Füchse Berlin:Das Berliner Kindl lernt laufen

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Nils Lichtlein, 21, ist U21-Weltmeister und erregt derzeit mit den Berliner Füchsen Aufsehen. (Foto: Oliver Gold/Sportfoto Zink/Imago)

Die Füchse Berlin sind Tabellenführer der Handball-Bundesliga. Das überrascht, denn: Eigentlich fallen zwei ihrer besten Profis gerade aus. Und der Trainer lässt die jungen Talente ran.

Von Ralf Tögel

Wie Tim Freihöfer so dastand mit seinem Bubengesicht und die Leistung seiner Mannschaft einordnen sollte, wirkte er eher wie ein Schülersprecher als einer der Berliner Handballprofis, die gerade den als heimstark bekannten HC Erlangen deutlich besiegt hatten. Vier Tore hatte der Linksaußen zum 35:27-Auswärtssieg beigesteuert, damit bleiben die Füchse Berlin Tabellenführer der stärksten Handball-Liga der Welt. Acht Spiele, acht Siege - nie zuvor ist das Team so gut in eine Saison gestartet. Noch außergewöhnlicher macht diese famose Serie die Tatsache, dass Berlin gerade zwei seiner besten und wichtigsten Spieler ersetzen muss - und Talente wie Freihöfer, 21, ungeplant früh in der Verantwortung stehen.

Kapitän Paul Drux riss im April in einem Länderspiel gegen Schweden die Achillessehne, Fabian Wiede zog sich vor zweieinhalb Wochen eine Fraktur am rechten Sprunggelenk zu. Drux, 28, und Wiede, 29, fehlen seitdem; beide waren auch für die wichtige Heim-EM im kommenden Januar von Bundestrainer Alfred Gislason fest im Nationalteam eingeplant. Das wird nicht funktionieren, wie Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning definitiv erklärte: "Ein Einsatz bei der EM ist ausgeschlossen."

Handballer Fabian Wiede
:"Mir fehlt die Fantasie"

Ohne Gegnereinwirkung verletzt sich Fabian Wiede schwer - sein Ausfall für die Heim-EM in dreieinhalb Monaten droht. Und noch ein wichtiger Nationalspieler sendet ungute Signale.

Von Carsten Scheele

Womit man wieder bei Freihöfer wäre. Er ist einer der jungen Berliner, die gerade so herausragend spielen, dass das Fehlen der beiden Stammkräfte im nationalen Betrieb bisher nicht weiter ins Gewicht fällt. Dafür hat Hanning höchstselbst gesorgt: Neben Freihöfer und Spielmacher Nils Lichtlein standen gegen Erlangen in Matthes Langhoff, beide ebenfalls 21 Jahre alt, sowie Max Beneke, 20, vier U21-Weltmeister auf dem Parkett und bereiteten gestandenen Nationalspielern wie Christoph Steinert oder dem Spanier Gedeon Guardiola unlösbare Probleme. Beneke spielt sogar nur mit Zweitspielrecht bei den Füchsen, zwei Tage nach dem Sieg in Erlangen war er für den VfL Potsdam mit 13 Treffern Matchwinner in der zweiten Liga beim TuS Vinnhorst.

Der Däne Mathias Gidsel spielt "einfach amazing", sagt Hanning

Trainer der Potsdamer ist: Bob Hanning. Diese Kooperation mit Berlin ist sozusagen sein Kind, das immer besser laufen lernt. Neben Beneke sind noch Torhüter Lasse Ludwig, 21, und der erst 19-jährige Spielmacher Moritz Sauter mit Zweitspielrecht ausgestattet, beide waren ebenfalls Leistungsträger beim WM-Sieg der deutschen U21. Natürlich haben die Füchse mehr zu bieten als die hochtalentierten deutschen Nachwuchskräfte, allen voran den dänischen Weltmeister Mathias Gidsel, zweifellos einer der zurzeit weltbesten Handballer.

"Einfach amazing", sagt Hanning über Gidsels Spiel, nicht umsonst führt der Linkshänder die Bundesliga-Feldtorschützenliste mit 65 Treffern an. Der Rückraumspieler ist enorm schnell und trickreich, aus der Distanz torgefährlich, im Eins-gegen-eins kaum zu halten. Zudem agieren der serbische Nationaltorhüter Dejan Milosavljev, 27, und sein Kollege Mijajlo Marsenic, 30, am Kreis in blendender Form.

Bubengesicht für die Zukunft: U21-Weltmeister Tim Freihöfer. (Foto: Marco Wolf/Imago)

Diese Mixtur von Erfahrung und juvenilem Tatendrang, gepaart mit großer Qualität, führt laut Hanning zur aktuellen Erfolgswelle: "Es ist eine Mischung aus vielen Faktoren, die gute Teamchemie, die Kommunikation untereinander, die Erfahrenen nehmen die Jungen an die Hand." Die Erfahrenen, das sind Topakteure wie die Schweden Max Darj, 32, Lasse Andersson, 29, und Jerry Tollbring, 28, oder der kroatische Alt-Internationale Marko Kopljar, 37. Und natürlich der ewige Hans Lindberg, der im zarten Alter von 42 Jahren seinen Bundesliga-Torrekord weiter ausbaut.

Manchmal, wenn sein Team hoch führt, holt Füchse-Trainer Jaron Siewert alle erfahrenen Kräfte von der Platte und lässt ausschließlich die 19- bis 21-Jährigen spielen. Gegen Erlangen bauten die Jungen den Vorsprung sogar noch aus. Die famosen Leistungen der Talente überraschen Hanning dabei kein bisschen, "Vertrauen" sei das Zauberwort: "Wir wissen, wie gut sie sind. Wenn man sie lässt, dann zeigen sie es uns." Was Hanning auch im Nationalteam gerne sehen würde, wie er immer wieder wissen lässt.

Das Titelrennen sei offen wie nie, sagt Hanning. Über Ziele sprechen will er erst später

Auch bei der Karriere des Trainers hatte der Geschäftsführer früh seine Finger im Spiel: Siewert entstammt der Füchse-Akademie, war deutscher Jugendmeister, entschied sich mit 20 für eine Trainerlaufbahn - und wurde von Hanning gefördert. Erfahrung sammelte Siewert beim Zweitligisten Essen, ehe ihn Hanning vor drei Jahren als Füchse-Chefcoach installierte. Nun leitet Siewert im Alter von gerade mal 29 Jahren eines der spannendsten Handball-Projekte Europas an. Den derzeitigen Erfolg ordnet er nüchtern ein, man schaue "nicht auf die Tabelle", sagte Siewert beim Streamingdienst Dyn. Er sehe sein Team "in einem Prozess", die Tabellenführung sei zwar eine schöne Momentaufnahme, aber er erwarte auch Rückschläge.

Dieser Einordnung folgt der Chef gerne: "Klar, wir haben gerade einen Flow", sagt Hanning, aber alles kein Grund zur Euphorie: "In dieser Liga bist du doch immer sieben Tage von einer Krise entfernt. Jede Woche." Hanning nennt die TSV Hannover-Burgdorf als Beispiel, nach starkem Saisonbeginn gehypt, rutschten die Niedersachsen nach drei Niederlagen ins Mittelfeld ab. Das Titelrennen sei offen wie nie, sagt Hanning, zu den üblichen Verdächtigen komme diesmal die MT Melsungen hinzu, die "erstmals seit acht Jahren einen guten Job macht". Sechs, sieben Klubs werden sich um den Meistertitel balgen, Champions-League-Sieger Magdeburg sei ein Kandidat, Kiel und Flensburg sowieso, beide hätten aber Umbrüche zu bewältigen.

Am Donnerstag wartet der nächste harte Brocken auf die Berliner, dann gastiert Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen in der Hauptstadt. Und das Saisonziel der Füchse? Hanning stöhnt: "Ach, es macht doch keinen Sinn, jetzt Ziele zu formulieren." Seine Spieler bereiten ihm gerade "mit der Art und Weise, wie sie spielen, viel Freude. Es macht einfach Spaß zuzuschauen".

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