Israel bei den European Championships:Historische Begegnungen

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"Ich bin sehr stolz darauf, die israelische Flagge hier in München hochzuhalten": Dreispringerin Hanna Minenko. (Foto: Matthias Schrader/AP)

50 Jahre nach dem Terroranschlag bei den Olympischen Spielen findet in München wieder eine internationale Sportveranstaltung statt. Für die israelische Delegation waren es emotionale Tage.

Von Karoline Kipper, München

Wenn Athletinnen und Athleten zu Fuß durch den Olympiapark zu ihren Hotels gehen, kommen sie am Erinnerungsort für das Olympia-Attentat von 1972 vorbei. Genau das taten die israelische Dreispringerin Hanna Minenko und ihr Trainer Rogel Nachum, nachdem Minenko Bronze gewonnen hatte. Das Team Israel veröffentlichte ein Foto von dem Besuch, Minenko und Nachum haben darauf einen Arm umeinander gelegt, mit dem anderen recken sie die israelische Flagge.

"Ich bin sehr stolz darauf, die israelische Flagge hier in München hochzuhalten", sagte Minenko nach ihrem Dreisprungwettkampf. "Gerade weil es in München 50 Jahre nach den Olympischen Spielen ist." Minenko wurde 1989 in der Ukraine geboren, 2013 heiratete sie den Zehnkämpfer Anatoliy Minenko und startet seitdem für Israel.

Die Gedenkstätte im Olympiapark fügt sich in einen Hügel ein. Wer darunter steht, kann durch die offenen Seiten die Tatorte sehen, an denen am 5. September 1972 der Trainer Mosche Weinberg und der Gewichtheber Yossef Romano im olympischen Dorf von palästinensischen Terroristen ermordet und neun weitere Sportler als Geiseln genommen wurden. David Berger, Ze'ev Friedman, Yossef Gutfreund, Eliezer Halfin, Andrei Spitzer, Amitzur Shapira, Kehat Shorr, Mark Slavin und Yakov Springer starben beim Befreiungsversuch auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck, ebenso der Polizist Anton Fliegerbauer.

Jeder Sportlerin und jedem Sportler aus Israel ist das Attentat von München auch 50 Jahre später präsent. Maru Teferi sagte nach dem Mannschaftsgold im Marathon: "Ich möchte diese Medaille den Familien der Opfer widmen und allen meine Liebe senden." Auch für Rogel Nachum, Hanna Minenkos Trainer, sind die European Championships in München emotional. Er war einst als Dreispringer aktiv: "Zum zwanzigsten Jahrestag des Attentats in München war ich vom Deutschen Olympischen Komitee eingeladen worden. Und heute, 50 Jahre danach, haben wir hier eine Medaille gewonnen und ich freue mich sehr. Zunächst für Hanna, dann für alle Fans und das Land, und auch ein bisschen für mich selbst", sagte er der israelischen Nachrichtenseite Ynet.

Für Empörung sorgte ein deutscher Sicherheitsmann, der Mitgliedern der israelischen Delegation den Hitlergruß zeigte

Zum 50. Jahrestag des Attentats am 5. September ist eine Gedenkveranstaltung geplant, die allerdings durch den Streit um die Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen überschattet wird: "Vorher sollten sie in jedem Fall eine faire Entschädigungsregelung organisieren. Warum sollte ich sonst nach München kommen? Um Danke zu sagen, dass wir keinerlei Informationen bekommen haben, dass wir in die Irre geführt worden sind, dass sie uns 50 Jahre lang gedemütigt haben?", sagte Ankie Spitzer, die Witwe von Andrei Spitzer, Anfang Juli in einem SZ-Interview. Für Empörung sorgte während der EM in München ein deutscher Sicherheitsmann, der Mitgliedern der israelischen Delegation den Hitlergruß zeigte, in der Nähe der Gedenkstätte.

Hanna Minenko und Rogel Nachum waren bei diesem Vorfall nicht dabei. Dem Trainer ist es wichtig, dass die guten Beziehungen unter den Athleten durch den Vorfall nicht beeinträchtigt werden: "Ich kenne so viele deutsche Athleten und Trainer. Der deutsche Dreisprung-Cheftrainer Charles Friedek war damals mein Gegner", auch deshalb habe ihm das Duell zwischen Minenko und der Deutschen Neele Eckardt-Noack viel Spaß gemacht. Eckhardt-Noack sprang nur zwei Zentimeter kürzer als Minenko. "Wir sind gute Freunde, ich war oft in Deutschland im Trainingslager", sagte Nachum.

Er fühle sich sicher, mehr sogar: "Es ist wunderschön in München. Ich bin seit 35 Jahren in der Leichtathletik aktiv, die Atmosphäre im Stadion war eine der besten. Das macht die Medaille noch schöner, als sie sowieso schon ist", sagte der 55-Jährige. "Das Publikum kennt sich gut mit Leichtathletik aus, es ist Teil ihrer Kultur, und das kann man fühlen." Leichtathletik hat in Israel einen geringeren Stellenwert als in Deutschland. Im Medaillenspiegel liegt das Land auf dem 14. Platz. Über die Erfolge bei den European Championships wird trotzdem vereinzelt berichtet. Nie, ohne an das Attentat von 1972 zu erinnern.

Einen Sprint-Erfolg konnten die Israelis seit Jahren nicht feiern. Die bis dato letzte Sprinterin, die über mehrere Jahre auf internationaler Bühne antrat, war Esther Roth-Shahamorov. 1972 stellte sie mit 20 Jahren in München einen israelischen Rekord über 100 Meter auf. Noch erfolgreicher war sie über 100 Meter Hürden, aber im Finale 1972 trat sie nicht mehr an. Roth-Shahamorov überlebte das Attentat, weil sie in einem anderen Gebäude untergebracht war, ihr Trainer Amitzur Shapira wurde in der Nacht zum 6. September ermordet.

Nun, 50 Jahre später, hat das Land Israel wieder einen erstklassigen Sprinter. Der achtzehnjährige Blessing Afrifah wurde Anfang August in Kolumbien mit einer Zeit von 19,96 Sekunden über 200 Meter Weltmeister in der U20-Klasse. Afrifah ist in Israel geboren und galt dort schon früh als Laufsensation. Allerdings konnte er lange Zeit nicht für Israel starten, weil seine Eltern aus Ghana stammen. Das blau-weiße Trikot bedeute ihm viel, sagt er: "Für mich war es sehr wichtig, nach München zu kommen und mein Land Israel 50 Jahre nach dem Mordanschlag zu repräsentieren. Ich bin hergekommen, um zu zeigen, dass Israel noch lebt."

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