Handball:Eine Tracht Prügel und die Folgen

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Trainer Alois Mraz und die Coburger Mannschaft gehen auch nach gut neun Monaten der Zusammenarbeit noch nicht Hand in Hand. (Foto: Jan Strohdiek/Eibner/imago)

Beim Bundesliga-Letzten HSC Coburg verschärft Geschäftsführer Jan Gorr den Ton. Mittlerweile geht es um etwas mehr als nur um Handball.

Von Sebastian Leisgang

Die Bedeutung eines solchen Spiels wird einem spätestens bei der Anreise klar, auf den letzten Kilometern zur Halle, wenn draußen vor der Windschutzscheibe die Plakate am Straßenrand vorbeiziehen. Auch Autofahrer, die nichts mit dem HSC Coburg, dem HC Erlangen oder mit dem Handball im Allgemeinen anfangen können, dürften an jenem Abend gemerkt haben, dass Handball nicht für alle Menschen nur ein Spiel ist, das 60 Minuten dauert.

Plakate, viel mehr können die Coburger für ihre Mannschaft ja nicht tun in dieser befremdlichen Corona-Saison 20/21, die nicht nur den Vereinen, sondern auch den Fans eine Menge zumutet. Deshalb also, verteilt in der Stadt: forsche Kampfansagen auf Papier und liebe Grüße an den Rivalen aus Erlangen.

Gut einen Monat ist das jetzt her. Einen Monat, in dem das Derby längst verblasst ist, obwohl es doch ein leuchtender Abend war für Coburg. Ein emotionales Spiel, ein Auf und Ab, spannend bis zum letzten Wurf, gekrönt mit einem 27:26. Hätte dieser Triumph nicht Auftrieb geben müssen? Hätte er nicht was auslösen müssen? Irgendwas?

"Die Mannschaft kann bestimmte Grundlagen nicht zuverlässig abrufen", sagt Geschäftsführer Gorr

In Coburg wussten sie schon vor dem ersten Spiel, dass es in dieser Saison wahrscheinlicher ist, gegen Mannschaften wie Kiel oder Magdeburg mit zehn Toren Unterschied zu verlieren als zu gewinnen. Sie wussten, dass sie ihren Blick eher auf Mannschaften wie Essen oder Nordhorn-Lingen richten müssen, und sie wussten auch, dass ihnen in der Bundesliga hin und wieder die Grenzen aufgezeigt werden würden. Aber so?

Anfang März, gut zwei Wochen nach dem Derbysieg, war Coburg in Magdeburg zu Gast. Es war eines dieser Spiele, denen man als Aufsteiger besonders entgegenfiebert, Magdeburg zählt ja zu den Großen. Dann aber lag der HSC nach sieben Minuten 0:8 zurück, nach einer Viertelstunde sprach der Kommentator im Fernsehen von einem "Trainingsspiel", und am Ende stand es 22:43. Es war die höchste Niederlage der Coburger Bundesliga-Geschichte, eine Abreibung sondergleichen, ein Ergebnis, das einer Tracht Prügel gleichkam. Knapp drei Wochen später sagt Jan Gorr Sätze wie: "Die Mannschaft kann bestimmte Grundlagen nicht zuverlässig abrufen." Oder: "Wenn wir die Leistungen so weiterführen, brauchen wir uns keine Hoffnungen machen." Dann ist der Abstieg nicht zu verhindern - ebenso wie der Verlust weiterer wichtiger Spieler nach dem schon feststehenden Wechsel von Pontus Zetterman nach Bern.

Eigentlich, das muss man wissen, ist Gorr, 42, ein recht ausgeglichener Mann. Wenn Coburgs Geschäftsführer jetzt aber über die jüngsten Spiele spricht, merkt man, wie sehr ihn die Krise umtreibt. Der HSC hat in den vergangenen Wochen ja nicht bloß ein paar Handballspiele verloren; die Partie von Magdeburg, auch das 21:30 gegen Minden, das Coburg am Sonntag bezogen hat, waren sportliche Demütigungen.

Von 22 Partien mit Trainer Alois Mraz hat Coburg 18 verloren

"Solche Auftritte können wir uns nicht leisten", sagt Gorr, "es geht vor allem um das Wie, und in den beiden Spielen war das keine Coburger Mannschaft, wie wir sie sehen wollen. Das haben wir als Anlass genommen, grundlegende Dinge zu hinterfragen." Auch Alois Mraz, den Trainer? "Stand jetzt", sagt Gorr, "ist es nicht unsere Idee, den Trainer zu wechseln. Alois ist ein Teil der Lösung. Wenn wir unsere Arbeit besser machen, kriegen wir es auch ohne die reflexartigen Mechanismen dieser Branche hin." Und was, wenn nicht?

In Coburg, das wird im Gespräch mit Gorr deutlich, geht es dieser Tage um etwas mehr als nur um Handball. Die Pandemie scheint auch nach einem Jahr kein Ende zu nehmen, die Coburger Mannschaft spielt nicht mehr, wie eine Coburger Mannschaft zu spielen hat, und, das gibt am meisten zu denken: Mraz und seine Spieler gehen auch nach gut neun Monaten der Zusammenarbeit noch nicht Hand in Hand. "Die Spieler", sagt Gorr, "haben in ihren vorherigen Vereinen andere Systeme gespielt, aber der Trainer hat eine bestimmte Philosophie. Bislang haben sie sich noch nicht auf eine Linie verständigt."

Bislang. Nach 22 Spielen, von denen Coburg 18 verloren hat.

An diesem Donnerstag bekommt es der HSC mit der HSG Wetzlar zu tun, einer Mannschaft, die mit 21:21 Punkten im Tabellenmittelfeld steht, während Coburg nach vier Niederlagen ins Serie wieder Letzter ist. Vier Punkte sind es bis zu einem Nichtabstiegsplatz, vier Punkte, die vor dem Hintergrund der jüngsten Eindrücke kaum aufzuholen zu sein scheinen. Gorr aber sagt: "Wir lassen uns noch nicht abschreiben." In den vergangenen Tagen habe er "fruchtbare Gespräche" geführt, "ich bin gespannt, ob wir dadurch nochmal einen Schub bekommen". Es ist ein Satz, der unverbindlicher klingt, als er wohl gemeint ist.

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