Jan Frodeno bei der Ironman-WM:Das perfekte imperfekte Ende für Frodeno

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Abschied mit einem Lächeln: Jan Frodeno bestreitet in Nizza eine sehr lange Ehrenrunde im Marathon. (Foto: Ingo Kutsche/dpa)

Der Triathlet verpasst im letzten Rennen seiner Karriere seinen vierten Ironman-Titel, ist aber "happy" damit, noch mal alles riskiert zu haben für den großen Wurf.

Von Johannes Knuth

Seit ein paar Monaten, hat Jan Frodeno kürzlich erzählt, habe sich in seinem Triathlonleben etwas fundamental verändert. Er habe das Gefühl, endlich nicht mehr weglaufen zu müssen vor all den Erwartungen, den fremden und vor allem den eigenen - so, wie er es 23 Jahre lang praktiziert hatte: den Körper von Sieg zu Sieg zu jagen, noch ein paar Gramm am Körperfett einzusparen und am besten auch noch am Gewicht der Socken. Seit ein paar Monaten aber, sagte der 42-Jährige nun, da er in Nizza auf das letzte Rennen seiner Karriere zusteuere, spüre er "so eine Zufriedenheit": Weil er gelernt habe, "dass das Leben auch schön sein kann, wenn es keine Goldmedaillen regnet".

Da schien einer angekommen zu sein, bevor er den Zielstrich passiert hatte. Und die passende Szene stellte Frodeno am Sonntag bereit, bei der Ironman-Weltmeisterschaft in Nizza, seinem letzten großen Tanz. Den Profis steckten schon 3,8 Kilometer zu Wasser und 180 Kilometer auf dem Rad über 2400 Höhenmeter in den Beinen, was sogar noch schlimmer wirkte als die monotone Strampelei durch die Hitze auf Hawaii, wo die Langdistanz-WM bis zuletzt ihren Mythos genährt hatte. Der Wettstreit um den Sieg war Frodeno jedenfalls längst entglitten (den entschied später der Franzose Sam Laidlow vor dem zweimaligen Hawaii-Sieger Patrick Lange für sich). Und so schritt Frodeno, bevor er auf die finalen 42,195 Kilometer zu Fuß aufbrach, zur Familie, die am Wechselzelt wartete, küsste die Kinder, die den Vater zum ersten Mal bei einem Wettkampf am Ort erlebten und ihn nun bald endlich zum Grillen oder Zocken auf den Bolzplatz würden mitnehmen können.

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Eine Niederlage war das, wenn man das handelsübliche Maß anlegte; allein Frodenos drei Hawaii-Titel bedachte oder den Olympiasieg 2008. Aber war das nicht gerade das perfekte Ende, wenn auch der anderen Art?

"Mission Moonshot" hatte Frodenos Team das letzte Rennen getauft

Frodeno hatte sein Karrierefinale so vorbereitet wie jede Minute seiner 23-jährigen Laufbahn, ganz oder gar nicht. "Mission Moonshot" hatte seine Entourage über das Unterfangen gespannt, eine letzte Mondlandung, nachdem Frodeno vor etwas mehr als einem Jahr den Geburtstag im Krankenhaus verbracht hatte. Damals war zeitweise ungewiss, ob er überhaupt noch mal richtig würde laufen können nach all den Hüftschäden und Achillessehnenanrissen. Er beschloss, entgegen vielfachem Rat und wohl auch der Vernunft, noch ein letztes Mal gegen den eigenen Abschwung zu rebellieren, oder in Frodenos etwas älteren Worten: Er tue das, einfach weil er es (noch) kann.

Die Mission am Sonntag begann planmäßig; während die Sonne hinter den Hügeln der Cote d'Azur hervorkroch, krabbelte Frodeno mit den Schnellsten aus dem Wasser. Auf dem Rad fuhren ihm die stärkeren und leichteren Pedaleure rasch davon, aber das hatte er erwartet, vor allem auf dem 18 Kilometer langen, harten Anstieg auf den Col de l'Ecre. Doch spätestens, als ihn die Gruppe um Patrick Lange einholte und der schlechtere Radfahrer den Großmeister am letzten, scharfen Anstieg davonhüpfte, zeigte sich, dass Frodenos Landung ernsthaft in Gefahr war. Und er hatte, anders als die Amerikaner bei ihrer Mondpremiere 1969, keinen Kugelschreiber, mit dem er eine defekte Raumkapsel notstarten konnte.

Premiere beim Heimspiel: Sam Laidlow, 24, ist der erste Ironman-Weltmeister aus Frankreich. (Foto: Ingo Kutsche/dpa)

Wollte man den ganz großen Rahmen spannen, witterten jene, die der 42-Jährige jahrelang zermürbt hatte, nun endlich ihre Chance, mit all der Motivation, die sie aus vielen Niederlagen gesogen hatten. Jedes große Reich trägt schon den Samen des Untergangs in sich.

Die Nachfolger führten nun ein eindrucksvolles Katz-und-Maus-Spiel vor. Sam Laidlow war auf dem Rad, auf dem Hochplateau nach den ersten Anstiegen, davongeprescht - und begann den Marathon mit einem sportlichen Schnitt von dreieinhalb Minuten pro Kilometer, wie man es von einem schwächeren Läufer nicht unbedingt erwarten würde. Da schob jemand am Spieltisch alle Jetons früh in die Mitte, alles auf Sieg. Es wirkte wie ein gewagtes Unterfangen nach all der Energie, die Laidlow auf dem Rad aus den Beinen geflossen war. Auf Kona hatte es ihn vor einem Jahr auf diese Weise schon zu Platz zwei getragen, in Roth hatte ihn nicht nur Patrick Lange zuletzt abgefangen. Da hatte der Deutsche aber auch keine zwölfeinhalb Minuten aufholen müssen.

Lange probierte alles, streute Laufkilometer in 3:19 Minuten ein, der Vorsprung schmolz für eine Weile dahin wie ein Wassereis bei über 30 Grad an der Promenade des Anglais. Er sammelte alle Konkurrenten ein, auch den Dänen Magnus Ditlev, der Favorit bei vielen Buchmachern. Nur Laidlow, von dem viele einen Einbruch erwartet hatten, brach einfach nicht ein, kam als Erster nach etwas über acht Stunden ins Ziel, als jüngster Ironman-Weltmeister im Alter von 24 Jahren und als erster Franzose, ausgerechnet.

Und Frodeno: Der klatschte Laidlow ab, die Speerspitze der neuen Generation, als sich beide auf dem Rundkurs kurz vor dem Ziel begegneten; schritt knapp eine Stunde später als 24. ins Ziel, mit vielen Altersklassenathleten im Schlepptau, die den jahrelangen Lead-Sänger des Sports feierten wie Groupies in Laufshirts. "Der Gladiator stirbt in seiner Arena", hatte Frodeno ein paar Stunden zuvor in die TV-Kamera gerufen - da sprach noch der alte Frodeno, der Krieger, der lieber dabei gescheitert war, noch mal den Hauptpreis abzuräumen, statt Vierter oder Zehnter zu werden. Aber das Ende war nur das eine. Das andere war der Anfang des neuen Lebens, das gerade begonnen hatte. "Ich bin happy", sagte Frodeno im Ziel, wie einer, der nichts gewonnen hatte und alles zugleich.

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