Langlauf:Jahr eins nach dem Übertraining

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Mit ihrem lauten Bundestrainer Behle suchen die deutschen Langläufer nach neuen Siegen.

Thomas Hahn

Farblos und versunken liegt Kuusamos Landschaft in diesem Tag, der nicht hell werden will. Hinter dem Horizont ist keine Welt, nur Nebel. Es schneit, es weht ein steifer Wind, es herrscht ein finnisches Sauwetter, das gleich zum Auftakt des Nordic Openings in der Skistation Ruka die ersten Verschiebungen verlangt. Eine Stimme knattert durch den Nebel, sie sagt, das Sprungtraining der Kombinierer finde noch eine Viertelstunde später statt. Im Pressezentrum raunen sie, der Weltcup-Auftakt der Spezialspringer am Abend sei in Gefahr. Aber die Langläufer laufen, weil es für sie kein schlechtes Wetter gibt. Eine Gruppe Norweger schürft eilig zum Stadion hinauf, Abfahrer gleiten in den Wald hinein, der sich nur in Schemen vom milchigen Weiß des skandinavischen Winters abhebt, und auch die Deutschen sind da. Claudia Nystads blonder Zopf fliegt durchs Schneegestöber. Dann der gefrorene Bart des Thüringer Weltmeisters Axel Teichmann. Dann Jens Filbrichs spitzes Kinn. Sie laufen ruhig und konzentriert. Sie wirken trotzig.

Unter Querdenker Jochen Behle haben die Langläufer Medaillen gesammelt. (Foto: Foto: ddp)

Die nächste Saison hat begonnen für die deutsche Langlauf-Nationalmannschaft, das nächste Kapitel in ihrer Saga, die vor bald zehn Jahren mit ersten zaghaften Erfolgen begann. Seit 1999 ist Jochen Behle, der frühere Geschäftsathlet und Querdenker, beim Deutschen Ski-Verband (DSV) beschäftigt, zunächst als Weltcup-Koordinator, ab 2002 als Chefbundestrainer. Seit 1999 haben die deutschen Langläufer keine große Meisterschaft mehr ohne Medaille verlassen. So erfolgreich ist die Mannschaft in den vergangenen Jahren gewesen, dass man gar nicht mehr so genau weiß, wie das früher war, als DSV-Langläufer vor allem als zerstrittene Hinterherläufer auffielen.

Aber in der vergangenen Saison hat der Zauber an Kraft verloren, zumindest in der Wahrnehmung sehr strenger Beobachter, wie Thomas Pfüller einer ist, der DSV-Sportdirektor, der für seine Langläufer einen "schwächeren Winter" notierte. In Wirklichkeit war der Winter nämlich gar nicht so schwach, immerhin beendete René Sommerfeldt ihn als Zweiter des Gesamtweltcups, Teichmann feierte Weltcup-Siege, und bei den Frauen waren Claudia Nystand und Evi Sachenbacher-Stehle als Achte und Zehnte solide platziert. Der höchste Anspruch hat sich eben nicht beliebig abrufen lassen. Tobias Angerer, zuvor zweimal in Serie Weltcup-Gesamtsieger, versackte auf Rang 16 der Weltrangliste. Teichmann wurde auf Rang acht durchgereicht, Jens Filbrich, WM-Dritter über 50 Kilometer von 2007, landete auf Rang 31. Das reicht, um unzufrieden zu sein.

"Das müssen wir auf unsere Kappe nehmen"

Jedenfalls kann Jochen Behle jetzt zeigen, dass er zur Selbstkritik fähig ist. Erhöhte Trainingsumfänge haben er und seine Assistenten in den Stützpunkten vergangene Saison angeschlagen und dabei leicht übertrieben. Der Prominenz fehlte die gewohnte Frische. "Das müssen wir auf unsere Kappe nehmen", sagt Behle, "und das haben wir auch getan." Das Tief hat kein WM- oder Olympia-Jahr getroffen, deswegen fand Behle es von Anfang an vertretbar, nun soll es die Grundlage für ein neues Hoch sein: "Du machst so eine Saison nicht umsonst." Längst sind die Pläne korrigiert, und beim Weltcup-Auftakt voriges Wochenende in Gällivare, bei dem Tom Reichelt über 15 Kilometer als Vierter überraschte, will Behle seine Führungsläufer trotz mäßiger Platzierungen wieder in Reichweite zur Spitze gesehen haben. Sommerfeldt nennt der Bundestrainer "Sorgenkind", weil den seine neuen Schuhe in Gällivare so drückten, dass er mit Schmerzen nur 54. wurde. Ansonsten wirkt Behle nicht sehr beunruhigt.

Konflikte gibt es trotzdem, und man kann nicht sagen, dass Behle sie sehr besonnen führt. Zum Thema Doping spricht er weiterhin vor allem laut. In Ruka wiederholte er seine Forderung nach lebenslangen Sperren. Und auf die Bekanntmachung des Antidoping-Experten Bengt Saltin, Blutprofile hätten fünf Weltcup-Starter als Blutdoper entlarvt, ruft er: "Dann sollen sie bitte auch sagen, wer die fünf sind, dann kann man sie direkt fragen. Wieder gibt es einen Generalverdacht." Im eigenen Team wiederum blickt er mit gewisser Skepsis auf Ismo Hämäläinen, Ruhpoldings Stützpunkttrainer mit den Spezialgebieten DSV-Sprint und -Frauenteam. Dass Hämäläinen den Niederbayern Josef Wenzl trotz krankeitsbedingter Trainingspause schon am Samstag im Klassik-Sprint von Kuusamo einsetzt, findet Behle falsch ("Ich hätte ihn nicht starten lassen"). Und dass besonders die Frauen die umgängliche Art des Finnen schätzen, gefällt ihm zwar, andererseits fragt sich Behle, ob der gute Ismo nicht irgendwann zu rücksichtsvoll sein wird. "Ab und zu muss ich auch mal eine Linie haben", sagt Behle und schiebt nach: "Ich habe gar kein Problem mit dem Ismo."

Das sind die Töne der Behleschen Musik, die Mannschaft lebt schon geraume Zeit damit. 2007 gab es Ärger, weil die Frauen sich Behles schroffen Ton verbaten, anschließend bestellte der DSV Hämäläinen als Frauen-Beauftragten. Ansonsten hörten sie daran vorbei und liefen. Bei jedem Wetter.

© SZ vom 29.11.2008/agfa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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