Hamburger SV:Warten auf den Handballer

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Nationalspieler Böhm zieht am Sonntag die Pokal-Lose. Der HSV hofft auf ein Duell gegen Werder Bremen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Die Nachbetrachtung eines Spiels fängt normalerweise nicht mit Finanzzahlen an, wenn über 40 000 Menschen gerade mit der Mannschaft vom DFB-Pokalfinale träumen und freudetrunken "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin" rufen. Nach dem 1:0 des Hamburger SV gegen den 1. FC Nürnberg war das anders.

Der Einzug ins Viertelfinale bringt dem HSV bereits eine Prämie von 1,328 Millionen Euro, beim nächsten Sieg in diesem Wettbewerb warten 2,656 Millionen. Als Pokalsieger sammelt man etwa elf Millionen. Hinzu kommen Zuschauer- und Fernseh-Einnahmen. Das wäre beim HSV, den Verbindlichkeiten von mehr als 85 Millionen drücken, ein ordentlicher Schritt Richtung Genesung. Auch deshalb war Vorstandschef Bernd Hoffmann so guter Dinge, dass er am liebsten anstelle der noch nicht eingetroffenen Trainer die Pressekonferenz abgehalten hätte.

Träumt der HSV weiter, könnte sogar in der nächsten Runde eine Jubiläumsveranstaltung anstehen: 2019 ist es zehn Jahre her, dass der Nordrivale Werder Bremen dem HSV im DFB-Pokal, im Uefa-Cup und in der Bundesliga binnen 19 Tagen im April alle größeren Erfolge verbaute. Danach ging es mit den Hamburgern bergab, bis runter in die zweite Liga. Die Wahrscheinlichkeit einer Neuauflage im DFB-Pokal ist für die Viertelfinal-Auslosung am Sonntag exakt berechnet: Sie beträgt 14,28 Prozent - Handball-Nationalspieler Fabian Böhm zieht die Kugeln aus dem Topf.

Kurz zu den Zahlen, die mit der Partie gegen Nürnberg zu tun haben. Sie sind durchaus eindrucksvoll, bedenkt man, dass ein Zweitligist gegen einen Erstligisten spielte: 20:1 Torschüsse standen für den HSV in der Statistik, 61 Prozent Ballbesitz und 55 Prozent gewonnene Zweikämpfe. So ein unausgeglichenes Zeugnis ist selbst bei Gegnern einer Spielklasse selten, weshalb Club-Kapitän Hanno Behrens halbwegs fassungslos feststellte, so etwas habe er "noch nicht erlebt". Man müsse sich für die Leistung entschuldigen.

Schaut man ein Stück weit in die sportliche Zukunft des HSV, kann man selbst dann Gutes erahnen, wenn man nicht das Finale des Wettbewerbs erreicht, den HSV-Trainer Hannes Wolf als "Kult" bezeichnet. Gegen Nürnberg stand ohne den verletzen Kapitän Aaron Hunt, 32, und den ebenfalls nicht einsatzfähigen Pierre-Michel Lasogga, 27, ein Team auf dem Platz, das nach Einwechslung von Josha Vagnoman, 18, für Bakery Jatta, 20, ein Durchschnittsalter von nur 22,36 Jahren aufwies.

Der Torschütze war die jüngste Erwerbung: Mittelfeldspieler Berkay Özcan, 20. Den in Karlsruhe geborenen türkischen Nationalspieler hat der HSV, wie den geliehenen Orel Mangala, vom VfB Stuttgart geholt. Steigt der Tabellenerste der zweiten Liga wieder in die erste Liga auf, soll Özcan drei Millionen kosten, misslingt der Aufstieg, kostet er 1,5 Millionen. Das ist die Preiskategorie, in der man sich jetzt beim notgedrungen bescheidener gewordenen HSV bewegt, und in der der neue Sportvorstand Ralf Becker offenbar kreativ ist.

Özcan zeigte bei seinem ersten Startelf-Einsatz seit November eine Leistung, die ihn für die Hunt-Nachfolge prädestinieren könnte. Und das, obwohl er noch nicht hundertprozentig fit ist, wie Wolf anmerkte. "Wir werden noch viel Freude an ihm haben", glaubt Wolf, der schon als Trainer des VfB Stuttgart (2016 bis 2018) mit Özcan zusammenarbeitete. Özcan sei der ideale Mann für den vorletzten und letzten Pass. Auch der erfahrene Verteidiger Gotoku Sakai ist angetan vom neuen Mitspieler. Er sei "am Ball ganz stark und habe ein gutes Auge". Talente, die genügten, um jetzt als "Man oft he Match" geehrt zu werden.

Auch die anderen Jungen zeigten im Pokal, dass sie sich unter Wolf weiterentwickelt haben. Zum Beispiel Jatta, der an Gegenspieler Kevin Goden vorbeizog, als sei dieser ein unbewegliches Hindernis. Innenverteidiger Rick van Drongelen, 20, verlor keinen Zweikampf gegen Club-Sturmspitze Mikael Ishak. Und der zur Pause ins Team beorderte Vasile Janjicic, 20, hielt ebenso locker auf gehobenem Niveau mit wie Vagnoman. Nur Stürmer Jan-Fiete Arp konnte über 90 Minuten trotz aller Energie nicht nachweisen, dass er sogar mal ein Kandidat für den FC Bayern war. Aber auch er hat jetzt wie der gesamte Klub jene Vision, die der euphorisierte Japaner Sakai offen aussprach: "Unser Ziel ist Berlin."

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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