Handball-WM in Ägypten:Alles außer Hygge

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Auch im Finale nicht zu stoppen: Dänemarks Spielmacher Mikkel Hansen war mit sieben Treffern erfolgreichster Torschütze. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Dänemark und Schweden machen den WM-Titel unter sich aus. Beide eint ihre Liebe zu schnellem Handball - ihre Voraussetzungen unterscheiden sich aber stark.

Von Tim Brack

Die Skandinavier sind so etwas wie die Erfinder der modernen Gemütlichkeit. In Häusern von Stockholm bis Kopenhagen prägen Holzmöbel und knisternde Lagerfeuer das Klischee vom idealen Wohnzimmer, Genuss auf skandinavische Art ist längst ein Ideal für viele. Im Handball aber geht von den Skandinaviern nicht unbedingt eine hyggelige Stimmung aus, im Gegenteil: Der skandinavische Tempohandball hat die Weltmeisterschaft in Ägypten dominiert, das Duell zwischen Dänemark und Schweden war am Sonntag das logische Finale von Kairo. Die Dänen siegten dabei 26:24 (13:13) und verteidigten damit ihren Titel.

Tempo, Tempo, Tempo - die beiden Länder sind sich nicht nur geografisch nah, sie ähnelten sich in ihren nimmermüden Angriffswellen auch stilistisch. Mit jeweils 62 Gegenstößen waren Dänen und Schweden ins Endspiel gesprintet - mit großem Abstand der Höchstwert des Turniers. Als die etwas versierteren durften sich vor dem Finale die Geschwindigkeitsexperten aus Schweden fühlen; sie hatten den Ball bei 82 Prozent ihrer Schnellangriffe im Tor versenkt, die Dänen lagen bei 73 Prozent. Die Teams waren also gewarnt - im Endspiel unterbanden sie die Gegenstöße des Gegners, indem sie sich mit höchstmöglichem Tempo in die Abwehr zurückzogen, sobald sie im Angriff den Ball abgegeben hatten.

In der Liebe zur Geschwindigkeit waren beide Finalisten also vereint, ihre Voraussetzungen unterscheiden sie jedoch stark. Die Dänen waren trotz einiger Ausfälle als Favoriten ins Turnier gestartet. Sie cruisten durch Vor- und Hauptrunde, in der K.-o.-Runde bewiesen sie gegen Gastgeber Ägypten (39:38 nach Siebenmeterwerfen) und Europameister Spanien (35:33), dass sie mit engen Situationen umzugehen wissen. Das zahlte sich auch im Finale aus, als sie die lange Zeit enge Partie in ihre Richtung bogen.

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Niklas Landin ist der große Rückhalt der Dänen

Im dänischen Positionsangriff fliegt der Ball präzise und schnell wie auf einer Magnetbahn von Spieler zu Spieler; Mikkel Hansen, dreimaliger Welthandballer, lenkt zuverlässig das Geschehen und wirft auch viele Tore - im Finale waren es sieben. An seiner Seite hat er in Mathias Gidsel die Entdeckung dieses Turniers. Der Linkshänder imponierte zunächst als Rückraumspieler, selbst um die größten Abwehrbrocken schlängelte sich der 21-Jährige herum wie ein österreichischer Skirennfahrer um die Slalomstangen. Im Finale rückte er an den Rand des Geschehens, er musste den etatmäßigen Rechtsaußen Lasse Svan ersetzen, der nach wenigen Minuten verletzt ausfiel.

Rückhalt des Weltmeisters: Torhüter Niklas Landin brachte Schwedens Angreifer wie Max Darj phasenweise zum Verzweifeln. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Der große Rückhalt in der K.-o.-Runde war aber Niklas Landin. Auch der Torhüter war schon Welthandballer (2019), er hat ähnliche Qualitäten, wie sie Frankreichs legendärer Torwart Thierry Omeyer (Welthandballer 2008) oft demonstrierte: Omeyer hatte nicht immer die höchste Abwehrquote, aber in entscheidenden Situationen parierte er Würfe aus kürzester Distanz - demoralisierend für den Gegner, motivierend für die Mitspieler. Niklas Landin entnervte die Schweden so vor allem in der zweiten Halbzeit, "er ist einer der größten Handballspieler, die Dänemark jemals gehabt hat", schwärmte Rechtsaußen Lasse Svan.

Ein Knopf im Ohr hilft dem Trainer der Schweden

Schwedens Handballer surften derweil auf einer Welle durchs Turnier, wie sie nur Außenseiter erwischen können. Nach einer enttäuschenden EM 2020 war die Mannschaft im Umbruch, letztmals war 1999 der WM-Titel gewonnen worden. Die neue Generation trotzte allen Widrigkeiten, jeder investierte viel in den Gesamterfolg. Abwehrexperte Frederic Pettersson, eher nicht als Sprinter bekannt, erklärte im Turnierverlauf gar pathetisch, dass selbst er mitrennen würde, "bis ich mich übergebe oder tot bin".

Knopf im Ohr: Schwedens Trainer Glenn Solberg hat eine Standleitung zum Abwehr-Experten Tobias Karlsson auf der Tribüne. (Foto: Mohamed Abd El Ghany/Reuters)

Trainiert werden diese Schweden von einem Norweger. Glenn Solberg, 48, schaffte es bei seinem ersten Turnier als Chefcoach, ein Ensemble mit Titelreife zu präsentieren. Solberg, wie so viele Skandinavier lange als Profi in der Bundesliga aktiv, geht ungewöhnliche Wege, um seine Defensive abzudichten. Während der Spiele trägt er einen kabellosen Kopfhörer im rechten Ohr. Über diesen flüstert ihm Teammanager Tobias Karlsson, einst Koryphäe in der Abwehr, seine Beobachtungen ein. "Von der Tribüne hat er einen besseren Überblick als wir auf der Bank", erklärt Solberg ein Vorgehen, das in Sportarten wie American Football üblich ist, im Handball aber eher ungewöhnlich.

Bis zum Finale zerschellten die Gegner im Zentrum an den Abwehrriesen Max Darj oder Pettersson, und falls ein Wurf durchkam, war Andreas Palicka im Tor in weltmeisterlicher Form. Das bekamen die erfolgsverwöhnten Franzosen im Halbfinale zu spüren, das die Schweden überraschend abgeklärt dominierten (32:26). Stellvertretend für die Effizienz der Mannschaft stand übers Turnier Hampus Wanne. Er verwandelt Tempogegenstöße, Siebenmeter und Würfe aus spitzem Winkel, als kenne er keinen Druck.

Andreas Palicka hält für die Rhein-Neckar Löwen, Hampus Wanne und Spielmacher Jim Gottfridsson stehen bei der SG Flensburg-Handewitt unter Vertrag. Insgesamt waren die Schweden mit zwölf Bundesligaprofis angetreten. Die deutsche Liga ist, zumindest was die Qualität des angestellten Personals betrifft, die Nummer eins auf dem Planeten. Dort holen sich viele Skandinavier den letzten Schliff. Auch die Norweger: Hätte nicht Magnus Rod (Flensburg) für die WM in Ägypten verletzt abgesagt und Sander Sagosen (Kiel) im Viertelfinale verletzt aufgeben müssen, hätte auch deren Rolle bei diesen skandinavischen Meisterschaften mit internationaler Beteiligung noch eindrucksvoller ausfallen können. Sie pflegen den selben Stil: Gerannt wird, bis der Gegner müde ist.

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