ihres Vorlaufs bewiesen. (Foto: Olaf Rellisch/imago)

Ihre beeindruckende Form deutlich zu unterstreichen, gelang gut drei Stunden später der Sprinterin Alexandra Burghardt. Die 27-Jährige aus Töging, die für die LG Gendorf Wacker Burghausen startet, gewann ihren 100-Meter-Vorlauf in 11,08 Sekunden vor der US-Amerikanerin Javianne Oliver, nur sieben Hundertstel über ihrer Bestzeit. "Ich hatte ein, zwei komische Schritte am Start", stellte sie später fest, technisch sei das nicht so gut gewesen. Fürs Halbfinale peile sie nun einen perfekten Lauf mit persönlicher Bestzeit an. 2016 war Burghardt nur als Staffel-Ersatz dabei, es war also ihre Olympia-Premiere. Auch für Trost war es das Debüt. 2019 bei der Weltmeisterschaft in Doha hatte sie schon einmal das Halbfinale erreicht, sei dort aber "noch vollkommen überwältigt" gewesen. Am Samstag wolle sie "mit mehr Mut und mehr Kraft an die Sache gehen" als damals. Auch in Doha war Hering im Vorlauf ausgeschieden, damals litt sie an der Hitze. Nun kann sie erneut nur ihrer Teamkollegin die Daumen drücken.

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