Klitschko vs Powetkin als Spielfilm:Doch der Russe bleibt stehen

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Kämpferherz gegen Steelhammer: Alexander Powetkin (l.) hat gegen Wladimir Klitschko keine Chance. (Foto: dpa)

Viel Boxen und wenig Show: Weil der Russe Alexander Powetkin einfach nicht K.o. gehen will, muss Schwergewichts-Weltmeister Wladimir Klitschko zwölf Runden arbeiten. Da bleiben für George Foreman und die pfeifenden Zuschauer nur Nebenrollen. Der Kampf des Jahres als Spielfilm.

Von Saskia Aleythe, Moskau

Vor dem Kampf: Für manche Menschen sind Boxkämpfe nicht mehr als eine Show. Wladimir Klitschko und Alexander Powetkin sparten sich diese vor dem Kampf in Moskau, die Eckdaten der Veranstaltung waren spektakulär genug. Da war nicht nur die Kampfbörse von 23,3 Millionen US-Dollar, sondern auch das Boxspektakel in Moskau, bei dem Staatschef Wladimir Putin ein Platz freigehalten wurde. Und da war Alexander Powetkin, der derzeit würdigste Gegner für Wladimir Klitschko auf dem Planeten mit dem Auftrag, Russland über die Ukraine siegen zu lassen und das Ende der Klitschko-Ära einzuläuten. "Er ist der schwierigste Gegner, den ich je vor meinen Fäusten hatte", sagte Klitschko in gewohnt höflicher Manier und auch Powetkin würdigte den 37-Jährigen: "Er ist Weltmeister, da muss man nicht mehr sagen".

Gegenüberstellung: Alexander Powetkin ist zwar der würdigste Herausforderer, aber physisch dem Ukrainer unterlegen. Beim Wiegen konnte sich Powetkin für seine 102,8 Kilogramm feiern lassen, so austrainiert wie dieser Tage hat die Boxwelt den einstigen Teddy im Ring wohl noch nie gesehen. Und doch kommt er an das Kraftpaket Klitschko nicht heran. Dieser überragt ihn zehn Zentimeter und bringt fast sieben Kilo mehr auf die Waage. Zwar kann Powetkin mit technisch ausgereiftem Boxen überzeugen, er ist ein Vielschläger, der gern gegen den Körper geht. Aber Klitschko ist halt Klitschko. Und nicht ohne Grund der "Steelhammer".

Neben dem Ring: Kämpfe, zu denen George Foreman erscheint, müssen ganz besondere sein. Und hätte vorher jemand angenommen, es würde sich nicht um einen speziellen Boxabend handeln, so wurde er durch die Anwesenheit des Ex-Boxers mit Legendenstatus vom Gegenteil überzeugt.

Akustisch ist vom Heimvorteil Powetkins vor dem Kampf nur wenig zu bemerken. Immer wieder hallen die Klitschko- und Wladimir-Anfeuerungsrufe durchs Publikum bis die Powetkin-Fans munter werden. Sie quittieren das ganze mit Pfiffen. Ohnehin setzen sie bis dahin eher auf optische Reize: Etliche Russland-Anhängern dürften wegen des eifrigen Fahneschwenkens in den nächsten Tagen ein Muskelkater plagen.

Einmarsch: "This will be a moment in heavyweight history", sagt Ringsprecher Michael Buffer, der sich fast unbemerkt in den Ring geschlichen hat. Was auch daran liegt, dass das Publikum auf George Foreman am RTL-Mikrofon starrt und hinter jeder Bewegung abseits des Rings Wladimir Putin entdecken will.

Powetkin wird von Buffer als erstes in den Ring gebeten. Das Publikum trampelt aufgeregt mit den Beinen, Powetkin kommt zwischen zwei singenden (Bade-)Mantelträgern aus dem Boden gefahren. Er guckt wie er immer guckt: etwas bedröppelt. Den Weg zum Ring schafft er aber ganz allein.

Die Klitschko-Anhänger sind eher gröl- als trampelfreudig. Klitschko wählt seine Lieblings-Einlaufmusik: "Can't stop" von den Red Hot Chili Peppers. Die Band ist nicht in Moskau erschienen, aber Klitschko schafft auch so den Weg an die Oberfläche. Mit persönlichem Gürtelträger hüpft er die Stufen hinunter, als wären das 80 und nicht fast 110 Kilogramm, die er zu bewegen hat. Während Powetkin auf den Boden schaut, fokussiert Klitschko seinen Gegner

Vorstellung der Boxer durch den Ringsprecher: Powetkin schaukelt mit dem Oberkörper, als er von Buffer vorgestellt wird. Er kann sich zu zwei, drei Schritten in die Ringmitte überwinden und reckt die rechte Faust nach oben. Das reicht dem Publikum für kollektiven Jubel. Klitschko wirkt zunehmend fokussiert, als Buffer seine Liste an Erfolgen zusammensammelt. Das Faust-Recken klappt auch bei ihm einwandfrei.

Runde 1: Klitschko läuft stürmisch in den Ring, als wolle er Powetkin mit Anlauf umhauen. Ein zögerliches Annähern ist das nicht, Powetkin geht auf den Körper, Klitschko hält ihn sich mit der Führhand vom Leib und setzt damit auch den ein oder anderen Treffer. Powetkin gelingen Körpertreffer, am Ende der ersten Runde liegt er aber am Boden. Allerdings mehr niedergerungen als umgehauen.

Runde 2: Powetkin liegt wieder am Boden, dieses Mal eher gestolpert. Zuvor ermahnt der Ringrichter Klitschko, den Russen nicht nach unten zu drücken. Powetkins Deckung ist mäßig, Klitschkos Schläge finden leicht den Kopf Powetkins. Auch der Russe kann Treffer setzen, indes recht wirkungslose Links-Rechts-Kombinationen an Klitschkos Körper.

Runde 3: Powetkin scheint es darauf anzulegen, von Klitschko getroffen zu werden, seine Arme decken alles, nur nicht seinen Kopf. Nun gelingen auch dem Russen mit seitlichen Schwingern und einem Aufwärtshaken Kopftreffer. Klitschko scheint das kalt zu lassen.

Runde 4: Es wird viel geklammert, dann muss Powetkin einstecken: drei Jabs, drei Kopftreffer, so leicht ist das für Klitschko. Noch ein paar Jabs später wird wieder geklammert. Am Ende der Runde wird auch beim Klammern noch geboxt, beide treffen sich mit Seitwärtshaken, Klitschko scheint sogar kurz zu wanken. Könnte aber auch nur der Gang zur Ringecke gewesen sein.

Runde 5: Beeindruckend ist Powetkin schon: Obwohl fast jeder Schlag von Klitschko sitzt, boxt er munter weiter. Das wird noch Spuren hinterlassen. Dem Russen gelingen aber auch zwei, drei Treffer an den Kopf des Ukrainers.

Runde 6: Powetkin wirkt träger als in den vorherigen Runden. Klitschko schiebt ihn einmal kurz durch die Seile, ihm kommt das gemächlichere Tempo aber auch ganz gelegen. Eine Runde im Wettklammern.

Runde 7: Powetkin stolpert nicht, er liegt trotzdem auf dem Boden: Und zwar gleich drei Mal, umgehauen von Klitschko, der seinen Kopf aus allen Positionen malträtiert. Doch Powetkin macht weiter. Klitschko scheint nun ein kräftiger Atemhauch zu genügen, um den Russen nach unten zu befördern. Alle warten auf den K.o. des Herausforderers.

Runde 8: Powetkin gelingt in der Rundenpause tatsächlich eine Blitz-Regeneration. Nach dem Gong der Glocke wirkt er stabiler als zuvor. Seine Deckung wird aber nicht besser, Klitschkos Jabs finden immer noch seinen Kopf. Aber: Powetkin übersteht diese achte Runde, das hätte zuvor kaum einer erwartet.

Runde 9: Gewohntes Bild: Powetkin liegt am Boden. Dieses Mal wieder mehr geschoben als geboxt. Sein rechtes Auge schwillt allmäglich zu. Den wunden Punkt hat auch Klitschko erkannt, er setzt die Schläge nun gezielter auf diese Seite.

Runde 10: Die Nehmerqualitäten finden in Powetkin ihren Meister. So skurril offen er seine Deckung lässt, so bemerkenswert hält er Klitschko stand. Gewinnen kann er den Kampf damit nicht, aber zehn Runden gegen Klitschko geboxt zu haben, können viele seiner Vorgänger nicht von sich behaupten. Immerhin kann er seit langem wieder Körpertreffer setzen. Klitschko macht das wenig aus.

Runde 11: Die Powetkin-Fans erwachen wieder: Klitschko weicht nach einem Treffer Powetkins viele Schritten nach hinten aus, wirkt aber nicht wirklich angeschlagen. Danach setzt es aus der Nahdistanz ein paar Seitwärtshaken auf beiden Seiten. Am Ende ist es wieder Klitschko, der Powetkin zu Boden bringt. Dieses Mal: Mehr gestoßen als umgehauen.

Runde 12: Wladimir Klitschko muss tatsächlich in die 12. Runde gehen. Diese gerät zu einer Übung im Stehendringen, Powetkin muss sich zwischendurch den Handschuh neu verkleben lassen. Dann gelingt ihm etwas seltenes: Er trifft Klitschkos Kopf. Kurz danach liegt er aber selbst erneut auf dem Ringboden. Irgendwie eine Mischung aus Getroffen und Erschöpfungswanker. Den letzten Schlagabtausch übersteht Powetkin mit geducktem Kopf.

Die Glocke schrillt, schnurstracks laufen beide Boxer auf die gegnerische Ecke zum Handshake. Powetkin tut seinen Fans den Gefallen und reckt den Arm in Siegerpose nach oben. Das Ergebnis lautet wenig überraschend: Klitschko bleibt Weltmeister nach eindeutigem Punktentscheid von 119:104.

Nach dem Kampf: Wladmir Klitschko tritt ans Mikrofon, erntet erst Pfiffe und dann Applaus auch aus dem Powetkin-Lager. Der Russe gratuliert fair und umarmt Klitschko, es gibt ein Nach-Kampf-Foto, das versöhnlicher kaum sein könnte. Es über die volle Distanz geschafft zu haben,versöhnt Powetkin offensichtlich mit der Niederlage. Statt viel Show gab es in Moskau tatsächlich viel Boxen zu sehen.

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