Hamburger SV:Vereinspolitik in Mallorca

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Beim HSV wird über den Einfluss von Investor Kühne diskutiert. Der Kaderumbau führt derweil zur Trennung von Heiko Westermann.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Die Gäste des Anwesens waren begeistert vom Blick auf den Hafen und die Bucht von Port d'Andratx im Südwesten Mallorcas. Auch vom Hotel "Castell Son Claret" im wenige Kilometer entfernten Capdella - mit Sternekoch und eigener Bäckerei - waren die Besucher angetan. Eigentümer in beiden Fällen: einer der reichsten Männer Deutschlands, der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne, 78.

Der zitiert in einem Prospekt für die Kühne-Stiftung gern die Großen der Weltgeschichte. Etwa den griechischen Philosophen Sokrates: "Das wahre Glück ist Gutes tun." Tatsächlich hat der Stifter schon der Technischen Universität Hamburg mit 30 Millionen Euro eine "School of Logistics and Management" gebaut. Dem Millionen-Grab Elbphilharmonie hat der gebürtige Hamburger stattliche Summen zugeschossen, ebenso anderen Kunst-, Medizin- und Sozialprojekten. Doch wie viel Gutes hat er dem sportlich und finanziell lädierten Hamburger SV getan, der seit Uwe Seelers Zeiten seine Leidenschaft ist?

Es sieht zumindest so aus, als würde derzeit in Kühnes Herrenhäusern auf Mallorca ein wichtiger Teil der großen HSV-Politik gemacht. Gerade erst ist Trainer Bruno Labbadia mit Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer auf die Insel gekommen, um sich vorzustellen. Einige Monate zuvor war auch der Trainer-Kandidat Thomas Tuchel dort, um Kühne sein Konzept für einen erneuerten HSV zu präsentieren - und zwar, wie nun der frühere Aufsichtsratschef Ernst-Otto Rieckhoff kritisch anmerkte, mit einem vom Klub bezahlten Privatjet. Auch Rafael van der Vaart und Felix Magath waren dort, doch davon später.

Der Fußball-Laie Klaus-Michael Kühne versucht, den seit Jahren auf Abstiegskurs irrlichternden HSV wieder in die Spur zu bringen. Seit Jahresbeginn hält er als Investor für 18,75 Millionen Euro 7,5 Prozent an der HSV Fußball AG, damit rettete er den Klub vor extremen Einschnitten. Bis 2019 hat er zudem der zuletzt jahrelang nach Sponsoren benannten Hamburger Arena den ruhmbeträufelten Namen "Volksparkstadion" zurückgegeben, weil er für jedes Jahr vier Millionen Euro bezahlt.

Außerdem hat Kühne seit 2010 dem HSV mehrmals Kapital zugesteckt, als der Klub keine Banken-Kredite mehr bekam. Dafür erwarb Kühne Rechte an Spielern. Dennoch wird über den meinungsstarken Gesellschafter diskutiert - nicht erst, seit Rieckhoff, einst der Motor bei der Umwandlung der Profiabteilung in eine AG, bei der Mitgliederversammlung am 13. Juni kritisierte, Kühne habe zu viel Macht und der Verkauf der AG-Anteile sei "nur für Herrn Kühne ein guter Deal" gewesen. Die Fans sehen Kühne weniger kritisch. Bei einer Morgenpost-Umfrage, ob Kühne zu viel Einfluss beim HSV habe, antworteten 62 Prozent mit "nein".

Sich selbst hat Kühne als "informationshungrig und abgabewütig" bezeichnet. Man könnte auch sagen: Er mischt gerne mit und möchte mitbestimmen. Und das nicht nur in seiner eigenen Firma. Wie viel Herrschaft hat sich Kühne also beim HSV gekauft? Ist er eher ein Mäzen oder doch in erster Linie ein guter Geschäftsmann - oder ist er eine Mischung aus beidem, wofür manches spricht? Glaubt man dem Klubchef Beiersdorfer, so mischt sich Kühne nicht ein ins operative Geschäft. Zudem sei bei der jüngsten Visite auf Mallorca nicht über weitere Geldströme aus Kühnes Vermögen gesprochen worden, obwohl die HSV-Kasse weiterhin leer ist. Fakt ist aber: Immer wieder versucht der Milliardär, seine Sichtweise im Klub durchzusetzen, und er ist dabei durchaus vorangekommen.

Seit einem Jahr ist Karl Gernandt, sein wichtigster Mitarbeiter in der Firma Kühne & Nagel, auch Aufsichtsratschef der HSV AG. Laut Rieckhoff habe Gernandt die Zahlen so "uminterpretiert", dass Kühne seine Anteile günstig erwarb. Die Rückkehr des Spielers van der Vaart, einst Kühnes Liebling, drückte Kühne 2012 gegen die damalige sportliche Leitung durch. Die Entscheidung fiel, wie Kühne erzählte, nachts in seinem Haus auf Mallorca ("zwischen 3.30 und 4 Uhr"). Mit einem Kredit von acht Millionen Euro überredete er den Vorstand, der HSV zahlte 13,5 Millionen für den später nie überzeugenden van der Vaart. Und als es weiter abwärts ging, machte Kühne in Felix Magath einen neuen Heilsbringer aus. Auch Magath durfte 2013 nach Mallorca fliegen und sollte die komplette Macht beim HSV erhalten. Kühne schickte ihm eine öffentliche Mail: "Lieber Herr Magath, geben Sie sich einen Ruck! Ich stehe 100-prozentig hinter Ihnen und hoffe, dass Aufsichtsrat und Vorstand geschlossen handeln - sonst sind diese Leute Manager des kollektiven Untergangs." Die von Kühne oft gerügten Funktionäre wollten aber nicht mit dem Alleinherrscher Magath arbeiten - Kühne stieß an Grenzen.

Erstaunlich ist, wie milde der Gesellschafter Kühne mit der neuen Führung um Beiersdorfer und Sportdirektor Peter Knäbel umgeht. Die kann nach ihrem ersten Jahr so zufrieden sein wie ein Schüler, der nur mit großem Wohlwollen versetzt wurde. Trotz einer Investition von 35 Millionen Euro in neue Spieler wurde wieder nur hauchdünn der Abstieg verhindert. Jetzt verschenkt der HSV sogar Profis wie Beister und Sobiech und hofft auf eine hohe Ablöse für das von Leverkusen begehrte Talent Jonathan Tah, um Spielraum für Einkäufe zu schaffen. Zudem trennt sich der Klub nach fünf Jahren von Heiko Westermann, 31. Der Abwehrroutinier erhält ebenso keinen neuen Vertrag mehr wie van der Vaart, Jansen und Rajkovic; auch der Verbleib von Beiersdorfer-Einkauf Valon Behrami ist fraglich. Und Kühne? Der setzt darauf, dass Bruno Labbadia endlich der richtige HSV-Trainer ist.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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