Jugendfußball:Der Sonderweg der Löwen

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Bild aus der Vergangenheit: Die Kleinsten können nicht mehr beim FC Bayern kicken. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Immer mehr Fußball-Nachwuchszentren der Profivereine schaffen im Grundlagenbereich bis zur U11 Mannschaften ab, auch in Nürnberg, Fürth und beim FC Bayern - der TSV 1860 München spricht sich klar dagegen aus.

Von Christoph Leischwitz

Dennis Dressel muss es ja wissen, schließlich ist er Profi geworden. Und so hatte ihn der TSV 1860 München selbst vor einigen Wochen zu einem Thema befragt, das Tausenden Eltern auf den Nägeln brennt. Im so genannten Grundlagenbereich des Fußballs wird gerade ein Strukturwandel vollzogen. Vor allem in Nachwuchs-Leistungszentren (NLZ) beginnen erste Vereine damit, die jüngsten Mannschaften abzuschaffen. Für Dressel ein Unding: "Ich würde es so genau wieder machen", sagt der 22-Jährige aus Dachau, der seit der U10 im Nachwuchs-Leistungszentrum der Löwen kickte. "Für mich wäre es eine Farce, den Grundlagenbereich abzuschaffen", wird er zitiert.

Statt eines Ligabetriebs werden gerade bei den bekanntesten Vereinen zurzeit die ersten Mannschaften zwischen der U8 und der U11 aufgelöst. Alternativ gibt es oft nur noch Feriencamp- oder Funino-Angebote - das bedeutet: weniger Spieler in einer Mannschaft, dafür bis zu vier Tore. Der Plan ist, dass Kinder mehr Spaß haben sollen, indem sie viel mehr Ballkontakte haben und die etwas weniger Talentierten nicht auf der Ersatzbank versauern. Angestoßen hatte die Strukturänderung auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB), in 21 Landesverbänden wurden Pilotprojekte gestartet. Die bisher gemachten Erfahrungen seien sehr positiv. So ist davon auszugehen, dass der DFB eine bundesweite Umstrukturierung anstrebt. Einige Medien berichten diesbezüglich auch schon über fertige Pläne in den Schubladen.

Der FC Bayern hat die U9 schon abgeschafft, die U10 wird im kommenden Jahr folgen

Nun hat sich der TSV 1860 München besonders klar gegen dieses Konzept ausgesprochen. Es sei nämlich sehr wohl möglich, auch in einem NLZ, das schließlich später Profis hervorbringen soll, Spaß zu vermitteln und mit dem Leistungsprinzip zu verbinden. Außerdem biete die Expertise der ausgebildeten Trainer die Chance auf eine intensivere individuelle Betreuung, was den Eltern ein gutes Gefühl gebe. "Wir sind also wie der Heimatverein von nebenan - nur vielleicht ein bisschen professioneller und mit ausschließlich hochtalentierten Jungs, die wir menschlich, sportlich und schulisch auf ihrem eigenen individuellen Weg unterstützen wollen", sagt der U11-Trainer Ludwig Dietrich.

Damit ist in München die kuriose Situation entstanden, dass der als Arbeiterverein angesehene 1860 München auf eine Art Elitenförderung drängt - während ausgerechnet der Branchenriese FC Bayern diese offenbar abschaffen will. "Die Drucksituation und die Erwartungshaltung in diesem Alter machen keinen Sinn", sagt Bayerns Nachwuchsleiter Holger Seitz vom Campus an der Ingolstädter Straße. Manchmal sei es schon vorgekommen, dass sogar Achtjährige von Eltern des Gegners beschimpft werden, weil sie das Bayern-Wappen tragen. Vor solchen Situationen wolle man die Jüngsten schützen. Die U9 wurde nun abgeschafft, die U10 wird im kommenden Jahr folgen. Bei den Bayern war die Diskussion aufgekommen, nachdem der DFB im Jahr 2019 diesen Schritt in einem Vortrag empfohlen hatte.

"Wir kooperieren aber mit vier Partnervereinen", sagt Seitz. Je einen in jede Himmelsrichtung, von München aus gesehen. Wie zum Beispiel mit dem FC Issing, bei dem kürzlich auch noch einmal Julian Nagelsmann vorbeischaute - der neue Cheftrainer kommt von dort. Das bedeutet, dass die Jüngsten auf diesem Weg erst einmal in ihren Vereinen bleiben können, für die Eltern entfallen also die teils enormen logistischen Probleme. Trotzdem muss nun niemand davon ausgehen, dass der FC Bayern sich die besten bayerischen Spieler eines Jahrganges durch die Lappen gehen lässt. Denn Scouts werden weiter durchs Land fahren, auch für diese Jahrgänge. Und mit den Kooperationspartnern werden weiter Förderkader geformt und Trainings abgehalten - diese Förderkader dürften auch einen gewissen Leistungsdruck darstellen. Das Problem wurde im Grunde also vor allem outgesourced.

In der aktuellen U19 des TSV 1860 sind immerhin noch fünf Spieler dabei, die seit der U10 das Löwen-Trikot tragen

Was sei mit den Kindern, die Lust hätten auf Leistungsdruck, fragen hingegen die Sechziger. Offenkundig geht es dem Traditionsklub auch um die möglichst frühe Identifikation mit dem Verein. Und zugleich darum, dass es sich um eine kostengünstige Variante handelt, künftige Profis heranzuziehen. So rechnet der Verein vor, dass in der aktuellen U19 immerhin noch fünf Spieler dabei seien, die seit der U10 das Löwen-Trikot tragen. In den vergangenen vier Jahren stammten über die Hälfte der Profispieler aus der eigenen Jugend.

Genau dieses Argument fehlt hingegen bei der SpVgg Greuther Fürth. "Es sind zu wenig aus dem unteren Bereich, die sich auch später im Aufbaubereich etablieren", sagt Mirko Reichel, sportlicher Leiter des Kleeblatt-NLZ. Vielen Eltern fehle nach so vielen Jahren Fahrerei schon die Energie. Und auch, wenn sich die SpVgg Greuther Fürth in einem Ballungsraum mit einer Million Menschen befinde, so schlage auch hier dieses Problem durch. Sodass auch Reichel selbst findet, dass "Kinder ihre Zeit nicht auf Autobahnen verbringen sollen, sondern in ihren Vereinen". Die U8 wurde bereits abgeschafft, höchstwahrscheinlich folge im kommenden Jahr die U9.

Der 1. FC Nürnberg hat eine Pilotliga mit unterschiedlichen Spielformen ins Leben gerufen

Beim regionalen Konkurrenten in Nürnberg ist man mittlerweile zu einer Mischform übergegangen. "Die Frage, ab welchem Alter wir mit unseren Teams in den Spielbetrieb einsteigen wollen, kommt bei uns regelmäßig auf den Tisch", sagt Björn Engehausen, beim 1. FC Nürnberg Ausbildungsleiter für den Grundlagenbereich. Zunächst hatte man sich entschieden, die U8 dauerhaft abzumelden, etwas später auch die U9. "Die Erkenntnisse aus dieser Zeit führten aber dazu, dass wir wieder mit diesem Jahrgang einsteigen wollten, um bereits ab diesem Alter eine Ausbildung auf hohem Niveau anzubieten", so Engehausen. Man habe zu diesem Zweck eine Pilotliga mit unterschiedlichen Spielformen ins Leben gerufen - drei gegen drei, fünf gegen fünf oder sieben gegen sieben, "sodass jedes Kind über einen längeren Zeitraum zum Einsatz kommt, da es keine Auswechselspieler gibt". Aktuell suche man nach weiteren Wegen, "die Trainingsqualität bei den Vereinen rund um Nürnberg vor allem in den jüngeren Jahrgängen anzuheben und gleichzeitig den Spaß und kindgerechten Umgang in den Vordergrund zu rücken".

Den sozialen Medien ist leicht zu entnehmen: Viele Eltern stehen dem Strukturwandel skeptisch gegenüber. Doch kurzfristig wird es immer noch Wahlmöglichkeiten geben, wohin man sein Kind schickt, wie etwa beim TSV 1860. Dort hat man bereits die Trainer der Jüngsten von den Roten geholt: So ist Christian Hufnagel, Coach der U9 und des U8-Förderkaders, nach zwölf Jahren tatsächlich zur U9 der Löwen gewechselt. Und trainiert jetzt möglicherweise auch einige Spieler, die sonst bei den Roten gelandet wären.

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