Handball: Heiner Brand im Gespräch:"Ich schaue neidisch auf Joachim Löw"

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Schlaflos nachts um vier: Handball-Bundestrainer Heiner Brand über die enttäuschende WM in Schweden und die ärgerliche Nachlässigkeit deutscher Klubs in der Arbeit mit Talenten.

Christian Zaschke

SZ: Herr Brand, nach dieser für die deutschen Handballer missratenen WM eine einfache Frage: Wie geht es Ihnen?

"Die Schwankungen waren extrem, die habe ich mir so nicht vorgestellt." (Foto: dpa)

Brand: Nicht gut. Das ist eine Folge des Dauerdrucks, unter den ich mich seit Dezember gesetzt habe. Im Moment verspüre ich eine gewisse Beruhigung, weil dieser Druck endlich weg ist. Aber die Nachwirkungen werden kommen.

SZ: Welche Nachwirkungen?

Brand: Die eines jeden Turniers. Das spürt man noch mindestens drei Wochen lang. Man schläft schlecht, es laufen nachts Handball-Bilder vor einem ab.

SZ: Wie verarbeiten Sie das?

Brand: Ich werde mit meiner Frau über die Situation reden, beziehungsweise, sie wird versuchen mich abzulenken. Gestern bekam ich eine SMS von den Enkelkindern, die sich auf den Opa freuen, da hatte ich sogar ein Lächeln im Gesicht. Und am Montag rede ich mit Ulrich Strombach (Präsident des Deutschen Handball-Bundes, d. Red.) und Horst Bredemeier (DHB-Vizepräsident) darüber, wie es nun weitergehen kann.

SZ: Haben Sie nach der demütigenden Niederlage gegen Norwegen daran gedacht, alles hinzuwerfen?

Brand: Das war eine riesige Enttäuschung, nicht nur für mich, auch für die Mannschaft, die erst jetzt realisiert, welche Chance sie da verpasst hat. Nach so einem Spiel schläft man schlecht und wacht um vier Uhr auf. Aber man trifft keine grundsätzlichen Entscheidungen.

SZ: Die Mannschaft hat Sie diesmal besonders gequält, weil sie nicht einfach immer schlecht war. Es gab das Spiel gegen Spanien, das die Mannschaft hätte gewinnen können, da wirkten Sie hoffnungsvoll. Dann der Einbruch gegen Frankreich, da wirkten Sie mitgenommen. Und nach dem Sieg gegen Island wirkten Sie richtig glücklich.

Brand: Die Schwankungen waren extrem, die habe ich mir so nicht vorgestellt. Aber nach dem Sieg gegen Island habe ich gedacht: Ja, jetzt ist es da.

SZ: Es?

Brand: Ich habe immer gedacht, der Mannschaft fehlt das Erfolgserlebnis in einem schweren Turnier, und das war jetzt da. Dann kam wieder der Absturz.

SZ: Wie kann eine Mannschaft innerhalb von drei Tagen so gut und so schlecht spielen?

Brand: Uns fehlen vielleicht ein paar Inspirationen. Wir haben ein Gerüst, Standards, die wir versuchen zu spielen. Aber dieses Intuitive, das fehlt. Es fehlt jemand, der eigenständige Ideen entwickelt - und wenn doch, sind sie außerhalb der Norm, dann wird schnell geworfen, obwohl wir gerade das nicht wollten. Wenn es nicht so läuft, kommen wir schnell vom Weg ab.

SZ: Weil auf dem Feld niemand ist, der der Mannschaft den Weg weisen kann?

Brand: Das ist ein weiterer Punkt, dass wir nicht über eine klassische Führungsperson verfügen wie früher Markus Baur oder Daniel Stephan. In unseren guten Partien hat Pascal Hens gut gespielt, aber er ist natürlich niemand, der ein Spiel lenken kann. Michael Kraus spielt jetzt zwar in Hamburg, aber in entscheidenden Situationen steht er dort oft nicht auf der Platte. Und Michael Haaß hat in Göppingen nur Bundesliga-Spiele und kaum internationale Erfahrung.

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SZ: Die Spieler treffen doch in der Bundesliga Woche für Woche auf die besten Handballer der Welt.

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Brand: Wenn Göppingen in Kiel spielt, dann müssen die da nicht gewinnen. In der Nationalmannschaft müssen wir gegen Ungarn gewinnen. Man braucht Leute, die die sportliche Qualität haben, die aber dazu mit dem großen Druck wöchentlich leben.

SZ: In Deutschland spielen 800.000 Menschen Handball, mehr als sonst irgendwo auf der Welt. Trotzdem sind andere Nationen besser.

Brand: Wenn wir in den Spitzenvereinen wie Kiel, Flensburg oder Hamburg Deutsche auf den zentralen Positionen heranführen könnten, dann würde sich auch die Chance erhöhen, dass sich stressresistente Spieler entwickeln, die in der Lage sind, ihr Können bei uns umzusetzen. Aber von unseren Junioren bleiben in der Bundesliga nicht viele übrig, auch nicht aus der U21, die im letzten Jahr Weltmeister geworden ist.

SZ: Ist das ein handballspezifisches Problem?

Brand: Mit Sicherheit. Ich schaue neidisch auf Joachim Löw (Fußball-Bundestrainer, d.Red.), weil sich in der Bundesliga so viel tut. Der FC Schalke 04 hat zuletzt in einer Vierer-Abwehrkette vier junge Deutsche aufgeboten. Bei Dortmund sind so viele Junge, in Leverkusen werden sie gefördert, und der FC Bayern bringt so viele heraus, dass er die meisten verkauft, wie Mats Hummels an Dortmund. Es scheint, dass im Fußball gerade alle auf junge Leute setzen. Das mag zunächst finanziellen Erwägungen geschuldet gewesen sein, aber mittlerweile ist es eine Philosophie der Vereine.

SZ: Ist das Problem vielleicht, dass man im Handball erst einmal eine immense körperliche Stärke entwickeln muss, während Fußballer auch als eher winzige Menschen richtig gut werden können?

Brand: Dieses Argument höre ich immer mit einem Grinsen. Mein Assistenztrainer Martin Heuberger hat mal das Durchschnittsgewicht des aktuellen Juniorenkaders ausgerechnet. Im Schnitt 89,8 Kilogramm, und da sind die kleinen Außenspieler dabei, die ja nur 75 Kilo haben. Die Jungs sind körperlich bereit.

SZ: Wo liegt dann das Problem?

Brand: Selbst, wenn die jungen Spieler nur 80 Kilo wögen, wäre es Aufgabe der Vereine, sie durch Training weiterzubringen. Die Klubs haben eine Verantwortung für den Handball in Deutschland. Es gibt aber Vereine, die haben mir in 15 Jahren noch keinen Spieler gebracht. Die haben mal Nationalspieler gekauft, aber nie einen entwickelt. Das ist ein schlimmer Zustand, und die Konsequenzen werden wir bald spüren.

SZ: Hat man die nicht gerade gespürt?

Brand: Ich meine das weitergehend. Es wird Folgen haben für die Popularität des Handballs. Die Fernsehquoten waren diesmal noch okay. Aber bleibt das so? Die Spitzenvereine können sich auf den Standpunkt stellen: Bei uns ist die Halle voll. Das mag regional interessant sein, aber was heißt das für den Handball in Deutschland? Der normale Zuschauer sagt jetzt: Die Handballer sind schlecht. Und da lauert eine Gefahr. Wenn ich Vorträge halte, sprechen die Leute immer noch von 2007, als wir die WM gewonnen haben, aber das wird irgendwann verblassen unter dem Eindruck hier.

SZ: Selbst wenn die Liga sich des Nachwuchses annähme, werden sie als Bundestrainer nichts mehr davon haben. Wie geht es kurzfristig weiter?

Brand: Das ist nicht so einfach. Als Vlado Stenzel in den Siebzigern Bundestrainer wurde, hat er einfach alle rausgeschmissen und ein neues Team gebaut. Aber man muss über Alternativen verfügen, und die kann mir keiner nennen.

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SZ: Müsste die Liga der Nationalmannschaft mehr Zeit zubilligen?

Brand: Das wäre toll, ist aber illusorisch. Die Liga und die Group Club Handball (Interessenvertretung europäischer Großklubs, d.Red.) wollen uns sogar weniger Zeit geben, was fatal für den Handball wäre, weil die Außendarstellung über die Nationalmannschaft läuft.

SZ: Also kann man gar nichts tun?

Brand: Doch. Wenn ich die Champions League mit ihren zehn Gruppenspielen ansehe, mit Mannschaften, die dann später noch einmal aufeinandertreffen - das ist ein großer Blödsinn, an dem nur der europäische Verband und die Finalisten verdienen. Man müsste zudem vor großen Turnieren für Erholung sorgen, wie die Spanier und die Franzosen das machen. Die beenden den Ligabetrieb vor Weihnachten.

SZ: Ist es denn wirklich die Schuld der Klubs, dass so wenige Deutsche auf Schlüsselpositionen spielen, oder liegt es vielleicht an den Spielern, die nicht in der Lage oder willens sind, sich bis ganz nach oben vorzuarbeiten?

Brand: Die Jungs anderer Nationen sind nicht besser ausgebildet. Aber in anderen Ländern spielen sie schnell bei den Männern mit, die bekommen das richtige Training und entwickeln sich. Man muss mit jungen Leuten arbeiten, und da haben wir Defizite.

SZ: Junge, deutsche Spieler sind oft teurer als Ausländer.

Brand: Dazu muss man stehen, denn für einen jungen Deutschen ist es schwieriger, die Entscheidung zu treffen, Profi zu werden, als für jemanden, der aus dem ehemaligen Ostblock kommt. Das heißt, dass ich dem Deutschen mehr Anreize geben muss, aber das sollte bei den Etats der Vereine nicht das Thema sein. Noch etwas ist ganz wichtig: Junge Leute machen Fehler, sie sind auch mal ein bisschen verrückt. Ich war auch nicht immer der Vernünftige, der ich heute bin. Die Klubs haben eine Erziehungsaufgabe. Das Außersportliche ist ebenso wichtig, damit die Jungs die richtige Lebenseinstellung entwickeln.

SZ: Und das macht niemand?

Brand: Doch, man kann das nicht verallgemeinern. In Großwallstadt, wo ein Leistungszentrum steht, sind jetzt ein paar Jungs unter Vertrag genommen worden. Das ist eine gute Entwicklung, aber es muss auf allen Ebenen etwas passieren. Und es müsste sich mal ein Spieler bei einem Spitzenklub entwickeln. Beim THW Kiel hatten sie einen jungen Kreisläufer, Hendrik Pekeler, den haben sie weggegeben in die zweite Liga.

SZ: Der kam oft zu spät zum Training und hat sogar den Abflug zu einem Champions-League-Spiel verpasst.

Brand: Ja, aber das ist genau so ein Beispiel: Mit dem muss man arbeiten. Bei der Junioren-EM war er im All-Star-Team und hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Der kann doch zweiter Mann hinter Marcus Ahlm sein, was heißt, dass er vielleicht nur fünf Minuten spielt, aber da lernt er richtig was.

SZ: Sagen wir mal, Sie dürfen sich jetzt wünschen, was im deutschen Handball künftig passieren soll.

Brand: Dann würde ich als erstes eine Quote einführen: Jeder Klub müsste eine Mindestanzahl deutscher Spieler haben. Ich habe zu Hause immer noch einen Artikel, den ich mir vor zwei, drei Jahren ausgeschnitten habe. Da stand, dass am ersten Spieltag der Fußball-Bundesliga bei 13 Mannschaften fünf oder mehr Deutsche in der Startformation standen. Da müssen wir auch hin.

SZ: Das klingt, als wollten Sie diesen Prozess als Bundestrainer begleiten.

Brand: Da sollte man keine vorzeitigen Schlüsse ziehen. Der Druck war für mich zuletzt an der Grenze des Erträglichen. Jetzt gibt es sogar Internet-Umfragen: Ist Brand noch der Richtige? Mit so etwas muss ich mich nicht befassen, das habe ich nicht mehr nötig. Außerdem steht ein Neuanfang an, und da muss man sich wirklich sehr genau fragen, ob man das will.

SZ: Wissen Sie schon, wie Sie sich entscheiden werden?

Brand: Ja. Aber das werde Ihnen nicht verraten.

© SZ vom 29.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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