Handball-WM:Gensheimer bezwingt die Trauer für 60 Minuten

Lesezeit: 3 min

Wenige Tage nach dem Tod seines Vaters zeigt Uwe Gensheimer eine unglaublich starke Leistung bei der Weltmeisterschaft gegen Ungarn. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Trotz des plötzlichen Todes seines Vaters spielt der Kapitän der deutschen Handballer eine bemerkenswerte WM-Auftaktpartie. Seine Team huldigt einem "großartigen Menschen".

Von Felix Meininghaus, Rouen

Uwe Gensheimer mochte nicht reden. Nicht heute, nicht nach diesem für ihn so schwierigen Spiel. Im Eilschritt marschierte der Kapitän durch die Mixed Zone der Arena von Rouen, wo auch immer er von den wartenden Journalisten angesprochen wurde, schüttelte er mit dem Kopf. Dabei hätte es so viel zu sagen gegeben nach diesem in jeder Hinsicht bemerkenswerten Auftritt.

Deutschland hatte sein Auftaktspiel der Handball-Weltmeisterschaft gegen Ungarn vor allem deshalb mit 27:23 (16:11) gewonnen, weil der Kapitän 13 Tore geworfen hatte. Davon acht von der Siebenmeterlinie. Wo auch immer Gensheimer an diesem Abend auftauchte, er versenkte den Ball mit unnachahmlicher Präzision. Nur zwei Mal scheiterte er, als er von außen in den Kreis sprang, es war eine denkwürdige Vorstellung. Und doch wollte der 30-Jährige nicht über das vielleicht beste Länderspiel reden, das er jemals bestritten hat. Was daran lag, dass es auch das mit Abstand schwierigste war.

Handball
:Livestream der Handball-WM bricht zusammen

Fünf Minuten lang können die Zuschauer im Internet das erste Spiel der Deutschen live mitverfolgen - dann geht 18 Minuten lang nichts mehr. Server-Probleme sollen nicht die Ursache sein.

Vater erliegt kurz vor Turnier-Beginn einem Krebsleiden

Der Routinier, der sein Geld in der französischen Liga bei Paris Saint-Germain verdient, befindet sich in Trauer. Wenige Tage vor Beginn der WM erlag sein Vater Dieter im Alter von 60 Jahren einem Krebsleiden, Gensheimer reiste aus dem Vorbereitungs-Trainingslager in der Sportschule Kaiserau ab, um der Familie in seiner Heimatstadt Mannheim beizustehen. Es war unklar, ob und wann der Linksaußen zur Mannschaft zurückkehren würde, erst am Tag vor dem Spiel fuhr ihn Teammanager Oliver Roggisch zum Vorrunden-Spielort in der Normandie.

In einer Pressemitteilung des Deutschen Handball-Bundes (DHB) wurde Gensheimer folgendermaßen zitiert: "Ich bin jetzt auf dem Weg und werde die Weltmeisterschaft spielen. Das hätte mein Vater so gewollt. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich hierzu während der WM nicht weiter äußern werde." Und so geschah es: Gensheimer lieferte beim in der ersten Halbzeit souveränen und im zweiten Durchgang hart umkämpften Auftakterfolg der sogenannten "Bad Boys" ein Spiel ab, das von so viel Klasse und Haltung zeugte, dass sich jedes Wort erübrigte.

Dafür sprachen andere. Zum Beispiel Julius Kühn. Der 23-jährige Rückraum-Shooter aus Gummersbach berichtete, er habe angesichts der Vorstellung seines Kollegen eine Gänsehaut verspürt: "Vor solch einer Leistung kann man nur den Hut ziehen." Und Bundestrainer Dagur Sigurdsson fasste den Auftritt sichtlich bewegt mit nur einem Wort zusammen: "Großartig."

Bob Hanning, der sich als Vizepräsident im DHB für die sportlichen Belange verantwortlich zeichnet, formulierte wahre Elogen über den Spieler mit dem weltweit größten Wurfrepertoire. Mehr als über den so wichtigen Auftaktsieg habe er sich über das gefreut, was er von Uwe Gensheimer gesehen habe: "Er ist ein fantastischer Kapitän und ein toller Mensch."

Sigurdsson beschwört die Pflicht der Gemeinschaft

Zudem ist der Mannheimer ein außergewöhnlicher Handballer mit großer Reife, der in einer jungen und hochveranlagten Mannschaft Führungsaufgaben übernimmt. Und der in schweren Zeiten für sich in Anspruch nimmt, von der Gemeinschaft aufgefangen zu werden. Es geht in diesen Tagen für die deutschen Handballer nicht nur darum, sich auf den nächsten Gegner vorzubereiten, sondern auch um weiche Faktoren wie Rückendeckung, Geborgenheit und Teamgeist. Die Pflicht der Gemeinschaft hatte Sigurdsson am Tag vor dem Auftritt gegen Ungarn so formuliert: "Wir müssen Uwe gut empfangen und dafür sorgen, dass er sich wohl fühlt." Rückraumspieler Kai Häfner betonte nach dem Spiel, wie wichtig es sei, "für ihn da zu sein, ihm zu helfen, wenn er uns braucht". Wobei Hanning weiß, wie einsam Trauer macht. "In dieser Situation kann dich kein Mensch aufbauen, du musst mit dem Schmerz alleine umgehen."

Im Verlaufe der kommenden Tage wird Gensheimer noch einmal nach Hause zurückkehren, um bei seiner Familie zu sein und bei der Beisetzung seines Vaters dabei zu sein. Dabei bekommt er freie Hand, er könne reisen, "wann immer er will, wann immer es notwendig ist", betonte Hanning. "Den Zeitpunkt, sich wichtigeren Dingen als Handball zuzuwenden, bestimmt er allein." Genau wie den Zeitpunkt, nach vorn zu blicken und zur Normalität zurückzukehren. Bob Hanning wäre es recht, wenn das nicht allzu lang dauern würde. Den berichtenden Journalisten in Rouen beschied er: "Tut uns allen einen Gefallen. Lasst uns nicht mehr so viel darüber reden."

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Handball-WM
:Heinevetter packt die Paraden aus

Ob quer in der Luft oder am Boden: Silvio Heinevetter hält beim WM-Auftakt der deutschen Handballer gegen Ungarn überragend. Uwe Gensheimer erlebt mit 13 Toren einen großen Abend.

Von Joachim Mölter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: