Interview: Jupp Heynckes:"Bayern sollte seinen Stil nicht ummodeln"

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Kurz vor seinem Wechsel nach Leverkusen gab Jupp Heynckes der SZ ein Interview. Ein Gespräch über die Münchner Bedingungen - und seine Zukunft.

P. Selldorf

Als Jupp Heynckes der Süddeutschen Zeitung am Freitagmorgen dieses Interview gab, wusste er offenbar selbst nicht, was am Nachmittag passieren würde: Rudi Völler rief ihn an und bot ihm die Nachfolge von Bruno Labbadia an. Nach kurzer Bedenkzeit nahm Heynckes an. Das folgende Gespräch ist also ein kurioses Dokument: Ein Routinier, der sich selbst als Rentner betrachtet, reflektiert in aller Gelassenheit über das heutige Profi-Geschäft und seine Mechanismen.

Uli Hoeneß bedankt sich bei Jupp Heynckes für dessen Arbeit. (Foto: Foto: rtr)

SZ: Herr Heynckes, ist schon wieder Normalität in Ihr Leben zurückgekehrt, sind Hund und Familie glücklich?

Jupp Heynckes: Das glaube ich schon, dass die Familie und Cando, mein Schäferhund, happy sind. Nicht zu vergessen unsere Katzen. Ich bin hier wieder voll involviert: Spazierengehen mit dem Hund, Gartenarbeit, Rosen schneiden...

SZ: Die Umstellung muss doch dramatisch sein: Aus dem niederrheinischen Landleben mitten hinein in den Orkan und wieder zurück.

Heynckes: So kann man das formulieren. Aber ich war froh, dass ich meine Erfahrung habe einbringen können. Deswegen bin ich ganz unaufgeregt und gelassen an die Mission herangegangen.

SZ: So entspannt hat man Sie als Trainer tatsächlich selten erlebt.

Heynckes: Ich habe von Anfang an gemerkt, dass die Chemie mit der Mannschaft gestimmt hat. Das ging schon bei der Präsentation los: Die Spieler haben richtig gelauscht, was ich zu sagen hatte. Es war eine angenehme Atmosphäre, in der man sofort gut arbeiten konnte. 13 Punkte aus fünf Spielen haben das bestätigt - in Hoffenheim darf man durchaus unentschieden spielen.

SZ: Die Mannschaft wirkte erleichtert über den Trainerwechsel.

Heynckes: Kann ich nicht beurteilen. Aber wir haben es geschafft, miteinander zu harmonieren. Und wir haben sehr intensiv gearbeitet, auch taktisch und fußballspezifisch: Pass-Spiel, Formationen, Standardsituationen...

SZ: Sie haben viele verblüfft, als Sie Lukas Podolski zum Freistoß- und Eckenschützen befördert haben.

Heynckes: Es ist wichtig zu sehen, welche Spieler für solche Aufgaben prädestiniert sind. Schweinsteiger und Podolski haben das Talent dafür.

SZ: Lukas Podolski war nicht wiederzuerkennen.

Heynckes: Ich habe ihm gesagt, dass er gesetzt ist, nicht nur fürs erste Spiel, sondern auch fürs zweite und dritte. Entsprechend motiviert hat er gearbeitet. Für ihn war das, denke ich, etwas ganz Neues, mitgeteilt zu bekommen, dass er spielt - und dass er sich auch darauf verlassen kann. Ich habe ihm gesagt, dass ich offen, ehrlich und direkt bin - das hat der Junge verstanden. Man muss doch versuchen, sich in so einen Spieler hineinzuversetzen. Er war eben unzufrieden, weil er nicht gespielt hat, dabei ist er vom Talent her einer der besten, die wir haben. Aber er hat auch verstanden, dass es bei mir keinen Schlendrian gibt.

SZ: Hat er sich bedankt?

Heynckes: Nicht nur er, auch Franck Ribéry ist mit Daniel van Buyten zu mir gekommen und hat gesagt, dass wieder Disziplin und Ordnung auf dem Platz waren und er wieder wusste, was er tun musste. Aber der eigentliche Gradmesser war für mich, dass sich Spieler wie Andreas Ottl oder Tim Borowski bedankt haben, die nicht die ganze Zeit gespielt haben. Das hat mir gezeigt, dass sie mich respektieren.

SZ: Haben Sie womöglich wieder Gefallen an der Arbeit gefunden? Spüren Sie Entzugserscheinungen?

Heynckes: Nein, überhaupt nicht. Es hat mir Riesenspaß gemacht, auch wegen der Mannschaft drum herum. Beim FCBayern gibt es - und dazu hat auch der Jürgen (Klinsmann, Heynckes' Vorgänger, Anm.) mit seinen Ideen beigetragen- eine Top-Infrastruktur. Das war phantastisch und hat mir imponiert. Dass es zum Beispiel jeden Morgen ein gemeinsames Frühstück gibt. Da kamen zwar nicht alle, aber viele, vor allem die Junggesellen. Und mittags das Essen von Alfons Schubeck, das ist schon perfekt. Es ist gut, wenn der Trainer weiß, was die Spieler essen. Ernährung ist wichtig.

SZ: Hätten Sie den Job auch übernommen, wenn ein anderer als Uli Hoeneß Sie gebeten hätte?

Heynckes: Beim FC Bayern ist nun mal Hoeneß verantwortlich. Außerdem hatte ich auch mit Kalle Rummenigge, Karl Hopfner und Markus Hörwick all die Jahre ein gutes Verhältnis, deswegen war es nicht schwer, von Null auf Hundert zu schalten.

SZ: Wird nun alles anders beim FC Bayern, wenn Uli Hoeneß nicht mehr neben dem Trainer auf der Bank sitzt?

Heynckes: Tja, daran müssen sich der Uli und die Liga erst noch gewöhnen. Aber er wird künftig auf einer anderen Position die Dinge mitgestalten, und sein Nachfolger Christian Nerlinger ist intelligent und kompetent, der bringt seinen eigenen Stil ein. Das ist ein charakterlich einwandfreier junger Mann.

SZ: Wird es für Ihren Nachfolger Louis van Gaal ohne Uli Hoeneß neben sich einfacher?

Heynckes: Nein. Uli hat sich ja nie in die Belange des Trainers eingemischt. Nicht bei mir, und - soweit ich weiß - auch nicht beim Ottmar (Hitzfeld, Anm.), beim Felix (Magath, Anm.) oder beim Jürgen. Natürlich wird kontrovers diskutiert, und auf der Trainerbank spiegelt Ulis Mimik das Ergebnis und den Tabellenstand wider, aber er hat immer loyal zum Trainer gestanden. Wenn es zu Ende geht, dann ist er offen und ehrlich und sucht das Gespräch. Das findet man nur noch selten in diesem Geschäft, das mittlerweile stark den Zeitgeist spiegelt: In unserer Gesellschaft spielt das Wirtschaftliche schon eine extreme Rolle.

SZ: Wie sehen Sie die neue Mode der Trainer, just nach Belieben den Arbeitsplatz zu wechseln?

Heynckes: Früher wusste man ja schon, dass Spielerverträge nicht viel gelten, aber dass das jetzt auch für die Trainer gilt, ist schade. Daran sind die Klubs allerdings selbst schuld, wenn sie dem Trainer einen Vertrag mit Ausstiegsklausel geben. Ich würde das nicht machen, sonst würde ich den Trainer gar nicht erst verpflichten. Wenn sich der Trainer so eine Klausel ausbedingt, zeigt er, dass er sich nicht richtig mit seiner Aufgabe und dem Klub identifiziert. Sobald er ein besseres Angebot bekommt, haut er ab - wie man in diesen Tagen sehen kann.

SZ: Die Trainer scheinen ihre neue Macht zu genießen. Sind Sie in Ihrem Beruf zwanzig Jahre zu spät gekommen?

Heynckes: Nein, nein, ich habe als Spieler und als Trainer zur richtigen Zeit gelebt. Es hat sich viel geändert, trotzdem muss ein guter Klub wissen: Ich habe meine Kultur und mein Spielsystem - und danach muss sich der Trainer richten, den ich aussuche.

SZ: Aber der FC Bayern pflegt konzeptionell häufig die Richtung zu wechseln. Jürgen Klinsmann wurde ja genau deswegen geholt.

Heynckes: Auch der FC Bayern sollte den Trainer nach seiner gewachsenen Kultur wählen. Der FC Bayern hat nie Hurra-Fußball gespielt, sondern immer nüchternes Kalkül auf den Platz gebracht, sachlich und abwägend. Diesen Stil sollte man nicht ummodeln. Der FCBayern braucht als Trainer einen Fußball-Fachmann, und ich glaube, den haben sie jetzt in Louis van Gaal gefunden. Wie lange er dann bleiben kann, ist die andere Frage. Aber zwei, drei Jahre sind ja heutzutage schon eine lange Zeit.

SZ: Ist das Trainer-Leben beim FCBayern eine dauernde Mühsal?

Heynckes: Finde ich nicht. Man kennt doch den Uli, den Kalle, man weiß, wie Franz Beckenbauer tickt. Die tun ihre Meinung kund, das muss man als Trainer nicht so gram nehmen, da darf man nicht empfindlich sein. Sie erkennen die Autorität und Kompetenz schon an, das müssen die Herren auf dem Trainerposten einfach wissen. Die große Aufgeregtheit kommt doch meistens von außen.

SZ: Franck Ribéry ist alles andere als ein Vertreter des nüchternen Spielstils.

Heynckes: Das schließt sich nicht aus. Bei den Bayern ist natürlich auch Platz für einen Ribéry oder einen Spieler wie Demba Ba. Man braucht Spieler wie Ribéry, ich würde ihn nie abgeben, nicht mal für 100 Millionen Euro. Aber ich kenne die Mechanismen: Wenn er gehen will, muss man sich an einen Tisch setzen und reden. Da wird sich der FC Bayern anstrengen müssen, damit er ihm bieten kann, was er haben will: Ein so guter Spieler möchte halt auch mal Europas Fußballer des Jahres werden. Er will in einer Bayern-Mannschaft spielen, die in Europa mit den ganz Großen auf Augenhöhe ist.

SZ: War Ribéry der beste Spieler, den Sie je trainiert haben?

Heynckes: Nein, das kann ich nicht sagen. Da fällt mir zum Beispiel Lothar Matthäus ein, der in seinen ersten Jahren mein Spieler in Mönchengladbach und mit seinem Ehrgeiz, seiner Dynamik einer der besten war - auf einer Stufe mit Franz Beckenbauer, Uwe Seeler und Fritz Walter. Dann muss ich auch an Fernando Redondo denken, den Argentinier, den ich bei Real Madrid trainiert habe. Der war der Inbegriff eines Profis, auf dem Platz und außerhalb ein perfekter Mann. Und es gab noch so viele andere: Raúl, Mijatovic, Šuker, Seedorf, Roberto Carlos, Kohler, Thon, Augenthaler - da reihe ich auch Ribéry ein.

SZ: Da freut sich Klaus Augenthaler aber, dass Sie ihn auf eine Stufe mit Franck Ribéry stellen.

Heynckes: Er hat sieben deutsche Meisterschaften geholt. Solche Spieler sind unheimlich wertvoll für eine Mannschaft.

SZ: Wie geht es für Sie weiter? Ist die Trainerkarriere unwiderruflich vorbei?

Heynckes: Das möchte ich nicht sagen. Ich entspanne mich jetzt, und dann sehen wir weiter.

SZ: Sie könnten Privat-Trainer von Lukas Podolski in Köln werden.

Heynckes: Da haben Sie recht. Der würde sich vielleicht sogar freuen.

© SZ vom 06.06.2009/jüsc/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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