Kickboxerin Christine Theiss:"Mein Körper ist eine Maschine!"

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Christine Theiss ist die erfolgreichste Kickboxerin aller Zeiten. Am Freitag verteidigt sie ihren Titel in München, obwohl kürzlich ein Kollege von ihr verstorben ist. Im Interview spricht sie über die schwierige Vorbereitung, die Wehleidigkeit mancher Boxer und Klischees von Frauen im Sport.

Jürgen Schmieder

Christine Theiss ist die erfolgreichste Kickboxerin aller Zeiten, am Freitag (22.30 Uhr, Sat.1) verteidigt sie ihren Titel zum 18. Mal - beim Wiegen am Freitag brachte sie wie Gegnerin Martina Müllerova 59,5 Kilogramm auf die Waage. Die promovierte Medizinerin steht mittlerweile nicht mehr nur als Sportlerin vor der Kamera, sondern auch als Moderatorin.

Christine Theiss: "Mein Körper ist eine Maschine, die perfekt funktioniert." (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Frau Dr. Theiss, am Freitag verteidigen Sie Ihren Titel, obwohl Ihr Kollege Besim Kabashi kürzlich verstorben ist - der bei dieser Veranstaltung auch hätte kämpfen sollen. Wie sind die vergangenen Tage verlaufen?

Christine Theiss: Es war nicht leicht. Ich habe sehr früh von seinem Tod erfahren und war schockiert. Besim war für mich weit mehr als ein Trainingskollege. Niemand, der ihn näher kannte, wird jemals ein negatives Wort über ihn verlieren. Mein Team hat mich wunderbar unterstützt, es hat viele positive Gespräche gegeben - auch mit dem TV-Sender Sat.1, der den Kampf am Freitag übertragen wird.

sueddeutsche.de: Sie hätten den Kampfabend auch absagen können ...

Theiss: Management und Sender haben es jedem einzelnen Akteur freigestellt, in den Ring zu steigen oder nicht. Ich habe mich für den Kampf entschieden.

sueddeutsche.de: Hat der Sender Druck ausgeübt? Schließlich wurde die Veranstaltung offensiv beworben, Sie sind das Zugpferd.

Theiss: Ganz im Gegenteil! Ein Satz von mir hätte genügt, um den Kampf abzusagen - aber Besim hätte gewollt, dass der Abend stattfindet. Das war seine Art. Ich will die Trauer jetzt in positive Energie umwandeln. Ich kämpfe am Freitagabend für Besim.

sueddeutsche.de: Der Kampf am Freitag ist Ihre 18. Titelverteidigung, Sie sind die erfolgreichste Kickboxerin aller Zeiten ...

Theiss: Mir ist durchaus bewusst, dass ich bei einer Niederlage weg vom Fenster bin.

sueddeutsche.de: Haben Sie deshalb Angst?

Theiss: Wenn vor einem Kampf Angst aufkommen würde, dann hätte ich schon verloren.

sueddeutsche.de: Das unterscheidet Sie von anderen Kämpfern. Manny Pacquiao etwa, der derzeit beste Boxer weltweit, behauptet, ohne Angst wäre er niemals so erfolgreich ...

Theiss: Das unterscheidet mich auch von früher. Wobei: Angst hatte ich nie - aber ich war nervös, wenn ich getroffen wurde.

sueddeutsche.de: Das ist doch nicht schlimm, oder? Jeder Mensch wird nervös, wenn er getroffen wird.

Theiss: Beim Kickboxen ist das ein Nachteil. Wer nervös ist, der agiert unüberlegt und unkonzentriert. Zu Beginn meiner Karriere ist mir das häufiger passiert. Mittlerweile weiß ich: Ich habe zehn Runden lang Zeit, einen Treffer auszugleichen und den Kampf zu gewinnen.

sueddeutsche.de: Martina Müllerova, Ihre Gegnerin am Freitag, ist 1,83 Meter groß und damit acht Zentimeter länger als Sie. Bislang haben Sie meist Ihre Konkurrentinnen überragt.

Theiss: Ich musste meinen Stil komplett umstellen, es war deshalb eine besondere und ungewöhnliche Vorbereitung: Ich hatte zwei neue Sparringspartnerinnen, um mich auf die neue Situation einzustellen. Ich habe jedoch gemerkt: Die Tatsache, dass meine Gegnerin größer ist als ich, bietet mir auch Vorteile.

sueddeutsche.de: Welche denn?

Theiss: Ich kann nun all das machen, was ich bislang an einer kleineren Gegnerin gehasst habe: Ich kann unbequem sein, ich kann zeitiger nach vorne gehen, ich kann schneller schlagen.

sueddeutsche.de: Erfolgreiche Kampfsportler fanden ganz unterschiedlich den Zugang zum Sport: Für Manny Pacquiao war es ein Weg aus der Armut, David Haye wurde so mit seinen Aggressionen fertig, Lennox Lewis faszinierte die psychologische Komponente. Wie war es bei Ihnen?

Theiss: Das war bei mir viel einfacher. Im Alter von acht Jahren habe ich eine Freundin begleitet, weil die nicht alleine zum Training gehen wollte - und schon war ich fasziniert.

sueddeutsche.de: Können Sie uns die Faszination kurz erklären?

Theiss: Das Training ist immer unterschiedlich: Eine Einheit besteht aus Joggen, bei einer anderen geht es um Krafttraining, dann wieder gibt es Sparring. Dann gibt es Gespräche über Taktik. Am Ende fügt sich das zusammen, vor einem Kampf merke ich: Mein Körper ist eine Maschine, die perfekt funktioniert: Da sitzt jeder Muskel, jede einzelne Faser. Das ist ein schönes Gefühl. Dazu kommt natürlich der psychologische Aspekt des Sports.

sueddeutsche.de: Sie sind promovierte Ärztin - und Kickboxerin. Das klingt ja erst einmal nach einem Widerspruch.

Theiss: Ist es aber nicht. Wenn ein Arzt einen Patienten aufschneidet, dann ist das erst einmal Körperverletzung. Deshalb muss ein Patient vor der Operation sein Einverständnis erklären. So ist das auch beim Kickboxen. Wenn ich außerhalb des Rings zuschlagen würde, dann wäre das Körperverletzung. Ich trete aber gegen jemanden an, der sich vorbereitet hat und mit dem Kampf einverstanden ist. Ich will niemals eine Gegnerin verletzen, ich will einen Kampf nach klar definierten Regeln gewinnen.

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Joe Frazier gehörte zu den Besten im Boxsport -seine Karriere war sowohl im Ring als auch abseits davon geprägt von einem Dauerduell mit Muhammad Ali. Zwischen den Seilen war Frazier der erste, der Muhammad Ali zu Boden schicken konnte.

sueddeutsche.de: 2003 begannen Sie mit Vollkontakt-Kickboxen, 2005 wurden Sie Weltmeisterin bei den Amateuren. Wie erklären Sie sich den raschen Aufstieg?

Kickboxerin Christine Theiss: "Nach fast jedem meiner Kämpfe ist irgendetwas Harmloses gebrochen oder gerissen." (Foto: dpa)

Theiss: Ich kam ins Kampfsportzentrum Steko und bin nach einer kurzen Eingewöhnungsphase einfach zur Wettkampfgruppe gegangen. Ich wusste nicht, dass man dafür eigentlich eine Einladung brauchte. Die haben wohl gedacht: "Die geht schon wieder!" Ich bin aber geblieben. Bis heute.

sueddeutsche.de: Und haben Karriere gemacht.

Theiss: Die Karriere ist eher passiert. Die Brüder Steko haben mich relativ schnell gefragt, ob ich Interesse an Wettkämpfen hätte. So kam ich an meine ersten Kämpfe - und es ging deshalb immer weiter, weil ich einfach nicht verloren habe.

sueddeutsche.de: Es folgte der Wechsel ins Profilager, seit 2007 sind Sie Weltmeisterin im Profi-Kickboxen. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Theiss: Es ist unglaublich. Wer hätte denn vor ein paar Jahren gedacht, dass eine Kickboxerin ihren Sport professionell betreiben darf und ein prominenter TV-Sender Kickboxen zur besten Sendezeit präsentiert?

sueddeutsche.de: Sie haben im August Ihren Titel trotz eines Bänderrisses in der Hand verteidigt. Was denkt so jemand wie Sie über David Haye, der einen gebrochenen Zeh als Grund für die Niederlage gegen Wladimir Klitschko anführt?

Theiss: Ich finde das lächerlich. Der stellt sich nach dem Kampf auf einen Tisch und präsentiert seinen kleinen Zeh. Nach fast jedem meiner Kämpfe ist irgendetwas Harmloses gebrochen oder gerissen. Wenn ich vor einem Kampf ernsthaft verletzt bin, dann darf ich nicht antreten. Ich darf aber nicht in den Ring steigen und hinterher die Niederlage mit einer Verletzung begründen.

sueddeutsche.de: Haye hatte aber Erfolg: Er bekommt wohl einen neuen Kampf gegen Vitali Klitschko.

Theiss: Das ist die zweite Sache. Die verdienen Millionen und jammern dann wegen eines gebrochenen Zehs.

sueddeutsche.de: Sind Männer wehleidiger als Frauen?

Theiss: Sagen wir es so: Wenn Männer Kinder kriegen müssten, dann wäre die Menschheit wahrscheinlich längst ausgestorben.

sueddeutsche.de: Frauen werden im Sport anders wahrgenommen als Männer. Müssen Frauen sportlich mehr leisten als Männer, um aufzufallen?

Theiss: Das ist unterschiedlich. In meinem Sport etwa haben es die Männer schwieriger. Ich bin etwas Besonderes, weil ich eine Frau unter Männern bin. Ich sehe auch nicht schlecht aus, also fällt es mir natürlich leichter, mich zu vermarkten.

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sueddeutsche.de: Eine Frau braucht oftmals ein zweites Attribut, um Aufmerksamkeit zu erregen. Manchmal ist es Attraktivität, manchmal auch der Beiname "Zicke". Ist das für Sie ein notwendiger Aspekt oder stört Sie das mitunter?

Theiss: Natürlich wäre es schön, wenn ausschließlich über den Sport berichtet würde. Bei einem Fußballer ist es doch auch egal, wie er aussieht - so lange er gut kicken kann. Bei Sportlerinnen ist das leider noch anders. Man hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder man beschwert sich darüber - oder man spielt damit und nutzt es aus. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden.

sueddeutsche.de: Offenbar mit Erfolg. Sie moderieren The Biggest Loser, Sie waren dabei bei den Formaten Sommermädchen, Don't smoke on the Water, und Wok-WM.

Theiss: Ich fühle mich dort einfach wohl - nicht nur vor der Kamera, sondern vor allem dahinter. Ich liebe es, mit einem Team zu arbeiten und mich ein paar Monate lang nur auf ein Projekt zu konzentrieren. Das ist wie beim Kampfsport. Gerade war ich zehn Wochen in Spanien, um The Biggest Loser zu drehen. Das war eine tolle Zeit und dank guter Planungen von Mladen Steko und Ramin Abtin, der mich als Trainer wochenlang direkt vor Ort individuell betreut hat, hatte ich sogar eine optimale Kampfvorbereitung.

sueddeutsche.de: Wie lange werden Sie noch kämpfen?

Theiss: Ich mache das von vier Faktoren abhängig: Macht der Körper mit? Macht der Kopf mit? Nach Kämpfen falle ich in ein Loch, vor der kommenden Woche habe ich schon jetzt Respekt. Der dritte Aspekt: Wollen mich die Leute noch sehen?

sueddeutsche.de: Dann kann es Ihnen aber passieren, dass Sie mit 40 oder 50 noch kämpfen müssen ...

Theiss: Um Gottes Willen: Nein!

sueddeutsche.de: Okay, dann lieber den vierten Aspekt.

Theiss: Der wäre, dass sich eine berufliche Zukunft auftut, zu der ich nicht "nein" sagen kann.

sueddeutsche.de: Als Ärztin werden Sie wohl nicht mehr arbeiten ...

Theiss: Sicherlich nicht. Ich habe gemerkt, dass mir die Arbeit beim Fernsehen Spaß macht, vor und hinter der Kamera. Ich habe einfach das Gefühl: Das ist es, was ich in Zukunft machen möchte.

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