Handball:Handball-EM: Die neue Jugend beflügelt Deutschland

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Steffen Weinhold, Finn Lemke and Hendrik Pekeler (v.l.n.r.): Starker Block bei der Handball-EM (Foto: Getty Images)
  • Nach vielen Verletzungen erwartete kaum jemand Herausragendes vom jungen deutschen Team.
  • Nun kann es vom Halbfinale träumen - auch weil die Nachwuchskräfte das Vertrauen des Trainers zurückzahlen.
  • Das Spiel gegen Ungarn gibt es ab 18.15 Uhr hier im Liveticker.

Von Joachim Mölter, Breslau

Jetzt, da die deutschen Handballer bei der EM in Polen doch erstaunlich sicher in die Hauptrunde eingezogen sind, wird es wahrscheinlich keiner mehr zugeben wollen, dass er Bob Hanning belächelt hat, als dieser vor dem Turnier sagte: "Die vielen Verletzungsabsagen können auch eine Chance sein." Der Satz des DHB-Vizepräsidenten für Leistungssport klang zwar nicht so weltfremd, als würde ein Arzt seinem Patienten einreden wollen, dass auch ein künstlicher Darmausgang eine Chance sei. Aber er hörte sich doch sehr nach Zweckoptimismus an angesichts fehlender Stammkräfte wie der Flügelspieler Uwe Gensheimer (links) und Patrick Groetzki (rechts), des Spielmachers Paul Drux sowie des Abwehrchefs Patrick Wiencek.

Und nun? Haben tatsächlich einige der von Bundestrainer Dagur Sigurðsson hinzugezogenen Vertreter die Chance genutzt, sich für weitere Aufgaben in der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) zu empfehlen. Zum Beispiel Finn Lemke, 23, und Jannik Kohlbacher, 20.

Die beiden EM-Neulinge spielten entscheidende Rollen beim 25:21 (12:10) über Slowenien, mit dem das DHB-Team am Mittwochabend den Einzug in die Hauptrunde sicherstellte. Der 2,10 Meter große Lemke hielt wie bereits beim 27:26 gegen Schweden die Abwehr zusammen; der 105 Kilo schwere Kohlbacher beschäftigte im Angriff die Slowenen "ein bisschen besser als ich es heute getan habe", wie der etatmäßige Kreisläufer Hendrik Pekeler zugab, dessen Position Kohlbacher im Verlauf des Spiels übernommen hatte.

Kohlbacher hat Spezialauftrag

"Wir haben schon beim Supercup im November gesehen, dass Jannik den Slowenen Probleme machen kann", erklärte Bundestrainer Sigurdsson. Beim Traditionsturnier in Kiel hatte Kohlbacher sieben Tore zum 31:28-Erfolg über Slowenien beigetragen, am Mittwochabend in der Jahrhunderthalle von Wroclaw, dem früheren Breslau, waren es drei gewesen.

Es ist ja nicht so, dass Sigurdsson all die Neuen, die er mit nach Polen genommen hat, aus dem Nichts hervorgezaubert hat. Lemke, Kohlbacher, Rune Dahmke, Simon Ernst oder Niclas Pieczkowski hat er bereits nach der WM 2015 in Katar in sein Team eingebaut, teils schon in den schweren EM-Qualifikationsspielen gegen Spanien. Das Vertrauen, das der Isländer in die Neulinge setzte, zahlen diese nun zurück. Und zwar anspruchslos.

"Man ist ja über jede Sekunde froh, die man spielen darf", sagt Kohlbacher, der Jüngste im 16er-Kader. Der Profi von der HSG Wetzlar war eigens für einen Spezialauftrag mitgenommen worden: Wenn die DHB-Auswahl in Unterzahl ist und mit einem weiteren Feldspieler anstelle des Torwarts agiert, kommt er als zweiter Kreisläufer aufs Parkett, um im Angriff mit seiner Masse Freiräume in der gegnerischen Defensive zu schaffen. Und das tat er so gut, dass er die Aufgabe gegen Slowenien während des normalen Spielbetriebs auch mal alleine übernehmen durfte, als der Bundestrainer sah, dass sich Pekeler nicht recht durchsetzen konnte.

Auch Finn Lemke sagt, "ich bin einfach froh, dass ich spielen darf; wo das ist, das ist mir eigentlich egal". Er war ursprünglich bloß als Entlastung für die Abwehr gedacht, doch als der Innenblock mit Pekeler und Erik Schmidt in der Auftaktpartie gegen die Spanier (29:32) wackelte, da schickte Sigurdsson seinen Längsten gegen Schweden von Anfang an ins Abwehrzentrum neben Pekeler. "Mit Erik habe ich nicht so oft zusammengespielt", erklärt der, "mit Finn klappt die Abstimmung besser; wir haben früher in Lemgo schon ein paar Jahre zusammengespielt."

Als Pekeler, 24, Schmidt, 23, und Lemke, 23, beim Supercup die Abwehr zusammenhielten, hatten sie gleich den Spitznamen "Baby-Block" weg. Gegen Slowenien ging vor allem Lemke dann derart robust zur Sache, dass von neuen "bad boys" die Rede war. Ein Image, mit dem der als äußerst sozialverträglich bekannte Lemke nichts anfangen kann: "Das sind für mich Typen mit dunklem Bart und Messer zwischen den Zähnen", sagt er und reibt sich das Kinn: "Bei mir fängt der Bartwuchs ja erst so langsam an."

Günstige Konstellation in der Hauptrunde

Der Baby-Block in Sigurdssons EM-Kader ist schnell erwachsen geworden bei diesem Turnier. Und er muss weiter schnell lernen, wenn die Mannschaft Erfolg haben will in der Hauptrunde, wo sie nun auf Ungarn (Freitag, 18.15 Uhr/ZDF), Russland (Sonntag, 18.15 Uhr/ARD) sowie Dänemark (Mittwoch, 18.15 Uhr/ARD) trifft. Die Konstellation ist so günstig, dass die DHB-Auswahl davon träumen kann, gegen Dänemark um die Halbfinal-Teilnahme kämpfen zu können. "Wir müssen erst mal kucken, dass wir die ersten beiden Spiele gewinnen", mahnt Kohlbacher.

Übermütig sind die jungen Auswahlspieler also nicht geworden. Jannik Kohlbacher sagt, er fokussiere sich weiterhin auf seine Spezialaufgabe bei Unterzahl; Finn Lemke sagt, "ich soll mich hier auf die Abwehr konzentrieren, das mache ich auch". Gegen Slowenien hätte er bei einigen Kontern aufs Tor werfen können, hat den Ball aber sicherheitshalber weitergepasst. "Ich muss keine wilden Aktionen machen und dem Gegner damit vielleicht einen Gegenstoß ermöglichen", sagt er.

Die kleine Chance auf ein Tor lässt er sich gern entgehen, wenn er auch die große nutzen kann - nämlich die, sich auch weiterhin für die Nationalmannschaft zu empfehlen.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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