Hollands Niederlage im WM-Halbfinale:Van Gaal gehen die Verrücktheiten aus

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Ausgepowert: Louis van Gaal (Foto: AFP)

Ausgerechnet im WM-Halbfinale gelingt es Louis van Gaal nicht mehr, sein Team nach vorne zu coachen. Die Niederlage im Elfmeterschießen sei "schlimmer als ein 1:7". Vor dem Showdown suchte van Gaal Elfmeterschützen - und handelte sich Absagen ein.

Von Jonas Beckenkamp

Der liebste Erdenmensch ist dem Fußballtrainer Aloysius Paulus Maria van Gaal bekanntlich er selbst. Als Bondscoach der Holländer hatte der 62-Jährige bei dieser WM wieder einmal eine Bühne gefunden, um seine Größe zu unterstreichen. Van Gaal zerpflückte mit taktischem Geschick Weltmeister Spanien, er verpasste seiner Mannschaft ein zynisch-erfolgreiches Konterkorsett und im Viertelfinale verblüffte er die Welt mit einem kuriosen Torwartwechsel vor dem Elfmeterschießen.

Seine eigenen Heldentaten hat Hollands Nationaltrainer gebührend beschrieben, für den Fall, dass es andere nicht tun. Man kann sich vorstellen, wie ihm nun die ohnehin schon stattliche Brust schwellen würde, wenn seine Mannschaft im Finale dieses Weltturniers stünde. Gegen Deutschland. Gegen viele alte Bekannte aus seiner Regentschaft beim FC Bayern. Gegen alle Zweifler, die Aloysius Paulus Maria van Gaal nicht für das Licht und die Sonne der Menschheit halten. Doch diese Perspektive bleibt ein Konjunktiv.

Van Gaal und seine Niederländer müssen Brasilien ohne weitere Legendenbildung verlassen - wobei es nach dem 2:4 im Elfmeterschießen im WM-Halbfinale gegen Argentinien natürlich viel zu erzählen gibt. Van Gaal überraschte seine Zuhörer noch in der Nacht mit einer eigenwilligen Feststellung: "Es ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Im Elfmeterschießen zu verlieren, ist schlimmer als ein 1:7 zu kriegen wie Brasilien gegen Deutschland."

Da dürften ihm sicher einige Erdenbewohner widersprechen - und vor allem stellt sich die Frage, warum van Gaal mit seinen Leuten in den vorangegangenen 120 Minuten nicht mehr unternommen hatte als ein paar klägliche Flanken ins Nirwana. Einen weitaus sympathischeren Verlierer gab indessen ein junger Mann auf der Tribüne des Stadions in São Paulo. Während die Gauchos die glückliche Fügung ihres Elfmeterschicksals ausgelassen feierten, flennte in der ersten Reihe ein blonder Junge in den Armen seiner Mutter: Luka Robben wirkte sogar noch enttäuschter als sein Vater Arjen, der zum Trösten herbeigeschlendert kam.

Wie schon im Finale vor vier Jahren, als Robben an Spaniens Keeper Iker Casillas gescheitert war, hatte der Bayern-Flitzer erneut die Entscheidung auf dem Fuß. Mit einem heroischen Tackling unterband Argentiniens Dauerantreiber Javier Mascherano jedoch kurz vor Ende der regulären Spielzeit Robbens einzige Aktion von echter Gefahr. "Er war genau pünktlich mit seiner Grätsche", grämte sich der Münchner, "es ist scheiße und es tut weh."

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Als es ins Elfmeterschießen ging, konnte selbst van Gaal keine Verrücktheit mehr aus dem Hut zaubern. Ersatzkeeper Tim Krul, der zuletzt noch alle costaricanischen Schützen um den Verstand gebracht hatte, saß draußen, weil das Wechselkontingent erschöpft war. "Ich weiß, dass Krul der bessere Elfmetertöter ist. Und wenn ich die Chance dazu gehabt hätte, hätte ich wieder ausgewechselt", sagte van Gaal.

Seine Nummer eins Jasper Cillessen wehrte keinen Versuch ab, dafür verfehlten seine Kollegen Ron Vlaar und Wesley Sneijder - und zwar ausgerechnet gegen einen Argentinier, den van Gaal einst in Alkmaar trainierte. "Wir waren so dicht dran. Und dann scheitern wir an Sergio Romero. Dem habe ich beigebracht, wie man Elfmeter hält", erklärte der Bondscoach.

Vielleicht hätte er auch seine derzeitigen Spieler instruieren müssen, wie das mit dem Schuss vom Punkt funktioniert. So richtig traute sich nämlich keiner den ersten Versuch zu, wie van Gaal offenbarte. Er habe gefragt, aber zwei Spieler wollten vor lauter Versagensangst nicht den wichtigen Anfang machen. Da Robin van Persie bereits ermüdet auf der Bank saß, blieben als Verantwortliche nur noch Vlaar, Sneijder, Robben, Dirk Kuyt (beide trafen) und Klaas-Jan Huntelaar (er war als Letzter vorgesehen). Eine ähnliche Debatte gab es beim FC Bayern nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Chelsea zu bestaunen.

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Vlaars Fehlschuss kam also aus purer Not zustande. "Ich war nervös", sagte der Abwehrmann später: "Ich hätte den Keeper wohl länger anschauen müssen." So blieb von diesem niveauärmsten Spiel dieser WM am Ende nur die Erkenntnis, dass die Holländer von zwei schlechten Mannschaften die noch schlechtere waren. Das Scheitern an den eigenen Nerven schien nach dem Viertelfinal-Krimi gegen Costa Rica kurzzeitig überwunden - nun ist es mit voller Wucht zurückgekehrt.

Und als "Strafe" blüht der Elftal jetzt das Spiel um Platz drei, das den meisten Holländern wie ein schlechter Witz vorkommt. Van Gaal und Robben konnten jedenfalls kaum verbergen, dass sie überhaupt keine Lust mehr auf das Duell am Samstag gegen Brasilien haben. Der frustrierte Münchner sagte: "Der dritte Platz kann mir gestohlen bleiben", während sein Trainer wohl lieber Kraft tanken würde vor seiner nächsten Aufgabe bei Manchester United.

Außerdem sei es "kein Fair Play", dass die Brasilianer einen Tag mehr Vorbereitung haben, erklärte van Gaal. So bestehe das Risiko, "dass man eventuell zweimal in Serie verliert. Und dass man damit ein Turnier, das so toll war, vielleicht als Loser beendet." Und das ist ein Stempel, den ein Unfehlbarer wie Aloysius Paulus Maria van Gaal auf keinen Fall tragen möchte.

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