Hannover 96:Ein Fragezeichen zu viel

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Angeblich nicht ganz fit, aber für zwei Tore hat's gereicht: Darmstadts Stürmer Sandro Wagner bei seinem Ausgleichstreffer in Hannover. (Foto: Jan Huebner/imago)

Der neue Trainer Thomas Schaaf ahnt nach dem 1:2 gegen den Aufsteiger Darmstadt, was im Abstiegskampf auf ihn zukommen könnte.

Von Jörg Marwedel, Hannover

Thomas Schaaf schenkte Dirk Schuster einen Kaffee ein, und der revanchierte sich, indem er Schaaf einen "ausgezeichneten Trainer" nannte und Hannover genügend Punkte wünschte. Hannover gehöre in die Bundesliga, meinte Schuster, und auch Schaaf gönnte dem Berufsgenossen alles Gute. Es imponiere ihm, "was du mit Darmstadt auf die Beine gestellt hast".

Das Pläuschchen unter Kollegen hätte noch eine Weile so weitergehen können. Vielleicht hätte der einstige Bremer Meistercoach, der erstmals bei einem Punktspiel mit der 96-Jacke auftrat, dann vergessen, dass sein Bundesliga-Comeback Monaten nach acht Monaten mit 1:2 missglückt war. Und obwohl Schaaf sagte, es habe "Riesenspaß" gemacht, wieder an der Linie zu stehen, hatte er nach dem Abpfiff noch lange allein in der Coaching-Zone verharrt - ahnend, was in den nächsten Monaten auf ihn zukommen könnte.

Seit Samstagabend ist Hannover 96 Tabellenletzter. Die sogenannten Big Points, mit denen man Darmstadt in den Abstiegskampf-Schlamassel mit hinunter gezogen hätte, waren am Ende ausgeblieben. Und nun geht es zu Bayer Leverkusen.

Dabei hatte es in der ersten halben Stunde noch so ausgesehen, als habe Schaaf die 96er verwandelt wie ein Geisterbeschwörer. Die in besten Bremer Zeiten bewährte Mittelfeld-Raute mit dem von Schaaf wieder entdeckten André Hoffmann als Sechser gab dem Offensivspiel eine andere Gestalt, was natürlich auch mit dem neuen Angriffsduo Adam Szalai/Hugo Almeida zusammenhing. Während Szalai vom Gegner oft nur mit Fouls zu stoppen war, setzte Almeida seine nach eigener Einschätzung erst bei "50 bis 60 Prozent" liegende Fitness so optimal ein, dass er in der 10. Minute den Ball mit dem Selbstbewusstsein eines portugiesischen Nationalstürmers zum 1:0 unter die Latte drosch.

Das Problem war nur, dass die meisten Mitspieler nach der schwachen Hinrunde höchstens so viel Souveränität angesammelt hatten wie ein Sitzenbleiber-Kandidat in der Schule. "Am Anfang", sagte der Lehrer Schaaf, "haben wir viele Fragen gut beantwortet." Später sei da manchmal "ein Fragezeichen zu viel für uns" gewesen. Was einerseits daran lag, dass die Abwehr zunehmend so spielte, wie man es von Schaaf-Teams zuletzt auch kannte - nämlich zuweilen wie ein löchriger Deich. Andererseits fehlte nach Darmstadts Ausgleich durch Sandro Wagner (31.) auch vorne der Mut. Jeder Hannoveraner versuchte, lieber einem Kollegen den Ball zuzuschieben, anstatt selber zu schießen. Seine Spieler seien "in alte Muster verfallen", analysierte Schaaf. Das Neue sei "nicht so einfach in die Köpfe reinzukriegen".

Wer also dachte, die Darmstädter Aufsteiger würden spätestens nach der Winterpause einbrechen, der wurde ein weiteres Mal überrascht. Die Darmstädter sind mit ihrem "Straßenköter-Fußball" (so Trainer Schuster) mit 14 Punkten die drittbeste Auswärtsmannschaft nach dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Und ausgerechnet Wagner, der sich weder beim SV Werder (unter Schaaf) noch bei Hertha BSC durchsetzen konnte, stocherte diesmal gleich zwei Bälle ins gegnerische Tor. Und das, obwohl sich die 98er-Offensive kaum vorbereiten konnte. "Rosi, Helle und ich konnten kaum trainieren", sagte Wagner, der beim Joggen im Urlaub umgeknickt war. Helle ist der Flügelflitzer Marcel Heller, der vor dem 1:1 die Flanke schlug, Rosi der frühere Hannoveraner Jan Rosenthal, der vor dem 1:2 die Kugel an den Pfosten setzte, ehe Wagner abstaubte.

Hannover will in der nächsten Woche noch einen Abwehrspieler verpflichten

Er habe "gepumpt wie ein Maikäfer", gestand Sandro Wagner später, er sei noch lange nicht bei 100 Prozent. Aber als der Trainer ihn fragte, ob er bereit sei, habe er "ein bisschen geflunkert". Je länger das Spiel dauerte, umso mehr Chancen ergaben sich für die Darmstädter; schon in der 45. Minute hätten sie in Führung gehen können, als Peter Niemeyer eine ungenügende Faustabwehr von Hannovers Nationaltorwart Ron-Robert Zieler postwendend zurücksandte und den Ball aus 25 Metern an den Pfosten setzte. Auch Niemeyer ist wie Wagner ein ehemaliger Schaaf-Schützling aus Bremen, was den Trainer zu der bärbeißigen Feststellung trieb: Wenn er solche Wiedersehen verhindern wollte, "dann dürfte ich gar nicht mehr in der Bundesliga arbeiten". Auch in Hannover arbeitet Schaaf mit Spielern aus alten Werder-Zeiten (Clemens Schulz, Leon Andreasen, Hugo Almeida).

Wahrscheinlich wird nun bis zur Schließung des Transferfensters am 1. Februar noch ein weiterer Profi hinzu kommen. "Ein Schuss Sicherheit würde uns vielleicht noch gut tun", sagte Thomas Schaaf am Sonntagmorgen, was wohl bedeutet: Ein Defensiv-Stabilisator wird noch gesucht. Die Chance, dass es wieder ein früherer Bremer ist, dürfte aber nicht allzu groß sein. Denn zu Schaafs Zeiten lag die Stärke des SV Werder eindeutig mehr in der Offensive.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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