Handballer Patrick Wiencek:Der Herr der Pranken

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Einer, den die gegnerischen Angreifer fürchten: Patrick Wiencek, hier bei der Heim-WM 2019 in Hamburg. (Foto: Soeren Stache/dpa)

In der Abwehr unerbittlich, neben dem Handballfeld ganz lieb: Patrick Wiencek beendet mit 32 Jahren seine Karriere im Nationalteam - da wird Bundestrainer Gislason wehmütig.

Von Carsten Scheele, München

Einen wie Patrick Wiencek werden sie im deutschen Handball so schnell nicht mehr finden. Ein Typ hart wie Beton, trotzdem weich wie ein Daunenkissen. Wie kann einer, der auf dem Handballfeld so knallhart, so cheffig, so unerbittlich auftritt, der mit zwei Metern Körpergröße und 117 Kilo den Gegnern häufig weh tut, abseits des Spielfelds so ein sanftmütiger Typ sein? Wiencek sei ja normalerweise der "liebste Kerl, der nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun kann", hat Hendrik Pekeler über seinen Abwehrkollegen einmal gesagt. Ein sanfter Riese, wenn man so will.

Aber nicht auf der Platte, da konnte Wiencek mit seinen Urkräften eine Halle zum Beben bringen. Dann ließ Wiencek, Spitzname "Bam-Bam", wie das Baby mit der Keule aus der Zeichentrickserie Flintstones, seine Pranken zuschnappen. Der Angriffsspieler versuchte sich zu winden, doch Wienceks Griff hielt ihn eisern umklammert. Irgendwann zappelte der Gegner in der Luft und beschwerte sich, doch es gab nur einen Freiwurf. Fair festgemacht, wie so häufig.

Wiencek wird also fehlen, definitiv. Am Montag hat er seine Karriere in der deutschen Nationalmannschaft mit 32 Jahren für beendet erklärt, nach zwölf Jahren im Nationaltrikot, ein paar davon als Kapitän. Nach 159 Länderspielen und 316 Toren hört er auf, will sich für seine restlichen Karrierejahre auf den Vereinshandball beim THW Kiel konzentrieren, hier läuft sein Vertrag noch mindestens bis 2023. Ihm sei der Rücktritt "sehr schwergefallen", sagte Wiencek: "Es war mir immer eine Ehre, für Deutschland zu spielen."

"Patrick ist noch gar nicht so alt, dass er aufhören muss", findet Bundestrainer Gislason

Seine beste Zeit im Nationalteam verlebte Wiencek an der Seite von Pekeler, seinem Freund und Kollegen aus Kiel. "Bester Innenblock der Welt" hat man beide genannt, sie waren eingespielt wie kein zweites Duo. Auch wenn der Blick gerade ganz woanders hin ging, wusste Wiencek genau, was Pekeler gerade plant - und umgekehrt. Beide haben das Nationaltrikot schon länger nicht mehr beim selben Spiel getragen; immer wieder war einer verletzt, erst Pekeler, dann Wiencek. Pekeler verkündete im vergangenen Jahr seinen Rücktritt aus dem Nationalteam, nun folgt ihm der Kollege. Es ist der Versuch der Spieler, die persönliche Belastung zu reduzieren, um im Verein noch ein paar Jahre durchhalten zu können. Anders geht es im professionellen Handball mit diesem eng getakteten Terminplan wohl nicht.

Ein sehr eingespieltes Duo: Patrick Wiencek (links) und Hendrik Pekeler stehen nur noch beim THW Kiel gemeinsam auf dem Feld. (Foto: Cathrin Müller/MIS/Imago)

Für Bundestrainer Alfred Gislason kam der Entschluss deshalb nicht wirklich überraschend. Er pflegt ein enges Verhältnis zu Wiencek, den er 2012 selbst vom VfL Gummersbach zum THW Kiel geholt und zum Weltklasse-Kreisläufer und -Abwehrspieler ausgebildet hat. Wiencek habe ihm vor einiger Zeit bereits angedeutet, dass es nicht endlos für ihn weitergehen wird im Nationalteam, erzählte Gislason am Dienstag. Dass Wiencek tatsächlich aufhört, sei "wirklich sehr schade". Gislason findet ja auch: "Patrick ist noch gar nicht so alt, dass er aufhören muss." Doch der Bundestrainer kennt Wienceks Verletzungsgeschichte, und er weiß, wie fordernd es für den Körper ist, wenn man seit mehr als zwölf Jahren in der Bundesliga auf höchstem Niveau spielt.

Für Gislason beginnt damit die Suche nach einem neuen Duo - wohl wissend, dass er so schnell keines finden wird. "Pekeler und Wiencek sind nicht mehr da", stellte der Bundestrainer wehmütig fest. Man müsse nun daran arbeiten, "drei bis vier Leute so einzuspielen, dass sie diese Qualität erreichen können". Konkret geht es um die Position neben dem Flensburger Johannes Golla, der als Kapitän und Abwehrchef gesetzt sein dürfte. In Frage kommen insbesondere der Leipziger Simon Ernst, der bei der EM in Polen und Ungarn eine gute Figur machte, und der Göppinger Sebastian Heymann. Aber auch junge Kräfte wie Julian Köster (VfL Gummersbach) und Tim Zechel (HC Erlangen), den Gislason gerade erst ins Nationalteam geholt hat. Bei den beiden Länderspielen im März gegen Ungarn (19. und 20. März) kann er einige Formationen testen, wenn Wiencek daheim in Kiel sitzt und die länderspielfreie Zeit genießt.

Was bleibt, ist das Gefühl, dass Wiencek etwas mehr hätte gewinnen können in seiner DHB-Karriere. Er war U-21-Weltmeister und Dritter bei Olympia 2016 in Rio, wofür er anschließend das Silberne Lorbeerblatt verliehen bekam. Den deutschen EM-Triumph 2016 verpasste er wegen eines Kreuzbandrisses; Olympia in Peking 2021 wegen Wadenbeinbruchs. Es ist das Los eines kompromisslosen Abwehrspielers, der viele Jahre lang zunächst geschaut hat, wie er der Mannschaft helfen kann - und erst anschließend auf seinen eigenen Körper.

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