Handballklub in der Krise:Kiels Nimbus der Besiegbarkeit

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THW-Abwehrchef Hendrik Pekeler (re.) und Sven Ehrig (li.) packen gegen Wetzlars Lenny Rubin zu - so beherzt klappte es in der dritten Runde des DHB-Pokals aber nur selten. (Foto: Claus Bergmann/Imago)

Der THW hat sich so früh wie seit 22 Jahren nicht mehr aus dem Pokal verabschiedet - gegen den Tabellenvorletzten der Liga. Der Handball-Branchenführer kämpft mit ungewohnten Problemen.

Von Tim Brack

Unter den Handballklubs in Deutschland war der THW Kiel immer führend in der Genforschung. Bei jedem Neuankömmling des Teams verankerte er seine Siegermentalität tief in dessen Doppelhelix. Rekordmeister, Rekordpokalsieger - in den nationalen Wettbewerben erarbeiteten sich die Kieler in den vergangenen drei Jahrzehnten einen Nimbus der Unbesiegbarkeit. Doch diese Aura verblasst derzeit rapide.

Am Dienstagabend erlitt der aktuelle Meister die krachendste Niederlage der Saison. Aus in der dritten Runde des DHB-Pokals, so früh wie seit 22 Jahren nicht mehr, gegen den Vorletzten der Bundesliga. Das 31:32 gegen die HSG Wetzlar versetzte die Kieler in "Schockstarre", wie Abwehrchef Hendrik Pekeler sagte. THW-Trainer Filip Jicha versuchte, Halt zu geben: "Ich liebe diesen Verein, und ich bin dafür da, dass wir für diesen Verein erfolgreich sind. Und das waren wir heute nicht. Also bin ich sportlich verantwortlich für diese Niederlage und stelle mich vor mein Team."

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Für Jicha ist es die schwerste Krise, seit er 2019 zum Cheftrainer aufgestiegen ist. Bislang säumte vor allem Silberware seinen Weg: dreimal deutscher Meister, Pokalsieger, Champions-League-Gewinner. So sehr das jetzige Pokal-Aus überraschte, so gut passt es wiederum ins Bild. Drei Niederlagen reihten die Kieler in den nationalen Wettbewerben zuvor aneinander: in Flensburg, zu Hause gegen Melsungen und in Magdeburg. In der Liga ist Kiel Neunter. Nach der Pleite gegen Wetzlar umgibt den Verein eher ein Nimbus der Besiegbarkeit. Das ändern auch die drei Siege in der Champions League nicht, weil sie gegen schlagbare Gegner gelangen - die großen Namen stehen noch bevor.

Die Talfahrt wirkt sich auch auf das bisher unerschütterliche Selbstvertrauen der Kieler aus. "Die Niederlage gegen Magdeburg hat uns anscheinend aus der Bahn geworfen", sagte Pekeler dem Portal Handball-World. Die Verunsicherung sitzt offenbar so tief, dass selbst Wetzlar, das erst ein Bundesligaspiel gewonnen hat, gefestigter auftrat. Ein Umstand, der Pekeler gar nicht gefällt: Es könne nicht sein, "dass der Tabellenvorletzte in unserer Arena mit mehr Selbstbewusstsein antritt als wir selbst".

Hochgeschwindigkeitshandball wird woanders gespielt

Die Gründe für derlei Krisen sind immer vielfältig. Ein augenscheinlicher Faktor in Kiel ist das Vakuum, das Niklas Landin hinterlassen hat. Der zweimalige Welthandballer hütet seit diesem Sommer das Tor des dänischen Spitzenklubs Aalborg. In engen Partien war er häufig der Entscheider für Kiel, nun muss man sich daran gewöhnen, dass der beste Schlussmann nicht unbedingt auf der eigenen Seite steht, sondern wie in Magdeburg auf der des Gegners. Landins Nachfolger, Vincent Gerard, verletzte sich kurz nach seiner Ankunft in Kiel. Der Nach-Nachfolger Samir Bellahcene hielt gegen Wetzlar zwar sehr gut, aber seine Paraden konnten nicht die Verunsicherung aus den Gliedern seiner Mitspieler vertreiben.

Filip Jicha hat als Spieler und als Trainer alles mit dem THW Kiel gewonnen, nun lernt er gerade das Verlieren. (Foto: Eroll Popova/dpa)

Denn die spielten auch im Angriff fahrig. Dieser Abteilung kamen im Sommer ebenfalls prägende Kräfte abhanden. Der Norweger Sander Sagosen hatte das Kieler Spiel zwar nicht so an sich gerissen wie erhofft, doch mit seiner Wurfgewalt und seinen klugen Entscheidungen im Überzahlspiel war er für die Gegner immer eine Gefahr. Der wuselige Mittelmann Miha Zarabec spielt seine Pässe mittlerweile für den polnischen Pokalsieger Plock.

Zwar hat der THW das aufregende Färöer Talent Elias Ellefsen á Skipagötu nun in seinen Reihen, doch von der Klasse und Routine seiner beiden Vorgänger ist er noch weit entfernt. Und dem ewigen Domagoj Duvnjak kommt im fortgeschrittenen Handballalter von 35 Jahren nicht mehr die tragende Rolle von einst zu. Was auffällig ist: Vor allem im Vergleich mit dem Hochgeschwindigkeitshandball aus Flensburg und Magdeburg wirkt das Kieler Spiel derzeit schwerfällig und frei von Leichtigkeit.

Am Sonntag empfängt der THW den HSV Handball zum Nordderby. Bis dahin hat Jicha Zeit, bei seiner Mannschaft das gewohnte Selbstverständnis zu reaktivieren. Irgendwo in den DNA-Strängen muss es ja stecken.

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