Schwedens Handballer bei der EM:Bitte recht freundlich

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"Am wichtigsten ist, dass wir als Team zusammenarbeiten und an gewisse Werte glauben", sagt Schwedens: Trainer Glenn Solberg. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Schwedens Handballer machen da weiter, wo sie vor zwei Jahren als Europameister aufgehört haben: Sie gewinnen jedes Spiel. Trainer Glenn Solberg ist ein Freund guter Manieren - und, na klar: Norweger.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Es kommt nicht allzu oft vor, dass die schwedischen Handballer auf dem Feld ihrem Ärger Luft machen. Sehr selten sogar, deswegen witterte die Heimatzeitung Aftonbladet am Mittwoch eine kleine Sensation: Da stand doch tatsächlich Rückraumspieler Jim Gottfridsson in Hamburg in der Halle und schrie Torhüter Andreas Palicka an. Ganz kurz nur, aber immerhin. Palicka grämte sich nicht, sein missglückter Pass übers halbe Feld hatte ihn ja selbst geärgert. Und dann sagte der 37-Jährige etwas Bemerkenswertes: "Das ist zuletzt vor drei Jahren passiert, dass jemand auf dem Feld schreit." Drei Jahre? Das ist im Profisport eine verdammt lange Zeit.

Die Schweden sind mit einigen hervorragenden Handballern gesegnet, Teamgeist allein wirft ja keine Tore. Aber: Vielleicht liegt auch in ihrem Umgang miteinander ein Grund dafür, dass ihnen bei dieser EM ein Sieg nach dem anderen gelingt. "Am wichtigsten ist, dass wir als Team zusammenarbeiten und an gewisse Werte glauben", sagt Glenn Solberg, der Trainer. Er ist niemand, der seine Spieler anbrüllt oder auch nur die Arme über dem Kopf zusammenschlägt, wenn sie einen Strafwurf vermasseln. Der jüngste Erfolg war das 28:22 gegen Slowenien im ersten Hauptrundenspiel, der Rekordeuropameister ist bisher ohne Punktverlust durch die EM marschiert. Die Erwartungen in der Heimat sind groß: Nach dem Titelgewinn vor zwei Jahren soll jetzt gerne der nächste Pokal mit nach Hause wandern.

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Dass Solberg gute Manieren so wichtig sind, mag an seiner eigenen Geschichte liegen: Vor vier Jahren übernahm der heute 51-Jährige die schwedische Auswahl, unter ungünstigen Voraussetzungen: Er ist Norweger. "Das ist nicht immer leicht", sagt er und lacht, als er nach Spielende in der Hamburger Arena steht. "Schweden ist eine begeisterte Handballnation und sehr traditionell eingestellt." Die beiden Sportnationen pflegen einen ehrgeizigen Konkurrenzkampf. "Als ich angefangen habe, habe ich den Druck gespürt, und dass ich unter Beobachtung stehe", sagt Solberg. Doch den Druck gibt er nicht weiter, im Gegenteil: Fehler dürfen passieren, sein Motto: "Wenn wir arbeiten, arbeiten wir füreinander." Als aktiver Handballer hat er unter anderem in Nordhorn, beim FC Barcelona und bei der SG Flensburg-Handewitt im Rückraum gespielt. Er weiß, wie anspruchsvoll dieser Sport sein kann. Und dass man auf Scharmützel untereinander verzichten kann.

Die Schweden waren im Handball lange erfolgsverwöhnt, mit einer goldenen Generation gelangen vier EM-Titel bis 2002. Danach gab es eine jahrelange Durststrecke, die erst Solberg überwinden konnte. Nach der EM 2020 holte er seine Mannschaft zum Kennenlernen hier in Hamburg zusammen, weil das für die in Europa verstreuten Spieler logistisch der beste Ort war. Dann kam die Pandemie, doch trotz wenig Spielpraxis gelang gleich die Silbermedaille bei der WM in Ägypten. "Danach habe ich mehr Respekt bekommen, weil die Leute gesehen haben, wie hart wir arbeiten", sagt Solberg. Seine Serie bisher ist beeindruckend: Mit Ausnahme der Olympischen Spiele hat seine Mannschaft bei großen Turnieren zuletzt immer mindestens das Halbfinale erreicht.

Solberg rotiert immer wieder durch. So kann sich jeder mal beweisen oder Kraft schöpfen

Und doch hat der Trainer noch das Gefühl, seine Erfolge bestätigen zu müssen. "Glenn wird von den schwedischen Medien oft kritisiert, weil er angeblich nicht die besten Spieler aufstellt", sagt Jim Gottfridsson in Hamburg, aber auch: "Er ist ein großer Faktor für unseren Erfolg." Solberg hat den Luxus, zwischen zahlreichen Topspielern auswählen zu können, zwischen Routiniers und jungen Spielern wie Eric Johannson (THW Kiel), die er ins Team geholt hat. Torhüter Andreas Palicka (Paris Saint-Germain), Hampus Wanne (FC Barcelona) und Jim Gottfridsson (SG Flensburg-Handewitt) gehören zu den erfahrensten, alle drei haben schon die Champions League gewonnen. Doch tatsächlich kommt es bei den Schweden nicht nur auf zwei oder drei Spieler an, Solberg rotiert immer wieder durch. So kann sich jeder mal beweisen oder Kraft schöpfen. Gegen Slowenien stand es zur Halbzeit 11:7 - die Treffer hatten bis dahin acht unterschiedliche Schützen erzielt.

Und auch die Schweden haben noch Reserven. Die Trefferquote bei Siebenmetern ist mit 70 Prozent ausbaufähig. In Bosnien-Herzegowina und Georgien hatte die Solberg-Auswahl zum Auftakt außerdem vergleichsweise einfache Gegner. Gegen die Niederlande im dritten Gruppenspiel taten sich die Schweden erstaunlich schwer, da stand es drei Minuten vor Schluss 28:27 für die Gegner - doch dann war Palicka zur Stelle und fischte die entscheidenden Bälle heraus. Hatte die Abwehr in dieser Partie immer wieder Lücken aufgezeigt, war sie gegen Slowenien viel kompakter: Da blockte etwa Oscar Bergendahl (SC Magdeburg) in der Manier eines Volleyballers so manchen Angriff unerschütterlich ab. "Wir hatten eine fantastische Abwehr heute, darüber bin ich in erster Linie sehr glücklich", sagt Solberg. Im Vergleich zu anderen Mannschaften, die nur noch Konterhandball zelebrieren, sieht man bei den Schweden viele herausgespielte Tore. Eine Variabilität, die Sieger machen kann.

Am Freitag trifft die Mannschaft auf Weltmeister Dänemark. Es ist ein wegweisendes Duell auf dem Weg ins Halbfinale, auch die Dänen sind bisher ungeschlagen. "Das wird ein harter Kampf", sagte Albin Lagergren (SC Magdeburg), doch die Schweden freuen sich auf die Herausforderung. "Danach Reeperbahn" kündigte Gottfridsson im Scherz an. Zusammen feiern geht also auch.

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