Handball-WM:Hoffen auf den Dosenöffner-Effekt

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Bundestrainer Christian Prokop steht bei der Heim-WM unter Druck. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • An diesem Donnerstag (18.15 Uhr) beginnt die Handball-Weltmeisterschaft. Bei dem Turnier, das in Deutschland und Dänemark stattfindet, will das deutsche Team das Halbfinale erreichen.
  • Bundestrainer Christian Prokop steht nach der verkorksten Europameisterschaft von Beginn an unter Druck.
  • In den ersten beiden Spielen geht es gegen machbare Gegner.

Von Joachim Mölter, Berlin

Bob Hanning hat es zu seinem Markenzeichen gemacht, optisch aus der Reihe zu tanzen, wenn sich die Führungskräfte des Deutschen Handballbundes auf einem Podium zusammensetzen, und dieses Markenzeichen behielt er auch bei der Auftaktpressekonferenz vor der an diesem Donnerstag beginnenden Weltmeisterschaft in Berlin bei.

Da nahmen also vier Würden- und Anzugträger des DHB in den Räumen eines Sponsors Platz, alle in dunklen Sakkos und weißen, offenen Hemden - und dazwischen saß der Vizepräsident Hanning im langärmligen T-Shirt, auf dessen blau-beige-schwarzem Grundton allerlei goldene Löwen, Nymphen und sonstige Ornamente gedruckt waren. Es zeugt von Selbstbewusstsein, so was Schrilles zu tragen, und es sollte wohl auch das Selbstbewusstsein demonstrieren, mit dem die deutschen Handballer in dieses Turnier gehen, das der DHB gemeinsam mit Dänemark ausrichtet. "Das Halbfinale ist das klar gesteckte Ziel", bekräftigte DHB-Präsident Andreas Michelmann. Zumindest in dieser Hinsicht ist Hanning völlig auf einer Linie mit seinen Kollegen.

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Vor dem Eröffnungsspiel gegen eine gemeinsame Mannschaft aus Korea an diesem Donnerstag (18.15 Uhr/ZDF) verströmen die Repräsentanten des DHB eine große Einigkeit, egal, ob Funktionäre, Spieler, Trainer, Betreuer: Alle wollen ins Halbfinale nach Hamburg; alle wollen begeisternden Handball zeigen, das Publikum mitreißen, eine Euphorie entfachen, so wie 2007, als das globale Championat zuletzt in Deutschland ausgetragen wurde und mit einem groß gefeierten Heimsieg endete. Die ständige Erinnerung an diesen Titel-Triumph erzeugt freilich auch Erwartungen, die noch schwer auf Bundestrainer Christian Prokop und seinen 16 auserwählten Spielern lasten könnten.

Die deutsche Mannschaft kann ja ein starkes Turnier spielen und am Ende trotzdem Siebter werden: Schon in der Vorrunde geht es gegen Titelverteidiger Frankreich, der vier der jüngsten fünf Weltmeisterschaften gewonnen hat; in der Zwischenrunde in Köln bekommt sie es aller Voraussicht nach mit Europameister Spanien und dem Halbfinal-Abonnenten Kroatien zu tun, der sich für den Ausrutscher mit Platz fünf bei seiner Heim-EM vor einem Jahr rehabilitieren will. Und spätestens im Halbfinale kommt es zum Duell mit einem starken Team aus den dänischen Vorrundengruppen - Olympiasieger Dänemark, dem WM-Zweiten Norwegen oder dem EM-Zweiten Schweden. Gegen jedes dieser Teams kann man selbst dann verlieren, wenn man eine optimale Leistung bringt. Und ob die DHB-Auswahl dazu in der Lage ist, muss sich erst noch zeigen.

Der 2017 zum Bundestrainer berufene Prokop, 40, hatte zwar von seinem Vorgänger Dagur Sigurdsson eine funktionierende Mannschaft übernommen, diese aber bei seinem Turnierdebüt, der EM 2018, erst einmal regelrecht dekonstruiert. Unter anderem durch den Verzicht auf Abwehrchef Finn Lemke, beim EM-Gewinn zwei Jahre zuvor noch eine tragende Säule des Teams, und die Berufung von drei international unerfahrenen Spielern aus seinem früheren Klub SC DHfK Leipzig. Das hatte letztlich zum Absturz des damaligen Titelverteidigers auf Platz neun geführt und Prokop beinahe den Job gekostet - trotz eines Fünfjahresvertrages.

Das DHB-Präsidium hatte erst nach wochenlangen Analysen Prokop das Vertrauen ausgesprochen, und dieser hat sich den ganzen Sommer über daran gemacht, das Porzellan zu kitten, das er zerschlagen hatte. Der 40-Jährige beeindruckte die Spieler dabei auch dadurch, dass er sie besuchte, mit ihnen die EM selbstkritisch aufarbeitete und für seine taktischen Innovationen warb. Auch öffentlich räumte er zuletzt in mehreren Interviews Fehler ein und versicherte, daraus gelernt zu haben. Man kann Prokop den Willen nicht absprechen, es bei seinem zweiten Turnier besser zu machen. Trotzdem bestreitet er diese WM auf Bewährung: Noch einmal darf es nicht so schiefgehen wie vor einem Jahr.

Alle Beteiligten, Spieler wie Trainer, versichern, dass jetzt alles wieder gut ist, dass Friede und Vorfreude herrschen. Das Bemühen um Optimismus und Harmonie ist nicht zu übersehen, die durchaus diskutable Nichtberücksichtigung von Rechtsaußen Tobias Reichmann, beim EM-Gewinn 2016 bester deutscher Torschütze, wird von den Spielern öffentlich nicht thematisiert. Auch Reichmanns Klub MT Melsungen hält still, obwohl der Profi wie seinerzeit der Klubkollege Lemke für einen Leipziger weichen musste, den Halbrechten Franz Semper. Dennoch muss man abwarten, inwieweit die gekittete Mannschaft unter Druck zusammenhält.

Für die WM testete der Bundestrainer ja auch nur gegen mäßig fordernde Gegner, zuletzt gegen die nicht für die WM qualifizierten Tschechen (32:24) und die nur als Außenseiter mitmachenden Argentinier (28:13). So wie ein Halbschwergewichtsboxer, der sich ein Leichtgewicht zum Sparringspartner nimmt und den verhaut. Nach der EM 2018 sind die DHB-Männer nur einmal gegen einen Gegner von Format angetreten, im Juni gegen Norwegen, da gab es zu Hause eine Niederlage (25:30).

Nun kommt es also zum Stresstest für Prokop und Co., schon zum WM-Start gegen Korea, wie Bob Hanning glaubt. Er erinnert an das Auftaktspiel der WM 2007 gegen den vermeintlichen Außenseiter Brasilien: "Da waren wir kurz davor, es nicht zu gewinnen." Auch Sportdirektor Axel Kromer mahnt: "Wir wissen, dass Auftaktspiele gerade für Gastgeber steinig sein können." Hanning hofft: "Sportlich muss es wie ein Dosenöffner wirken. Ich hoffe, dass wir uns freispielen und von da aus in die Begeisterung kommen."

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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