Katar:Scheinriese im Blickfeld

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Manch einer spricht von einem "Meilenstein": Der Ausrichter der globalen Titelkämpfe 2022 erlaubt es nun plötzlich Beobachtern, die Baustellen der Weltmeisterschaft zu inspizieren. Allerdings gibt es dabei erhebliche Beschränkungen.

Von Sebastian Fischer, München

Im Grunde ist der Mann, der für die Rechte der Arbeiter streitet, froh über die Neuigkeiten aus Katar. Erstmals dürfen internationale Beobachter die wegen ihrer unwürdigen und teils lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen kritisierten Stadionbaustellen für die Fußball-WM 2022 inspizieren; mit diesem Abkommen waren am Dienstag Gespräche zwischen dem Baugewerkschaftsverband BHI und dem katarischen WM-Planungsgremium zu Ende gegangen. "Das ist gut", sagt Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch am Tag darauf. Allerdings nicht ohne Einschränkung: "Das Abkommen ist ein Scheinriese. Je näher man es betrachtet, umso kleiner wird es."

Es ist ein Erfolg für die Gewerkschafter, für den BHI-Vizepräsidenten Dietmar Schäfers ist es ein "Meilenstein": Vom 1. Januar an darf eine Gruppe internationaler Experten regelmäßig die WM-Baustellen besuchen und die Erkenntnisse veröffentlichen. Ziel ist es, die Unfallgefahren für Arbeiter zu reduzieren und die Umstände ihrer Unterbringung zu verbessern. Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen fordern das seit Jahren.

Mindestens vier Menschen sind bereits an WM-Orten gestorben, zuletzt kam im Oktober ein Mann ums Leben. Gewerkschafter Schäfers meint jedoch einen Bewusstseinswandel zu beobachten. "Wir sind immer einer Front von skeptischer Verweigerung begegnet", sagt er; inzwischen habe der internationale Druck etwas bewirkt, sei die Gewerkschaft auch in Gesprächen über Arbeitsbedingungen mit in Katar tätigen Großunternehmen weit fortgeschritten. Doch auch Schäfers muss seinen Optimismus etwas bremsen.

Die Inspektionen sind beschränkt auf Stadionbaustellen, "alle Baustellen waren nicht umsetzbar", sagt er. Außerdem werden in der Vereinbarung zwar "Gesundheit und Sicherheit aller Arbeiter" erwähnt, nicht jedoch deren Arbeitnehmerrechte und faire Bezahlung. Dabei sind das ebenso große Kritikpunkte.

Menschenrechtsorganisation sprechen von mehr als tausend Opfern seit 2010 - weil sie die Infrastruktur miteinbeziehen, die auch wegen der WM rasant wächst. Die Arbeiter aus dem Ausland müssen oft ihre Pässe abgeben, sind durch das Kafala-System bevormundet und müssen für ihre Rekrutierung teils so viel bezahlen, dass sie kaum etwas verdienen. Nun sollen sich auch die Arbeitsgesetze in Katar angeblich zeitnah zum Guten ändern. Doch Menschenrechtler bleiben trotz allem skeptisch. Für Amnesty International ist die Vereinbarung am Dienstag ein "erster Schritt", doch die Maßnahme müsse alle Arbeitskräfte in Katar mit einbeziehen. Das denkt auch Wenzel Michalski. "Auf den WM-Baustellen", sagt er, "wird es vorbildlich zugehen, doch die Menschenrechtsverletzungen geschehen auf anderen Baustellen" - solchen, die bislang noch niemand inspizieren darf.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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