Hannover 96:Labern und verlieren

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Zweikampf nach dem Spiel: Hannovers Trainer Thomas Doll (links) im Zwist mit Schiedsrichter Manuel Gräfe. (Foto: Marcel Engelbrecht/firo Sportphoto)

Thomas Doll legt sich in Augsburg mit Schiedsrichter Manuel Gräfe an. 96 plant nach der nächsten Niederlage bereits für den "Worst Case".

Von Maik Rosner, Augsburg

Es gibt wunderbare Zeitdokumente darüber, welche Blüten die Aufregung über einen Schiedsrichter treiben kann. In den Top drei dieser Hitliste lässt sich der Wutausbruch von Lothar Matthäus verorten, der nach dem 2:2 des FC Bayern beim Karlsruher SC am 19. November 1994 die Frage des Reporters gar nicht abwarten konnte, um seine Tirade gegen Hellmut Krug loszuwerden. "Das ist doch eine Frechheit, was der pfeift. Nur für eine Richtung", schimpfte Matthäus völlig außer sich und kam bei der Auflistung der gelben und roten Karten so sehr ins Stammeln, dass man sich das Video im Internet unbedingt noch mal anschauen sollte.

Fast noch spektakulärer geriet Hansa Rostocks 2:1-Sieg vom 10. September 1999, als Herbert Fandel gleich vier Platzverweise gegen den SSV Ulm 1846 verhängte und auch noch Trainer Martin Andermatt und Manager Erich Steer auf die Tribüne schickte. "Das gibt's doch nicht. Erste Liga, solche Schiedsrichter. Skandal!", schrie Ulms Spieler Janusz Gora beim Gang in die Kabine in eine TV-Kamera, ehe er einen völlig unbeteiligten Mann ähnlich resolut aus dem Weg räumte wie die Ulmer die Rostocker zuvor auf dem Platz.

"Hey, hör auf", sagt Doll zu Gräfe, "fünf Minuten sabbelst du uns voll."

Ganz so wild ging es am Wochenende beim 3:1 (0:1) des FC Augsburg zwar nicht zu. Aber zu einiger Berühmtheit hat es der in aller Öffentlichkeit und lautstark ausgetragene Disput zwischen Hannovers Trainer Thomas Doll, 52, und Schiedsrichter Manuel Gräfe, 45, schon jetzt gebracht. "Das ist Arroganz", rief Gräfe von der einen Seite der Interviewzone, nachdem er von Doll im Vorbeigehen mit ein paar Verwünschungen belegt worden war. "Hey, hör auf", konterte Doll von der anderen Seite, "fünf Minuten sabbelst du uns voll. Scheiß auf Arroganz." Dann verschwand er nach seiner sechsten Niederlage im siebten Spiel mit ein paar weiteren Missbilligungen gegen Gräfe in der Kabine.

Als er wieder heraustrat, legte Doll in der Pressekonferenz ähnlich aufgewühlt nach. Seine Einlassungen trugen für die unbeteiligten Zeugen ähnlich amüsante Züge wie das Streitgespräch zuvor. Gräfe habe ihn mit seinen Erklärungen minutenlang "volllabern wollen" und sich dabei "gockelig hingestellt", zürnte Doll. "Vom hohen Ross runterkommen" solle der Schiedsrichter; und ihm, Doll, Arroganz vorzuwerfen, sei "schon harter Tobak". Einig waren sich beide wohl nur über einen Satz des Fußballlehrers, wenngleich mit umgekehrtem Adressaten. "Mittlerweile nimmt sich der ein oder andere ein bisschen größer, als er ist", ereiferte sich Doll.

Dabei waren Hannovers Gegentore von Sergio Córdova (65.), Jonathan Schmid (78.) und André Hahn (86.) kaum umstritten gewesen. Zu der Aufregung war es vor allem wegen zweier Szenen gekommen. Zunächst beim Freistoß für Hannover 96, bei dem Genki Haraguchi mit seinem Schuss an die Latte das 0:2 verpasste (52.). Die Sicht der Gäste, wonach er ihnen mit seinem Pfiff einen Vorteil genommen habe, konnte Gräfe noch einigermaßen nachvollziehen, weil Nicolai Müller kurz nach dem Foul frei vor Augsburgs Torwart Gregor Kobel an den Ball gekommen war. Nicht aber nach Ansicht der TV-Bilder den zweiten Vorwurf, wonach er vor Schmids keckem Freistoß zum 2:1, als alle mit einer Flanke rechneten, ein Foul von Córdova an Hannovers Oliver Sorg übersehen habe. Besonders ärgerte Gräfe offenbar Dolls "höhnisches und ironisches" Gebaren in aller Öffentlichkeit. "Despektierlich" sei dies, ebenso wie Dolls Vorwürfe im Zwiegespräch zuvor. "Deinetwegen haben wir verloren", habe ihm der Trainer vorgehalten, berichtete Gräfe. Und ihn des Laberns zu bezichtigen, wenn er mit Doll in einen Dialog trete, "ist schon die erste Form der Arroganz". Da keine Beleidigung vorgelegen habe, sah Gräfe von einem Sonderbericht ab. "Ich will das auch nicht höher hängen, als es ist", sagte Gräfe, der als einer Besten seiner Zunft gilt und von vielen Profis wegen seiner großzügigen Linie geschätzt wird. "Wenn man absteigt oder gegen den Abstieg kämpft, dann ist man frustriert", befand Gräfe.

Die Augsburger haben sich vom Szenario Abstieg nach dem Rückstand durch Hendrik Weydandt (8.) zwar mit einiger Mühe, aber doch verdientermaßen ein weiteres Stück entfernt. Fünf Punkte beträgt ihr Vorsprung auf den Relegationsplatz, die direkten Abstiegsplätze müssen sie wohl nicht mehr fürchten. "Das war ein wichtiger Schritt", sagte Manager Stefan Reuter, aber es müssten weitere folgen. Die Gelegenheit dafür bietet sich direkt nach der Länderspielpause, wenn es beim 1. FC Nürnberg zum nächsten direkten Vergleich im Tabellenkeller kommt. Hannover empfängt dann den ebenfalls abstiegsbedrohten FC Schalke. Doch natürlich planen sie bei 96 mit gebotenem Realismus bereits für die zweite Liga. "Wenn der Worst Case eintritt, wollen wir mit Thomas Doll wieder aufsteigen", sagte Manager Horst Heldt, "so ist das zumindest besprochen worden."

© SZ vom 18.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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