Österreich bei der Handball-EM:Wahnsinn, das alles!

Lesezeit: 3 min

Alle Emotionen müssen raus: Nikola Bilyk (von links), Tobias Wagner und Sebastian Frimmel bejubeln den Sieg über Ungarn. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Österreich ist das Überraschungsteam der Handball-EM, und jetzt geht es gegen Deutschland. Über eine Mannschaft, die selbst nicht fassen kann, was ihr gerade alles gelingt.

Von Carsten Scheele, Köln

Der österreichische Nationalhandballer Robert Weber erlebt gerade einige der besten Tage seines Lebens, und wer daran Zweifel hegt, der sollte Weber, 38, Rechtsaußen, ein paar Minuten zuhören.

"Ich kann das gar nicht erklären", sagte Weber nach dem überraschenden 30:29 der Österreicher im EM-Hauptrundenspiel gegen Ungarn. Breites Grinsen, leuchtende Augen. "Ich bin so stolz auf meine Mannschaft", schob der sechsfache Torschütze hinterher. Er habe schon zu Hause angerufen und gesagt, dass seine Familie unbedingt zum nächsten Spiel nach Köln kommen müsse: "Mein Sohn muss das hier sehen."

SZ PlusDeutschland bei der Handball-EM
:"Wir haben gezeigt, dass wir Crunchtime können"

Die deutschen Handballer spielen nicht gut, gewinnen aber dank Torwart Wolff und guten Nerven in der Schlussphase knapp gegen Island. Die Meinung im Team danach: So ein Spielverlauf kann im Turnier noch wichtig werden.

Von Carsten Scheele

Was der Sohn sehen soll, findet am Samstagabend statt: Österreich gegen Deutschland, vor 19 500 Zuschauern in der Kölner Arena. Es wird das größte Handballereignis der Geschichte der Alpenrepublik; wer gewinnt, kommt dem Halbfinale dieser Europameisterschaft ein Stück näher. "Mein Karrierehighlight", befand Weber, der in Deutschland deshalb so bekannt ist, weil er in 15 Jahren bei Bundesliga-Vereinen die riesenhafte Anzahl von 2510 Toren geworfen hat.

Normalerweise spielt Handball in Österreich keine Rolle

Um die Fallhöhe zu ermessen, muss man wissen, was Handball in Österreichs Öffentlichkeit normalerweise für eine Rolle spielt. Eigentlich keine. Im ski- und fußballverrückten Land sind die Handballer eine kleine Nummer, bei der EM 2022 landeten sie auf Platz 20, die WM 2023 verpasste Österreich komplett, bei Olympia war das Team noch nie dabei. Gegen die großen Nationen war die Auswahl des Österreichischen Handballbunds (ÖHB) bislang verlässlich chancenlos. Doch plötzlich ärgert Österreich die Großen, also gibt es Nachrichten auf den Titelseiten der Zeitungen, Liveübertragungen auf ORF1, dem größten Sender. Ein Wahnsinn, findet Weber: "Wir haben eine Explosion ausgelöst."

Erst das Unentschieden gegen Kroatien, dann Spanien hinausgeworfen und Ungarn besiegt - die Mannschaft ist längst das Überraschungsteam dieser EM. Österreich rangiert auf Platz zwei in der Hauptrundengruppe hinter Frankreich, und wer dort steht, nimmt halt Kurs aufs Halbfinale, so ist das bei einer EM. "Wir fliegen gerade", sagte Rückraumspieler Lukas Hutecek, "und wir hoffen, dass wir weiterfliegen."

Kostenlos abonnieren
:SZ Österreich-Newsletter

Was ist los in Österreich? Alles zu Österreich in der SZ. Jeden Freitag per Newsletter. Gleich kostenlos anmelden.

Es gibt natürlich ein paar Erklärungen für diesen Flug, zu einem kleinen Teil besteht das Team aus international erprobten Kräften: Nikola Bilyk ist die Rückraumkante des THW Kiel, Hutecek spielt in Lemgo, Sebastian Frimmel läuft für den ungarischen Topklub Pick Szeged auf. Trainer Ales Pajovic hat als Spieler viele Jahre in der Bundesliga verbracht, unter anderem in Kiel. Funktioniert alles, können diese Akteure das Team auf eine Stufe heben, die auch die Favoriten erst mal überwinden müssen. "Die sind eine gute Mannschaft geworden", sagte der deutsche Bundestrainer Alfred Gislason.

Größter Trumpf ist die Lockerheit, die sich das Team bewahrt hat

Aber ein Rest Verwunderung bleibt, denn das übrige Team ist entweder sehr jung, ziemlich betagt oder spielt "nur" in der österreichischen Liga - in Graz, in Bregenz, in Hard oder wie Robert Weber bei der HSG Bärnbach/Köflach aus der Steiermark. Doch manch einer wächst gerade verlässlich über sich hinaus: Tobias Wagner, der wuchtige Kreisläufer aus Bregenz, dem das Trikot manchmal über die Bauchfalte rutscht, erzielte gegen Ungarn vier wichtige Treffer. Janko Bozovic, mittlerweile 38 Jahre alt und bei einem kuwaitischen Klub unter Vertrag, warf das entscheidende Tor gegen Spanien. "Die sind im Flow, die sind on fire", sagte Deutschlands Linksaußen Lukas Mertens.

Und manche können es wirklich kaum fassen, was dem Team gerade alles gelingt. "Wir sind doch nur 16 Freunde, die zusammen Handball spielen", sagte Linksaußen Frimmel, "und die jetzt bei den Großen mitmachen dürfen." Lockerheit wird gerade großgeschrieben im Team, vor dem Ungarn-Spiel hat die Mannschaft nicht mal mehr trainiert, die Spieler haben sich nur erholt und an der Spielkonsole relaxt - um anschließend Ungarn zu besiegen.

Diese Gelassenheit soll nun auch gegen die Deutschen helfen. Der Druck liegt beim EM-Gastgeber, so viel steht fest. Weber sagte, man gehe ohne jeden Ballast in dieses Spiel, nur mit einer Menge Vorfreude. "Wir genießen das jetzt" - was soll schon passieren? "Wir haben doch eh schon alle überrascht."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDeutschland bei der Handball-EM
:Mit Ach und Krach und Andreas Wolff

Die deutschen Handballer zeigen ihre bisher schwächste Partie bei dieser Heim-EM, besiegen Island aber knapp 26:24. Überragender Mann ist mal wieder: Torhüter Andreas Wolff.

Von Carsten Scheele

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: