Bundesliga:Der Videobeweis beugt Spielmanipulation vor

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Das Videoassistcenter in Köln. (Foto: dpa)

Statt zu zweifeln muss die Fußball-Branche schnell die Geburtsfehler des Videobeweises beheben. Das sollte im Jahr 2017 möglich sein.

Kommentar von Thomas Kistner

Houston, wir haben ein Problem!", hieß es damals aus dem All. Nach einer Explosion im Tank musste Apollo 13 die Mission abbrechen; Monate später landete Ap ollo 14 auf dem Mond.

Es ist ein halbes Jahrhundert her, und Aufgeben war nie eine Option in der Welt des Fortschritts, der alle Lebensbereiche durchdringt. Längst arbeitet der Mensch virtuell; natürlich betrieb auch der Sport, der oft mit feinster Elle messen muss, seine Optimierung. Fechten, Hockey, Tennis, Ski: Überall gibt es den Videobeweis.

Überall? Stopp. Wie Asterix und Co. pfiff im Sport jahrzehntelang eine stolze, starke Truppe auf das unbestechliche Videoauge. Sie begründete dies stur mit der Romantik, die im Profigeschäft flöten ginge, wenn die Fans nicht mehr über Mysterien wie das Wembley-Tor streiten könnten. Der Fußball tat so, als gäbe es noch immer diese grießigen TV-Bilder von anno 1966 - dabei offenbart heute eine hochauflösende Bildqualität den Flug des kleinsten Grashalms. Moderne Technik entschlüsselt Tor- und Abseitsfragen, sie unterscheidet Fouls von Schwalben. In den allermeisten Fällen.

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Am Ende mussten sich die Funktionäre dem Druck der Vernunft beugen. Immer öfter sah das Publikum glasklar Dinge, die nur einer einzigen Person verborgen bleiben mussten: dem Schiedsrichter, der sie zu beurteilen hat. Sein Auge ganz allein sollte mehr als 7000 Quadratmeter Rasen rastern. Geht's noch?

Der menschliche Irrtum passt perfekt zur Spielmanipulation

Allen voran die Referees selbst forderten seit Jahren die Kamerahilfe, was deren Bedeutung unterstreicht. Endlich, mit der neuen Bundesligasaison, ist das Projekt Videobeweis gestartet worden. Leider auch mit Pannen: Mal riss der Funkkontakt zum Schiedsrichter, dann fiel die für Abseitsentscheide relevante kalibrierte Hilfslinie aus. Das sind Peinlichkeiten im Roboterzeitalter. Man darf und muss aber erwarten, dass solche Dinge flott zu beheben sind.

Aber: Die Branche reagierte zunächst anders auf die Lappalie. Womöglich müsse man nun "zurückgehen zur alten Form ohne Videoassistenten", fand Hellmut Krug. Er ist der Leiter des Videoprojekts - dessen Scheitern er damit bereits in den Raum stellte. Stellt also der Projektleiter nach nur einem Spieltag sein ganzes Projekt infrage, sei daran erinnert: Das Videoauge war nie gewünscht bei den Sachwaltern des Fußballs. Obwohl - oder weil? - der menschliche Irrtum, verbrämt als Tatsachenentscheidung, die selbst im dümmsten Fall Bestand hat, perfekt zur stillen Spielmanipulation taugt. Verschobene Titel und Abstiege in den Topligen von der Türkei bis Spanien wurden nie ernsthaft geklärt.

Der Wert des Videobeweises liegt (neben der sauberen Urteilsfindung) darin, dass auf dem Rasen die Zivilisation einzieht. Mächtige Klubs, große Namen, tobende Stars verlieren an Einfluss, wenn Urteile fernab des Spielfelds in einem Videocockpit fallen und der Schiri sie nur vollzieht. Aus Sicht der Mächtigen ist das kein Gewinn, eher eine brenzlige Entwicklung. Halten deshalb gerade sie so an der Romantik krasser Fehlpfiffe fest?

Noch hat die Branche wenig begriffen. Ihr Tenor lautet: Funktioniert der Videobeweis wie zum Auftakt nur partiell, mache er das Spiel ungerechter statt gerechter. Originelle Betrachtungsweise - was ist ungerecht daran, wenn wenigstens schon einige korrekter beurteilt werden? Lässt sich Recht mit Unrecht aufwiegen?

Ein halbes Jahrhundert nach der Mondlandung wird der Videobeweis auch am zweiten Bundesliga-Wochenende fortgesetzt, wie am Freitag mitgeteilt wurde, verzichtet wird nur auf die kalibrierte Abseitslinie. Das geschieht mit dem Risiko, dass wieder ein Funksignal klemmt. Alles andere aber wäre verheerend für den Hightechstandort Deutschland. Und entlarvend für seinen Fußball.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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