Kritik an 1860-Trainer:Zermürbende Emotionen

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Beim Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München ist eine Diskussion um Trainer Reiner Maurer entbrannt. Dabei redet fast jeder mit, nur der Geschäftsführer weilt im Urlaub - und der Investor bleibt sich treu: Er meldet sich gar nicht.

Markus Schäflein

Steht zunehmend in der Kritik: 1860-Trainer Reiner Maurer. (Foto: dapd)

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut beim Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München - gerade weil der ehemalige Klubpatriarch Karl-Heinz Wildmoser das in seiner von 1992 bis 2004 währenden Ära das etwas anders gesehen hat. Nirgendwo sonst reden die Anhänger, geprägt von jenen Zeiten, so schnell von Zensur und Diktatur. Das muss man wissen, um zu begreifen, weshalb dieses große Plakat so lange am Trainingsgelände hängen blieb. "Ein Trainer ohne Emotin zermürbt Spieler, Fans, ja den ganzen Verein", hatte ein Fan darauf geschrieben (während dem angesprochenen Reiner Maurer mutmaßlich die Emotion fehlt, fehlte dem Plakat ein "o"). Die Mannschaft trainierte einfach weiter, als hätte da jemand eine neue Werbebande aufgestellt.

Nach einem Punkt aus den vergangenen vier Zweitliga-Spielen nimmt der Druck auf Maurer stetig zu. Und das liegt nicht so sehr an dem eigentümlichen Plakatprojekt und auch eher nicht an der Tabellensituation - nur fünf Punkte beträgt der Abstand auf den Aufstiegs-Relegationsplatz dank des guten Saisonstarts; den Aufstieg mit der neugestalteten Mannschaft hatte zumindest offiziell auch niemand als Ziel ausgegeben. Es liegt eher am Verhalten sämtlicher Protagonisten. Erst äußerte sich nach dem 0:2 gegen den FC St. Pauli der Spieler Daniel Halfar, im offiziellen Fantalk: "Wir haben kein System. Jeder rennt rum, wo er will. Wir stehen nie kompakt. Es ist einfach Scheiße." Dann kam Präsident Dieter Schneider zu Wort: Es gebe im Fußball "gewisse Gesetze", sagte er, und auf die Frage, ob er sich eine Trainerentlassung vorstellen könne, antwortete er: "Gute Frage, nächste Frage."

Am Dienstag war dann Sportdirektor Florian Hinterberger an der Reihe, der eigentlich nur eine Vorlesung an einer Münchner Hochschule für Medien und Kommunikation halten wollte, dann aber von Studenten zur aktuellen Lage befragt wurde. "Reiner Maurer und ich wurden in der Öffentlichkeit immer als Duo gesehen", sagte er, was prompt in eine Münchner Boulevardzeitung gelangte: "Dem ist aber nicht so. Die Absprache zwischen uns muss sehr eng sein. Aber ob der Trainer Maurer oder Müller heißt, kann ich nicht ändern. Mein Schicksal ist nicht mit dem von Reiner Maurer verbunden." Wenn man berücksichtigt, dass Hinterberger sich und Maurer in der Vergangenheit natürlich selbst als Duo sah und dass er als Sportdirektor in der Trainerfrage selbstverständlich mitzureden hat, wird diese Aussage schon bemerkenswert.

Die Sache mit der Meinungsfreiheit nehmen sie beim TSV 1860 also wirklich ernst. Ob es von den einzelnen Protagonisten jeweils so beabsichtigt war oder nicht - der Trainer geht angezählt ins wichtige Spiel am Sonntag beim Tabellenfünften FSV Frankfurt (13.30 Uhr). Dort laufen die Löwen Gefahr, den Anschluss an die Spitzengruppe zu verlieren. Maurer sieht die Aussagen nicht so dramatisch und das Übel eher im System 1860: "Im Prinzip ist es doch wurscht, was man hier sagt", meint er, "allgemein wird bei Sechzig in alles etwas reininterpretiert. Nach einem Spiel wie gegen St. Pauli hast du immer einen Müllberg, den du fressen musst."

Unzufrieden mit dem Spielsystem bei 1860: Daniel Halfar übte öffentlich Kritik. (Foto: dapd)

Verbale Beschwichtigung, wie sie in langweiligen anderen Vereinen in solchen Situationen üblich ist, kommt lediglich aus dem fernen Vietnam. Dort befindet sich 1860-Geschäftsführer Robert Schäfer, er ist gut drei Wochen im Backpacker-Urlaub. Während andere Touristen das Thang-Long-Wasserpuppentheater am Hoan-Kiem-See besuchen, nimmt Schäfer telefonisch am Münchner Theater teil. "Es ist ein Prozess im Gange, der mich optimistisch stimmt", teilte er mit. "Florian Hinterberger und ich haben mit den Spielern gesprochen." Das wirft Fragen nach Schäfers Telefonrechnung auf, hat sich aber nach seinen Angaben gelohnt. "Die Spieler machen sich Gedanken, ich habe den Eindruck, sie wollen es wirklich wissen." Maurer sei ja "aufgeschlossen für konstruktive Vorschläge", daher sei er "optimistisch", sagte Schäfer.

Investor Hasan Ismaik, der 49 Prozent der stimmberechtigten Anteile an der Profifußball-KGaA hält, tritt in dem Durcheinander nicht in Erscheinung - was nicht überrascht, weil er nie in Erscheinung tritt. Sein Münchner Statthalter Hamada Iraki richtete immerhin unter Verweis auf die bisherigen Verdienste des Übungsleiters aus: "Wir stehen hinter Maurer, 1860 hat kein Trainerproblem."

Maurer verrichtet seine Arbeit unterdessen einfach weiter, gewohnt stoisch und akribisch. Er lässt viel elf gegen elf spielen in dieser Trainingswoche, "damit wir das Herausspielen besser machen und mehr Sicherheit haben". Dass die ganze Sache auch bei dem vermeintlich nicht mit Gefühlen ausgestatteten Trainer nicht spurlos vorübergeht, erklärt er auf seine eigene Weise: "Ich träume ja schon von Sechzig", sagt Maurer, "aber zum Glück kann ich mich nie an meine Träume erinnern." Wer das schon widersprüchlich findet, muss sich noch einmal mit dem Protest-Plakat auseinandersetzen. Schließlich sind es traditionell gerade die Emotionen, die diesen Verein zermürben.

© SZ vom 08.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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