Kanuslalom:Eine historische Bronzemedaille

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Das Hindernis im Blick: Nur am 17. Tor berührte Andrea Herzog die Stangen und fuhr sozu Bronze. (Foto: Stoyan Nenov/Reuters)

Mit 19 Jahren schon Weltmeisterin, mit 21 aufs Podest bei Olympia: Slalomkanutin Andrea Herzog füllt eine Disziplin mit Leben, die erstmals auch für Frauen olympisch ist.

Von Saskia Aleythe, Tokio

Wie die Medaillenvergabe in Tokio funktioniert, hat sich Andrea Herzog in den vergangenen Tagen angeschaut. Bei den Teamkollegen Sideris Tasiadis und Ricarda Funk ging sie in die Lehre: Wie sie ausharrten neben den Zeremonie-Meistern, die Brücke über den Wildwasserkanal liefen und auf der anderen Seite aufs Podest stiegen. Dann die Medaillen selbst vom Tablett nahmen und sich umhängten, Hymne, Posieren, Kameraklacken bei den Fotografen. "Da hatte ich zum Glück drei Tage Zeit und konnte mir anschauen, wie es die anderen so machen", sagte Herzog, die anderen hatten ja schon Gold und Bronze gewonnen. Und sie selbst überlässt ungern etwas dem Zufall.

Abläufe lassen sich vorausplanen, Gefühle nicht. "Ich glaube, ich brauche wirklich ein paar Tage, bis ich das realisieren kann", sagte sie am Donnerstag in Tokio, mit der Bronze-Medaille um den Hals, die Haare noch nass von ihrem Finale im Kanadier. Herzog ist erst 21 Jahre alt und schon Weltmeisterin und nun auch Olympia-Medaillengewinnerin. "Es ist unbegreiflich, dass jetzt alles entschieden ist", sagte sie, was sich dann so anhörte, als würde sie am liebsten gleich nochmal starten. An ihrem Erfolg lässt sich gut ablesen, welche Wirkung entsteht, wenn Disziplinen ins olympische Programm aufgenommen werden.

Am Ziel: Andrea Herzog präsentiert ihre Medaille. (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Ihre Bronze-Medaille ist eine historische, erstmalig ist der C1, also der Kanuslalom im Kanadier, nun auch für Frauen bei den Spielen vertreten. Herzog hatte ihren Sport schon vor der offiziellen Entscheidung dazu begonnen, der Gedanke an Olympia trug sie dann über viele Jahre bis an den Kanal in Japan. "Da habe ich mich natürlich darauf gefreut. Das war mein großes Ziel, in Tokio dabei zu sein", sagte sie. Kajak-Fahrer gibt es im Kanuslalom eine Menge, an den Kanadier - in dem gehockt und mit Stechpaddel gearbeitet wird - trauten sich lange nicht so viele heran. "Dadurch, dass die Konkurrenz noch nicht so gut war, konnte man relativ leicht Medaillen gewinnen. Das hat es attraktiv gemacht für mich", sagte Herzog, und wer in der Jugend schon Erfolge feiert, bleibt später auch länger dabei. Mit dem Ziel Olympia sowieso.

Die Konkurrenz ist heute viel größer, die Kanu-Nationen haben aufgerüstet. Ihr Finale am Donnerstag bestritt Herzog so souverän, als wären das nicht ihre ersten Olympischen Spiele und sie nicht erst 21 Jahre alt. Mit der viertletzten Startnummer stürzte sie die Wellen hinunter, "es waren einige kleine Ecken drin", fand sie selbst, sie kam ein paar Mal leicht von ihrer Ideallinie ab. Die Tore passierte sie trotzdem, nur am 17. berührte sie die Stangen. "Die Berührung war wirklich total bescheuert", sagte Herzog später, konnte aber darüber lachen. Mit der Zeitstrafe war sie im Ziel Zweite hinter der Britin Mallory Franklin. Drei Starterinnen kamen noch, nur die mehrmalige Weltmeisterin Jessica Fox aus Australien konnte das Feld noch übertrumpfen.

"Das eine Jahr mal keine Wettkämpfe zu haben, tat für den Kopf sehr gut"

"Ich ziehe den Hut, mit so viel Kaltschnäuzigkeit oben am Start zu stehen, das Ding runter zu reißen und dann eine Medaille zu holen. Das machen nicht sehr viele", sagte Herzogs Trainer Felix Michel. Es kann eine junge Athletin belasten, wenn bisher nur Medaillen bei ihren Kollegen herausgesprungen sind und sie dann selber an der Reihe ist, um sich zu beweisen. Am Montag war Sideris Tasiadis zu Bronze im Kanadier gefahren, am Dienstag hatte Ricarda Funk im Kajak Gold gewonnen. "Es hat mich auch ein bisschen aufgewühlt", gab Herzog zu. Andererseits hatte der Deutsche Kanu-Verband sein Olympia-Ziel damit schon erfüllt, also sagte sie sich: "Ich habe vielleicht einen kleinen Freifahrtschein."

Mit 15 Jahren zog Herzog von Meißen ans Internat nach Leipzig, um an der Wildwasserstrecke in Markkleeberg unter besseren Bedingungen trainieren zu können. Das war zwar geografisch kein weiter Weg, aber ein herausfordernder. Das Leben ändert sich enorm für einen Teenager, weg von der Familie, doch das Heimweh wurde kleiner irgendwann. Herzog stürzte sich in den Sport und in die Schule - Abi mit 1,1 -, und dann wurde sie 2019 überraschend Weltmeisterin. Mit 19 Jahren. Auch das muss man erstmal begreifen - wobei ihr die Verschiebung der Spiele um ein Jahr gelegen kam.

"Das eine Jahr mal keine Wettkämpfe zu haben, tat für den Kopf sehr gut", sagte sie. Und auch an ihrer Technik konnte sie mit den Trainern feilen, "weil man nicht den Druck hatte, dass es in zwei Wochen schon perfekt sein muss, weil dann der nächste Wettkampf ansteht". Die Auszeit inmitten der Pandemie hat sie gut genutzt. Und Herzog war sich sicher, dass sie großen Anteil an ihrer Bronze-Medaille hatte. "Man lernt nie aus in unserer Sportart, es geht immer besser."

Ihre Eroberung von Tokio bekommt jetzt einen Ehrenplatz. "Ich habe mir vorher immer ausgemalt, wenn ich eine Medaille gewinnen sollte, kaufe ich mir einen Bilderrahmen und hänge die da rein", so Herzog, "dass sie immer in Erinnerung bleiben wird." Am Freitag will sie Teamkollege Hannes Aigner anfeuern, er ist der letzte der vier Starter in Tokio, in der Bilanz stehen bisher drei Rennen und drei Medaillen. Wie man am besten mit Druck umgeht, kann er bei Andrea Herzog erfragen.

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