Hertha BSC:Das schwankende Schiff landet am sicheren Ufer

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"Wäre ich abgestiegen, wäre mein Herz kaputtgegangen": Trainer Pal Dardai (links) mit Sportdirektor Arne Friedrich. (Foto: O.Behrendt/Contrast/Imago)

Trainer Pal Dardai lotst den selbst ernannten Big City Club zum Klassenverbleib - auch dank der Spieler aus der eigenen Akademie. Offen ist nur die Frage, ob der Retter auch in der kommenden Saison an Bord belieben darf.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am späten Samstagabend gab es in Berlin doch noch ein paar Bilder für Genießer. Der Trainer von Hertha BSC, Pal Dardai, saß im Garten eines sündhaft teuren Hotels im Berliner Grunewald und hielt in zwischen Daumen, Mittel- und Zeigefinger einen Stumpen, der arg danach aussah, nach allen Regeln der Kunst in Havanna, Kuba, zusammengerollt worden zu sein. "Heute bin ich der Chef!", sagte Dardai irgendwann, in Anspielung darauf, dass er zur Feier des Tages auch Überschwang für geboten hielt - nachdem er zuvor in seiner verschmitzten Art erklärt hatte, dass er nie Chef gewesen, nie irgendetwas selbst entschieden habe; sogar die Aufstellungen würden doch "von oben" angeordnet, wisse doch jeder, hahaha. Ein Spaß.

Die dringliche Frage jedoch, die über dem Westend kreist, wollte er nicht beantworten: Ob er auch der Chef der Zukunft sein wolle - einer Zukunft, die sich Hertha BSC unter seiner Führung erstritten hat. Denn durch ein 0:0 gegen den weiterhin abstiegsgefährdeten Tabellen-17. aus Köln, das alles andere war als ein Fall für Genießer, bleiben die Berliner der Fußballbundesliga erhalten. Was das wohl für eine Häme gegeben hätte, wenn der "Big City Club" eben nicht in Ballonseide mit Champagner und feinen Weinen angestoßen hätte wie am Samstag, sondern abgestiegen wäre. Wobei: Big City Club?

Tja, sagte Dardai. Beziehungsweise: Sagte er natürlich nicht, jedenfalls nicht wörtlich. Dardai sagte vielmehr dies: "Ich habe hier gespielt, da habe ich nie gehört: Big City. Wir sind ein deutscher Verein, in der Hauptstadt, in Berlin, für Berlin, das ist gut." Und: "Ich lebe im Westend, ich lebe in Berlin. Wäre ich abgestiegen, wäre mein Herz kaputtgegangen." Am Ende sei es auch um sein Gesicht gegangen, oder auch um seinen "Arsch", wie er sagte, als säße er in einer Eckkneipe im Wedding, wo die Hertha ursprünglich herkam, in der nicht nach Schampus und Cohibas riecht, sondern nach Schultheiß und billigen Filterzigaretten. Big City Club hin, Big City Club her.

"Big City Club" - das ist das längst Etikett, das Lars Windhorst, der Chef der Investmentgesellschaft Tennor, vor langen Monaten der Hertha verpasste. Rund 300 Millionen Euro hat er seit seinem Einstieg vor knapp zwei Jahren bei der Hertha verbuddelt, und auch wenn das im internationalen Vergleich nicht so viel ist, wie Dardai am Sonntag sagte, so ist es doch mehr als genug, um bessere Ergebnisse zu erzielen als die Hertha in den Jahren 2020 und 2021: Zwei Mal flirtete sie mit dem Abstieg. In der Vorsaison verschliss der Klub vier Trainer, unter ihnen Jürgen Klinsmann; diesmal musste Dardai Ende Januar für Bruno Labbadia einspringen. Aber das sagt sich so leichthin: In Wahrheit musste Dardai ein Schiff steuern, dass bei einer Abfolge kleinerer und größerer Umwälzungen und Dramen unterzugehen drohte.

"Ein ganzes Buch" könnte er über die Widrigkeiten schreiben, sagte Dardai. Schon die Zusammenfassung der wichtigsten Kapitel wirkt erschlagend. Gemeinsam mit Labbadia beendete der im Dezember installierte Geschäftsführer Carsten Schmidt im Januar auch die Ära von Manager Michael Preetz; Arne Friedrich wurde vom Performancemanager zum Sportdirektor befördert (und machte laut Dardai einen gigantischen Job); dem Tennor-Berater und Aufsichtsrat Jens Lehmann wurde hintergerufen, dass Rassismus bei Hertha keinen Platz habe, er wurde geschasst; zwischendrin wurde der aktuelle Eintracht-Manager Fredi Bobic als Preetz-Ersatz für die kommende Saison verpflichtet. Und dann schickte das örtliche Gesundheitsamt die Mannschaft für zwei Wochen wegen Corona-Fällen in Quarantäne. Aber es fügte sich doch: Ausgerechnet in der Zeit der Trennung, als alle in der häuslichen Isolation waren, wuchs etwas heran, das sich Mannschaftsgeist nennt. Und was Dardai zufolge grundlegend war für den Klassenerhalt.

Nichts jedenfalls sei schwieriger gewesen, als der Mannschaft die kleinen und großen Egoismen zu auszutreiben, sagte Dardai. Aber es half offenkundig auch, dass Hertha BSC auf gut ausgebildete Spieler aus der Akademie zurückgreifen konnte. Als immer mehr Profis verletzt ausfielen, waren es die in den eigenen Reihen Ausgebildeten, die das Windhorst-Investment rettete. So erzielte den wichtigen Siegtreffer zum 2:1 auf Schalke am vergangenen Donnerstag Jessic Ngankam: ein Stürmer, der seit den Grundschultagen auf dem Fußballplatz nie etwas anderes getragen hat als ein Hertha-Trikot. "So eine Saison schweißt vieles zusammen", sagte Dardai am Sonntag: "Die Jungs werden jetzt mehr schätzen, was Teamgeist bedeutet. Nur so kannst du erfolgreich sein." Und nun soll das alles wieder auseinanderfallen? Soll der vom Anhang vergötterte und bei der Mannschaft offenkundig beliebte Dardai wirklich die Bundesligamannschaft, die auf ihn setzt, einem Kollegen überantworten?

Offiziell ist noch nichts, aber die Bild-Zeitung meldete am Sonntag, dass Dardai Cheftrainer bleibe. Die Chefs wollten ihn halten; das letzte Wort habe der künftige, starke Mann bei Hertha, Fredi Bobic, der zurzeit noch in Frankfurt Krisenmanagement betreiben muss und sein Regierungsprogramm für die Hertha noch nicht vorgelegt hat. "Wir werden bestimmt reden. Es ist nicht meine Aufgabe, mich hier anzubieten", sagte Dardai am Sonntag - und wirkte entspannt.

Das lag auch daran, dass er keine Zukunftsängste haben muss. Sein Vertrag bei Hertha läuft so oder so noch weiter. Im Zweifelsfall würde er - wie schon 2018 - wieder in die Akademie zurückgehen und die U16 oder die U17 trainieren, sagte Dardai. Hundertprozentig gültig war am Sonntag aber dieses Bekenntnis, und das wohl auf lange Zeit: "Ich gehöre zu dieser Familie, ich gehe nicht weg."

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