Hockey:Deutschlands professionellste Amateure

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"Kaum ein Sport in Deutschland wird von Amateuren auf international so hohem Niveau gespielt": Münchens Nikas Berendts kämpft Mitte Dezember gegen Frankreichs Jules Verrier um den WM-Titel, den die deutsche U21 schließlich gewinnt. (Foto: Wong Fok Loy/Zuma Wire/Imago)

Beim Münchner SC wird Sport auf höchstem Niveau betrieben. Aber im Hockey gilt: Leistung wie ein Profi, Bezahlung wie ein Amateur. U21-Weltmeister Nikas Berendts erzählt von seinem vollen Alltag zwischen Hobby, Studium und Job.

Von Helene Altgelt

Eine Turnhalle im Münchner Norden, 50er-Jahre-Charme, nackter Beton an den Wänden, ein paar Ringe baumeln von der Decke. Auf den Holzbänken über dem Feld riecht es nach Schweiß, Kürbissuppe und Wurst - eine Leberkässemmel kostet drei Euro, eine kleine Suppe fünf. Ein Ambiente wie bei einem Spiel der örtlichen D-Jugend-Kicker.

Von außen wirkt die Turnhalle unauffällig, nur zwei Indizien deuten darauf hin, dass hier Mitte Januar Sport auf höchstem Niveau stattfindet, genauer gesagt ein entscheidendes Spiel in der Hockey-Bundesliga: das Gellen der Schiedsrichter-Pfeife und das charakteristische Klack-Klack-Klack des Hallenhockeys, wenn der Ball, ein kleines Kunststoffkügelchen, auf den Schläger trifft.

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München gegen Mannheim, die Anspannung vor Anpfiff ist greifbar, die Konstellation vielversprechend: München ist Dritter, Mannheim Zweiter, für den Einzug ins Viertelfinale um die Meisterschaft muss ein Sieg für den Münchner Sportclub her. Die Kugel saust nur so durch die Halle, und mit ihr die Spieler. Kaum ein Ball verspringt, rasant geht es hin und her. Geschickt nutzen die Spieler die Bande, die Holzbalken an den Seiten des Spielfelds, durch die sich ganz andere Winkel als bei anderen Sportarten ergeben. Ist das Sport oder Geometrie, fragen sich die rund 200 Zuschauer immer wieder, wenn ein scheinbar unmöglicher Ball den Weg zum Mitspieler findet.

Das rasende Tempo steht im starken Kontrast zur Amateur-Atmosphäre drumherum. Die Torhüter zeigen Glanzparade nach Glanzparade, am Eingang steht eine Spendenbox für ihre Ausrüstung: Die exorbitanten Kosten für den Ganzkörperschutz sind für einen kleinen Verein wie den MSC nicht leicht zu tragen. "Kaum ein Sport in Deutschland wird von Amateuren auf international so hohem Niveau gespielt", schreibt der Verein auf seiner Website. Dutzende Nationalspieler sind schon für den MSC aufgelaufen.

Die neueste Nachwuchshoffnung heißt Nikas Berendts. Berendts, 21, ist ein großer, lockerer Typ. Zum Gespräch vor dem Spiel kommt er in Pulli und Jeans statt im bordeauxroten MSC-Shirt und den grauen Shorts: Er hat gerade Pause, nach einem anstrengenden Jahr. Im Dezember hat er mit der deutschen U21-Nationalmannschaft die WM gewonnen, dazu kommen die Spiele und Trainings mit dem MSC. Berendts rechnet vor: 2023 hatte er 85 Lehrgangstage mit der U21, plus die dreiwöchige Weltmeisterschaft, plus dreimal Vereinstraining pro Woche, plus eine individuelle Einheit. Wer damit nicht genug hat, kann noch ein freiwilliges Training dranhängen. Macht insgesamt: sehr viel Zeitaufwand für ein Hobby, wie es Hockey ist.

"Dass am Ende wirklich Geld überwiesen wird, ist nur in einigen Bundesliga-Klubs der Fall", sagt Berendts. Er selbst bekommt als U21-Nationalspieler eine kleine Unterstützung

Training und Leistung wie ein Profi, Bezahlung wie ein Amateur - das ist die Realität in der Hockey-Bundesliga, obwohl sie als eine der stärksten Spielklassen der Welt gilt. Beim MSC arbeiten oder studieren alle, sagt Berendts, die Jüngsten gehen noch zur Schule. Von dem Sport können nur ganz wenige leben, und selbst die größten Hockeystars in Deutschland, wie Mats Grambusch, studieren oder arbeiten nebenbei.

Berendts weiß von einem einzigen Spieler, der vom Hockey lebt: der Belgier Alexander Hendrickx, dank einer aktiven Selbstvermarktung auf Instagram und vieler Sponsoren. "Dass am Ende wirklich Geld überwiesen wird, ist nur in einigen Bundesliga-Klubs der Fall", sagt Berendts. Dafür bieten die Vereine ein Netzwerk, Hilfe bei der Wohnungssuche oder ein Auto. So konnte Berendts auch einen Job als Werkstudent finden, der neben seinem BWL-Studium und dem Training noch in den Terminkalender gequetscht wird.

Berendts will sich nicht beschweren, schließlich wusste er von Anfang an, dass eine "duale Karriere" auf ihn zukommt. "Ich finde es auch ganz cool, wenn man es nur für die Passion zum Sport macht", meint er. Für ihn ist das selbstverständlich, der Gedanke, nur vom Sport zu leben, ist ihm noch nie wirklich gekommen - zu utopisch wäre das für eine Randsportart wie Hockey. Aktuell spielen etwa 90 000 Deutsche Hockey im Ligenbetrieb, im Fußball sind es mehr als sechs Millionen. Eine kleine Aufwandsentschädigung würde er sich zukünftig trotzdem wünschen, auch als Anerkennung. Die würde es ermöglichen, nicht mehr Vollzeit zu arbeiten, oder einen Teil vom Studium zu bezahlen. "Vor allem für die, deren Eltern nicht alles finanzieren können, wäre das eine extreme Hilfe", sagt er.

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Für A-Nationalspieler gibt es einige Möglichkeiten zur Förderung, durch die Deutsche Sporthilfe oder die Bundeswehr. "Da ist schon eine gewisse finanzielle Motivation dahinter", sagt Berendts, der als U21-Nationalspieler auch eine kleine Unterstützung erhält.

Für ihn hat der Schritt in die Männer-Nationalmannschaft aktuell aber keine Priorität, zumal es auf seiner Position, der Außenverteidigung, viel Konkurrenz gibt. Zunächst will er im Sommer den Bachelor-Abschluss machen. "Natürlich will ich weiter auf einem hohen Niveau spielen, aber es ist nicht leicht zu vereinbaren", sagt er. Später kann er sich gut vorstellen, ins Ausland zu gehen und Hockey mit einem Master-Studium zu verbinden. In Belgien, England oder den Niederlanden habe der Sport einen höheren Stellenwert, erklärt Berendts: "Die niederländische Liga ist vom Niveau her sehr gut, der Reiz ist auf jeden Fall da."

Der WM-Titel der deutschen Männer im Januar 2023 hatte nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne

In den Niederlanden ist das gelungen, was in Deutschland fehlt, trotz all der Erfolge der Nationalmannschaft. Auch die Aufmerksamkeit nach dem überraschenden WM-Sieg der Männer im Januar 2023 hatte nur die Lebensdauer einer Eintagsfliege. Berendts erklärt das mit den komplizierten Regeln- die Pfiffe des Schiedsrichters verstehen auch die MSC-Fans nicht immer, am wenigsten natürlich die gegen ihr Team. Die Schnelligkeit, Dynamik und Technik machen für Berendts dagegen den Reiz des Spiels aus.

Die noch größere Schwierigkeit beim MSC: In Deutschland gibt es ein Nord-Süd-Gefälle im Hockey, die erfolgreichsten Klubs kommen aus Köln, Mülheim oder Hamburg. In München hat man es da nicht leicht, auch wegen des Überangebots an Sport auf höchstem Niveau in der Stadt. Das hat auch sportliche Auswirkungen: In der letzten Feldhockey-Saison musste sich der MSC aus der Beletage verabschieden, früher gewann er zweimal die deutsche Meisterschaft.

Im Hallenhockey ist der MSC immer noch gut dabei, lange sieht es im entscheidenden Spiel gegen Mannheim nach einem Sieg aus. Vor der letzten Viertelstunde führen die "Ragazzi" mit drei Toren Vorsprung - und brechen dann komplett ein. Nach den fünf späten Gegentreffern gibt es leere Gesichter auf dem Feld und auf den Bänken, wo vor allem die Familien und Jugendspieler Platz gefunden haben. Denn Mannheim gewinnt das Spiel mit 7:6 und ist im Viertelfinale - während für den MSC die Hallensaison beendet ist.

Und Nikas Berendts? Er steht dann doch noch kurz auf dem Platz: Vor dem Spiel wird er, zusammen mit zwei U21-Kollegen aus Mannheim, noch mal für den WM-Sieg beklatscht. Beim Spiel selbst schaut er nur zu, aber vermutlich jucken ihm in der spannenden Schlussphase selbst die Füße - trotz der vielen Spiele im vergangenen Jahr.

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