Huddersfield Town:Der 200-Millionen-Euro-Schuss

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Der Mann, der Huddersfield in die erste Liga schoss: der frühere 1860-Verteidiger Christopher Schindler. (Foto: dpa)
  • Huddersfield Town steigt in die englische Premier League auf - den Siegtreffer schießt ein früherer 1860-Profi.
  • Trainiert wird das Team von einem Deutschen: David Wagner aus Frankfurt am Main.
  • Die Premier League könnte sich dank dieser Pionierarbeit verstärkt auf dem deutschen Trainermarkt umsehen.

Von Sven Haist, London

In der Ehrenloge konnte Dean Hoyle nicht mehr hinsehen und auch nicht mehr hinhören. Der Besitzer des englischen Fußballvereins Huddersfield Town presste sein Gesicht auf das Tribünengeländer, er hielt sich die Ohren zu. Der wohl entscheidende Elfmeter im Playoff-Finale gegen Reading stand bevor, und Hoyle ertrug die Anspannung nicht mehr. Jetzt ein Fehlversuch - und wer hätte schon sagen können, ob für ihn jemals die Chance wiedergekommen wäre, mit seinem Kindheitsverein in die Premier League aufzusteigen.

Auf dem Spielfeld legte sich Christopher Schindler den Ball zurecht. Schindler kommt ja aus dem Land, das auf der Insel den Ruf besitzt, Elfmeter in Endlosschleife zu verwandeln: Er ist in München geboren. Nur hatte der Abwehrspieler in seiner Karriere kaum Erfahrung gesammelt, was Elfmeter angeht. Schon gar nicht unter der Beobachtung von 76 682 Zuschauern im Wembley, der englischen Fußball-Kathedrale. Und dann war es ja auch noch so, dass sich Huddersfields Saison mit 54 Pflichtspielen auf diesen einen Schuss reduzieren könnte, im Guten, aber auch im Schlechten. Ein Treffer würde dem Klub mindestens 200 Millionen Euro garantieren - und dem Team ein Rendezvous mit einigen der besten Spielern der Welt.

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Schindler nahm also Anlauf, ein paar Meter, die Augen auf den Ball fixiert. Er lief an, er schoss in die linke untere Ecke. Readings Torwart ahnte das, er sprang in Richtung des Balls, doch den Schuss konnte er nicht abwehren. Huddersfield hatte gewonnen, mit 4:3 (0:0, 0:0) im Elfmeterschießen. Und Schindler war jetzt der Mann, der wohl einen netten Eintrag in der Klub-Historie bekommt. Er war jetzt der Mann, der Huddersfield in die Premier League geschossen hatte.

"Der beste Moment meines Lebens"

"Dieses Gefühl ist unglaublich. Ich kann es nicht beschreiben", sagte er hinterher. Mit seinem Heimatverein TSV 1860 München ist ihm ja der Aufstieg in die Bundesliga immer verwehrt geblieben. Nun werde jedes Spiel in der Premier League ein Highlight, versicherte Schindler.

Nach 45 Jahren Abstinenz kehrt der dreimalige englische Meister Huddersfield Town also zurück in die erste Liga. Der sportliche Erfolg verleiht der rauen Textilindustriestadt in der Nähe von Leeds neuen Glanz. Am Dienstagabend dürften die meisten der 200 000 Einwohner ihre Idole mit offenen Armen empfangen, wenn Mannschaft und Fans bei einem Straßenumzug feiern.

Und was machte Hoyle, der Klubchef, der nicht mehr hatte zusehen wollen und können? Er ließ sich unmittelbar nach dem Triumph auf den Betonboden des Stadions fallen. Wenige Kilometer entfernt von Huddersfield aufgewachsen, sieht Hoyle, 50, den Klub nicht als finanzielles, sondern emotionales Investment an. Tränen der Rührung liefen ihm übers Gesicht, die Familie half ihm wieder auf. "Ein Traum ist in Erfüllung gegangen, der beste Moment meines Lebens", sagte er.

Die Wucht des Ereignisses riss jeden mit bei Huddersfield, außer: David Wagner, geboren in Frankfurt, einst Nachwuchstrainer in Hoffenheim und Dortmund, seit 2015 Chefcoach bei Huddersfield. Ganz in Schwarz gekleidet wendete er sich am Seitenrand von den Kollegen ab. Er hätte jetzt aufs Spielfeld rennen können wie alle anderen auch; stattdessen genoss er den größten Erfolg seiner Trainerkarriere in sich gekehrt.

Bei der Pokalübergabe für den Championship-Playoff-Sieger, den die Vereine auf den Tabellenrängen drei bis sechs ermitteln (Huddersfield wurde Fünfter), war es dann vorbei mit Wagners Zurückhaltung. Die Trophäe bekam ein Küsschen, und die Fans sahen ein kleines Tänzchen. "Was wir geschafft haben, ist eine unglaubliche Geschichte - ein Märchen", sagt Wagner. Den Spielern habe er vor der Partie gesagt, dass sie Legenden werden können: "Jetzt sind sie Legenden!"

Bei seiner Verpflichtung im November 2015 äußerte Hoyle die Hoffnung, mit Wagner den chronisch abstiegsgefährdeten Klub endlich wegzuführen von den unteren Rängen und ihm eine Identität zu geben. Dafür musste Wagner, 45, zunächst persönliche Vorbehalte überwinden. Im Gegensatz zu seinem Kumpel Jürgen Klopp reiste er nicht mit dem Renommee des Meistertrainers nach England, sondern als Amateurcoach von Borussia Dortmund. Wagner lässt eine ähnliche Art Fußball spielen wie Klopp. Ebenso besitzt er die Fähigkeit, einen Kader durch seine positive Ausstrahlung für ein Ziel begeistern zu können.

Der gewaltige Leistungssprung nach Rang 19 in der Vorsaison hat seinen Ursprung in der klugen Transferstrategie. Für vergleichsweise kleines Geld (etwa fünf Millionen Euro) deckte sich Huddersfield mit vielen neuen Spielern ein, fünf davon aus Deutschland. Teambildende Maßnahmen förderten den Zusammenhalt, vor dem Duell mit Reading ging es etwa für fünf Tage in ein Trainingslager nach Portugal. Nicht ungelegen kam Wagner zudem die teils konservative Herangehensweise der Konkurrenz, die den Neuerungen im modernen Fußball wenig aufgeschlossen gegenübersteht. So konnte sich Wagner zu einem Vordenker der Liga entwickeln.

Die erfolgreiche Pionierarbeit in Huddersfield dürfte bei anderen englischen Klubs die Reaktion auslösen, sich vermehrt auf dem deutschen Spieler- und Trainermarkt umzusehen (jüngstes Beispiel: Daniel Farke/Norwich City). Eine Ahnung, wohin das einmal führen könnte, gibt es in der kommenden Saison in der Premier League. An zwei Spieltagen werden die Klubs Huddersfield und Liverpool - beide Städte trennen etwa 100 Kilometer - aufeinandertreffen, und mit ihnen die Freunde Jürgen Klopp und David Wagner.

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