Ex-Löwe in England:"Über 1860 könnte ich einen Bestseller schreiben"

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Einmal Löwe, immer Löwe: Christopher Schindler (l) im Relegations-Duell mit Marc Heider von Holstein Kiel. (Foto: Martin Stoever/Getty Images)

Sagt Ex-Löwen-Kapitän Christopher Schindler im Rückblick auf seine Münchner Zeit. Er spielt heute gegen Manchester City, statt gegen den Abstieg aus der zweiten Liga.

Von Sven Haist, Huddersfield

Im Hinterland von Huddersfield erinnert nur wenig an das laute und hektische Treiben der englischen Fußballwelt. Von der Hauptstraße aus führt ein asphaltierter Weg in ein beschauliches Wohngebiet, dahinter sieht man nur noch grüne Wiesen. Herrliche nordenglische Landidylle.

Seit Sommer geht Christopher Schindler, 26, an diesem ruhigen Ort seiner Arbeit nach - als Profi bei Huddersfield Town. Er hat neuerdings einen kurzen Anfahrtsweg zum Trainingsgelände des englischen Zweitligisten. Der Ort bedeutet einen Ausgleich zu seiner vorherigen Station: Schindler war zuvor Kapitän beim TSV 1860 München. "In Huddersfield geht es: nur um Fußball. Nur um Fußball!", sagt er. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es bei Sechzig am Ende nicht mehr nur um Fußball ging. "Ich müsste lügen, wenn ich sage, das Drumherum geht spurlos an einem vorüber. Über den Verein könnte ich ein Buch schreiben. Es wäre mit Sicherheit ein Bestseller. Es gab so viele Momente, wo man denkt: Das gibt's doch nicht."

Huddersfield trifft im FA-Cup-Achtelfinale auf Manchester City

Sechzig ist für Schindler eine Herzenssache. Schon im Kindesalter fing er beim Verein an, er blieb bis zu seinem Wechsel im vergangenen Sommer. Am Ende hat er 17 Spielzeiten lang beim TSV 1860 gespielt , in der Jugend, bei den Amateuren und dann in 164 Einsätzen bei den Profis, zwei Jahre davon als Kapitän der Profimannschaft. "Richtig loslassen vom Verein kann ich nicht. Wenn möglich, verfolge ich die Spiele. Das ist der Klub, in dem ich groß geworden bin - und den ich liebe. Mir ist der Abschied extrem schwer gefallen", sagt er. Lange hat er darauf gehofft, dass sich Erfolg statt Abstiegskampf in der zweiten Liga einstellen würde: "Wir haben gemacht, was wir konnten, letztendlich schoss der Gegner ein Traumtor oder uns ist ein blöder Fehler unterlaufen." Statt eines immer wieder beschworenen Neuanfangs sei es bei den Löwen "kontinuierlich schlechter als besser geworden. Also habe ich gesagt: Ich fange anderswo an."

Schindler lehnt sich zurück auf seinem Sofa im Wohnzimmer. Draußen, hinter dem Zaun, grasen die Schafe, im Garten liegt ein Fußball, aus dem die Luft entwichen ist. "Ich fühle mich sehr wohl hier. Die Gastfreundlichkeit der Menschen ist beeindruckend. Jeder hilft dir in der Nachbarschaft. Zeit mit der Familie zu verbringen, ist meine Quelle, um Kraft zu tanken." Kraft benötigt Schindler gerade viel in seiner Debütsaison in England, denn im Duell mit den kantigen Stoßstürmern muss er dagegen halten. "Ein Blick zum Schiedsrichter bringt nichts, weil der nicht darauf reagiert, wenn dich einer mit der offenen Sohle attackiert. Du musst weiterspielen, bis unterbrochen wird. Sonst pfeifen dich die eigenen Fans aus." Zeitspiel ist in England verpönt, über allem steht die Einhaltung der Fairness. Anhänger besingen sogar Verteidiger nach einem gelungenen Zweikampf.

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In seinen sechs Monaten hat es der Münchner mittlerweile auf 30 Einsätze in der zweiten Liga gebracht, dabei steht der Großteil der Rückrunde noch aus. Schwer ist ihm die Anfangsphase gefallen, als viele Partien in engem Takt auf dem Spielplan standen: "Da bin ich ins kalte Wasser geworfen worden. Das Problem ist gar nicht der Körper, sondern der Kopf: wieder eine Busfahrt, wieder eine Hotelübernachtung, wieder ein neuer Gegner und wieder ein anderer Stürmertyp." Über Neujahr bekam der Innenverteidiger ein paar Tage frei, Erholungsurlaub in der Heimat. Den braucht man in dieser Liga mit ihren 24 Vereinen auch. Gerade absolviert Huddersfield einen Abschnitt mit zwölf Partien in 43 Tagen, also fast mehr Pflichtspielen als Trainingseinheiten.

Schindlers Verkauf brachte den Löwen eine Rekord-Ablöse

Am Samstag steht das Achtelfinale im FA-Cup gegen Manchester City an. Früher gab es diese Spiele für den Verein nicht oft, weil er regelmäßig in den ersten Runden ausschied. Mit dem deutschen Trainer David Wagner, der seit dem Spätherbst 2015 angestellt ist, kehrte der Erfolg zurück. Wagner gelang es, den abstiegsgefährdeten Klub nach oben zu führen. Als Tabellendritter spielt er nun um den Aufstieg in die Premier League. "Wir sollten nicht zu viel träumen, sondern uns die Gier auf den Erfolg bewahren", sagt Schindler.

Im Vergleich zur Konkurrenz kämpft Huddersfield mit finanziell überschaubaren Mitteln. Um diesen Nachteil auszugleichen, setzen die Verantwortlichen auf Wagners Marktkenntnis - und der setzt wiederum auf fünf deutsche Spieler im Kader. In der Innenverteidigung zum Beispiel stellt er sich zusammen mit Michael Hefele auf die gegnerischen Stürmertypen ein, der zuvor für die SpVgg Unterhaching und Dynamo Dresden gespielt hatte. "Wichtig war mir, dass ich deswegen keinen Bonus bekomme, um den englischen Profis zu zeigen, dass wir alle gleich sind", sagt Schindler.

Als Entschädigung für seinen Weggang erhielt der TSV 1860 die Ablösesumme von 2,2 Millionen Euro - ein Vereinsrekord. Huddersfield, erzählt Schindler, musste er dann erst einmal googeln. Und Trainer Wagner erzählte ihm am Telefon, was er vorhat: "Da war ich völlig überrumpelt, weil ich ja erst eine Saison zuvor bei Sechzig für vier Jahre unterschrieben hatte." Eigentlich sei er ja kein Abenteurer, aber ein Satz des Trainers ging ihm nicht mehr aus dem Kopf: "Wenn du Lust auf etwas ganz Neues hast, dann ist es das Richtige für dich." Also flog er mit seiner Frau nach Huddersfield. Als er ankam war der Trainingskomplex noch eine Baustelle: "Von einer Mannschaftskabine war jedenfalls wenig zu sehen. Irgendwie fand ich das cool. Auf dem Rückweg zum Flughafen hatte ich ein Lächeln im Gesicht." Später dann, im Urlaub auf der griechischen Insel Kos, entschloss er sich zum Neustart. Das war ein Einschnitt für die Familie, die erstmals aus München wegzog. Dazu kamen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem neuen Zuhause: Ein Wasserschaden und Probleme mit dem Umzugsunternehmen.

"Der Verein hat kaum noch etwas mit dem gemein, den ich einmal kennengelernt habe"

Während der Saison-Vorbereitung vermeldete der TSV 1860 die Rückholaktion von Stefan Aigner und modernisierte die Infrastruktur an der Grünwalder Straße. In einem persönlichen Gespräch hatte Schindler einst die Verantwortlichen auf die bestehenden Mängel hingewiesen. "Als sich die Dinge bei Sechzig offensichtlich zum Positiven zu wenden schienen, saß ich schon da und dachte kurz: Wäre ich vielleicht doch besser geblieben."

Der Eindruck täuschte, Sechzig sitzt wieder in den Niederungen der zweiten Liga fest. Die Abstiegsangst ist in den vergangenen Jahren größer geworden im Verein. "Vor dem Relegations-Rückspiel gegen Holstein Kiel (2:1, Juni 2015) habe ich nahezu gar nicht geschlafen", erzählt er, "wenn ich das Spiel in der Wiederholung sehe, kriege ich sofort Gänsehaut. Es ging um alles und wir spielen 70 Minuten lang wie gelähmt." Solche Erlebnisse gingen an die Substanz, zumal die darauf folgende Saison ähnlich dramatisch verlaufen war.

Schindler ist nicht der einzige, dem bei 1860 inzwischen die Freude vergangen ist. "Ich glaube, dass es für viele Menschen schwierig ist, sich mit der aktuellen Situation zu identifizieren. Der Verein hat kaum noch etwas mit dem gemein, den ich einmal kennengelernt habe", sagt er. Und das liegt nicht daran, dass er jetzt so weit von München entfernt lebt.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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