HSV holt bei Fink-Debüt Punkt gegen Wolfsburg:Bayernblutdoping mit positiven Nebenwirkungen

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Bei Thorsten Finks Debüt als Trainer erringen starke Hamburger gegen Wolfsburg wieder keinen Heimsieg. Doch der neue Lautsprecher an der Seitenlinie kann dem 1:1-Unentschieden Positives abgewinnen. Seine Mannschaft beherrscht den Gegner 88 Minuten und 56 Sekunden lang und beweist dabei neue Leidenschaft.

Sebastian Gierke

Noch keine Minute war Thorsten Fink für den Hamburger SV bei einem Punktspiel an der Seitenlinie gestanden, schon hatte er einen ersten großen Erfolg vorzuweisen. Denn der HSV war beim Anpfiff des Spiels gegen den VfL Wolfsburg nicht mehr Letzter. Seit sechs Spieltagen standen die Hamburger am Ende der Tabelle. Das hatte es in ihrer Geschichte seit Gründung der Fußball-Bundesliga 1963 noch nie gegeben. Und dann kommt also Thorsten Fink, der Erlöser, - und muss nicht einmal spielen, um die Rote Laterne weiterzureichen, es passiert einfach, aufgrund des besseren Torverhältnisses gegenüber dem SC Freiburg.

Thorsten Fink hat bei seinem Debüt als HSV-Trainer nicht gewonnen, aber seine Mannschaft hat einen guten Eindruck hinterlassen. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Nach einer Minute und fünf Sekunden hatte Thorsten Fink den ersten großen Rückschlag als HSV Trainer zu verkraften. Er war wieder Tabellenletzter. Wolfsburg hatte getroffen. Was für eine hässliche Begrüßung in Hamburg. Doch es sollte besser werden. Am Ende stand ein 1:1-Unentschieden, das schmeichelhaft war, nicht für Fink, sondern für Felix Magath und seine Wolfsburger.

Thorsten Fink hat in den wenigen Tagen, die er in Hamburg Trainer ist, versucht, seiner neuen Mannschaft den Glauben an das zurückzugeben, was ihr viele kategorisch abgesprochen haben: Die eigene Stärke. Er hatte dick aufgetragen. Sehr dick. "Wir sind viel stärker als viele Clubs in der Bundesliga", erklärte er. Und: "Ich bin ein Typ wie Jürgen Klopp." Und: "Wenn die Mannschaft meine Vorgaben umsetzt, wird sie erfolgreich sein." Fink versuchte die Hamburger mit dem Bayern-Gen zu impfen, das er als ehemaliger Münchner Spieler zu besitzen glaubt. Doch der aus Basel gekommene Trainer musste einsehen: Auch er schafft es nicht innerhalb einer Woche, aus einem verunsicherten Tabellenletzten eine überdurchschnittliche Bundesligamannschaft zu machen.

Beweise? Kein Problem: Anstoß. Denis Aogo spielt einen üblen Fehlpass und greift anschließend auf dem rechten Flügel Patrick Ochs nicht an. Der Wolfsburger kann flanken, in der Mitte ignorieren Jeffrey Bruma und Slobodan Rajkovic so den Wolfsburger Mario Mandzukic konsequent. Der köpft aus fünf Metern ein. Für Mandzukic war es der sechste Saisontreffer.

Thorsten Fink lächelte. So, wie sehr selbstsichere Menschen lächeln, wenn man sie auf den Arm nimmt. Ein bisschen überheblich, ein bisschen ungläubig. Gleichzeitig trat er von einem Bein auf das andere, wie es sehr unsicher Menschen tun, wenn man sie auf den Arm nimmt. Was würde jetzt passieren? Bricht der HSV auseinander? Oder reicht das Bayernblutdoping durch Fink, gebürtiger Dortmunder aber gefühlter Münchner, schon aus, um trotz dieses Rückschlages den Plan des Trainers umzusetzen?

Gefährlich über die Außen

Die Hamburger brachen nicht zusammen. Zwar war ihnen in einigen Situationen die Verunsicherung anzumerken, insgesamt hatten sie allerdings mehr vom Spiel als die Wolfsburger. In einigen Situationen war sogar ein System zu erkennen. Der 14. HSV-Trainer in den zurückliegenden zehn Jahren hatte angekündigt das Spiel im 4-4-2-System mit einem "flachen Mittelfeld" breit machen zu wollen, gefährlich über die Außen zu kommen. Seine Spieler setzten das gefällig um, hin und wieder zumindest, und kamen so zu Chancen.

Doch Paolo Guerrero (zu verspielt), Mladen Petric (zu harmlos mit dem schlechten rechten Fuß) und nochmal Petric (zu ungenau mit dem guten linken Fuß) konnten beste Chancen nicht nutzen. Sechs Möglichkeiten zählten die Statistiker für Hamburg in der ersten Hälfte, zwei hatten die Wolfsburger. 63 Prozent Ballbesitz für seine Mannschaft hatte Thorsten Fink gesehen. Es stand 1:0 - für Wolfsburg. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis der Ausgleich fiel.

Die Fußballgötter
:"Cheeeef! Abseits! Oder doch nicht?"

Der Linienrichter in Hannover ist gestresst. Stand Ya Konan nun im Abseits oder nicht? Passiv vielleicht? Hat er Manuel Neuer irritiert? Oder kann den besten Torwart der Welt überhaupt nichts irritieren? Und wann ist endlich Urlaub?

In der 55. Minute war es soweit. Nach einem wunderbaren Spielzug stand Petric plötzlich frei vor dem Wolfsburger Torhüter Diego Benaglio und er vollendete mit dem guten Linken und einem gefühlvollen Lupfer.

Fink lachte, rannte und sprang. Seinem Sportdirektor Frank Arnesen auf den Rücken. "Es war ein großer Schreck, so schnell ein Gegentor zu bekommen. Aber danach haben wir hervorragend gespielt und verdient das 1:1 gemacht", freute er sich anschließend. "Wir hatten mehr Chancen, mehr Ballbesitz - eigentlich alles. Nur ein Quäntchen Glück hat uns gefehlt. Wenn wir so weiterspielen, kommen wir ganz schnell da unten raus."

Eine Minute später fehlt Marcell Jansen nicht Glück, sondern Übersicht. Er hätte nur zu Petric hinüberspielen müssen, es wäre wohl die Führung für den HSV gewesen. Doch Jansen entschied sich, selbst abzuschließen, Benaglio konnte klären. Der HSV schnürte die Wolfsburger in deren Hälfte ein. "Wir haben viel offensiver gespielt als zuletzt, haben versucht den Gegner früh anzugreifen", sagte Petric nach dem Spiel. "Das haben wir gut hinbekommen, wir haben Wolfsburg dominiert. Das wird uns Selbstvertrauen gegeben."

Das war nicht das einzig Wunderliche, das an diesem Abend in Hamburg passierte. Seit dem 19. März haben die Hamburger kein Heimspiel mehr gewonnen. Auch dieses Mal wurde es nichts mit einem Sieg, doch so viel Spielfreude hatte man hier lange nicht gesehen. Und als die Wolfsburger in Person des offensiven Alleinunterhalters Mandzukic tatsächlich einmal wieder gefährlich wurden, zeigte der von den eigenen Fans schon einige Male verhöhnte Torhüter Jaroslav Drobný eine herausragende Parade. Und erntete dafür tatsächlich Drobný-Sprechchöre.

Der Lautsprecher Thorsten Fink hatte schon knapp eine Stunde, nachdem er seine Mannschaft zum ersten Mal getroffen hatte, erklärt: "Ich bin mit der Mannschaft auf einem sehr guten Weg." Nach dem ersten Spiel mit ihm als Cheftrainer ist man schwer versucht, ihm das zu glauben. Der Hamburger SV jedenfalls hat das Tabellenende verlassen.

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