Der britische Radprofi Christopher Froome, 32, hat vier Mal die Tour de France gewonnen, 2013, 2015, 2016 und 2017. Das reicht aber nicht. Jacques Anquetil hat sie fünf Mal gewonnen. Eddy Merckx hat sie fünf Mal gewonnen. Bernard Hinault hat sie fünf Mal gewonnen. Miguel Indurain hat sie fünf Mal gewonnen. Froome muss sie noch mindestens ein Mal gewinnen, sonst kann er das wirklich vergessen mit der Unsterblichkeit. Sonst erinnern sich irgendwann alle bloß an sein Scheitern.
Allerdings, und das macht die Sache jetzt verzwickt: 2018 wird das für Froome schwer wie nie! Das liegt nicht bloß an der Streckenführung, viel Kopfsteinpflaster, nur ein Einzelzeitfahren. Sondern daran, dass Froome - Radsport-Aficionados verspüren allein bei dem Gedanken ein wohliges Surren im Hinterkopf - sechs Wochen vorher bereits versuchen wird, beim Giro d'Italia zu triumphieren. Das kann kaum gutgehen. Muss aber sein. Anquetil hat Giro und Tour im gleichen Jahr gewonnen (1964), Merckx (1970, '72), Hinault (1982, '85) und Indurain (1992, '93) ebenfalls. Froome hat da keine Wahl.
Froome wollte Giro und Tour in einem Jahr gewinnen - jetzt ist er der nächste große Dopingfall
Anquetil, das nur nebenbei, hat später mit seiner minderjährigen Stieftochter ein Kind gezeugt, ein Mädchen, Sophie. Merckx wurde der "Kannibale" genannt, was die Sache nur teilweise traf: Wie sich später herausstellte, zählten auch Kortikosteroide zu seinen Leibspeisen. Damals war man da noch nicht so streng. Sportler haben Geheimnisse und Abgründe, manche davon bringt ihr Beruf geradezu mit sich, aber Abgründe stehen nicht in den Siegerlisten. Dort stehen nur Rekorde, und die sind dann der Maßstab für kommende Generationen. Die Referenzgröße für die Erfolge der Gegenwart. Die Eintrittsschwelle zum Heldentum.
"Die Motivation, weitere große Dinge zu vollbringen, ist da", hat Froome im Spätsommer gesagt - da war ihm gerade erst dieses große Ding gelungen: Nach der Schleife durch Frankreich hatte er auch die Schinderei durch Spanien gewonnen, die Vuelta. Als Erster seit 39 Jahren. Gut möglich aber, dass Christopher Froome nun gar nicht die Gelegenheit bekommt, 2018 das Schreckensdouble aus Giro und Tour zu verwirklichen. Weil der Weltverband UCI ihn eigentlich aus dem Verkehr ziehen muss. Am 7. September, es war der Tag eines grandiosen Comebacks im Kantabrischen Gebirge, wies seine Dopingprobe doppelt so viel Salbutamol auf wie erlaubt.
Für den Fortgang seiner persönlichen Heldengeschichte wird es jetzt darauf ankommen, ob die von seinem Team Sky beauftragten Anwälte einigermaßen schlüssig dieses Bild zeichnen können: Wegen seiner Asthma-Beschwerden habe Froome das Hustenmittel in erlaubter Dosis eingenommen - und dann dennoch in unerlaubter Dosis im Urin gehabt. Für den Radsport sind die Details indes fast schon unerheblich. Der ewige Pharma-Kreislauf, er hat sich den nächsten Seriensieger geholt.
Jetzt nennt man Christopher Froome in einem Atemzug mit Lance Armstrong.
Der historische Bezug ist wichtig im Sport, er setzt Leistungen ins Verhältnis, lädt sie mit Bedeutung auf. Aber eine Radsport-Gemeinde, die ihre Pedaleure stets an den wenigen Heroen der Vergangenheit misst, die noch ohne Doping-Fußnote in den Siegerlisten stehen, ignoriert den riesigen Schatten, der über allem liegt. Der letzte Fahrer, der Giro und Tour im selben Jahr gewann, war 1998 zum Beispiel: Marco Pantani. Heute weiß man: Auch er dopte. Und starb an einer Überdosis Kokain. Sein Grabstein steht auf dem kleinen Friedhof des Badeorts Cesenatico, er hat die Form eines Berges mit Serpentinenstraßen. Das Grab ist eine Pilgerstätte. Für einen falschen Helden.