Hamburger SV:Trost an einem finsteren Abend

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Nur späte Tore auf anderen Plätzen verhindern, dass der HSV auf einen Relegationsplatz zurückfällt. Nach dem 1:2 gegen Darmstadt plagen die Hanseaten auch Personalsorgen und der Unmut der Anhänger.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Im Endspurt des Abstiegskampfes werden in vielen Arenen die Ergebnisse der Konkurrenz nicht gemeldet. Man will dann, wie man immer so schön sagt, "nur auf sich selber schauen". Legt man diesen Maßstab an, dann hat der Abstiegskampf in Hamburg anscheinend noch nicht begonnen: Alle Tore von den anderen prekären Schauplätzen wurden ordnungsgemäß angezeigt - präsentiert von einer Lebensmittelmarktkette. Für die Zuschauer waren das sogar kleine Trostpflaster bei der sich anbahnenden 1:2-Niederlage des HSV gegen den auswärts bis dahin punktlosen Tabellenletzten Darmstadt 98. So kam noch während des Spiels die Nachricht vom Ausgleich des FC Bayern gegen Mainz 05, ebenso war zu erfahren, dass die Frankfurter Eintracht ein 0:1 gegen den FC Augsburg in 13 Minuten noch in einen 3:1-Sieg verwandelt hatte; und alle bekamen mit, dass Max Kruse in Ingolstadt mit drei Treffern aus dem 2:1 für den FCI noch ein 4:2 für Werder Bremen gemacht hatte.

Schon kurz nach dem Anpfiff vernebelten die Fans mit Pyros und Böllern den Rasen

Abgesehen davon, dass sich HSV-Freunde sonst nie über einen Sieg des Nordrivalen Werder freuen: Wegen dieser sieben späten Tore auf den anderen Plätzen blieben die Hamburger vor der nächsten Abstiegspartie in Augsburg noch von Relegationsplatz 16 verschont und sind dem Tabellensiebzehnten Ingolstadt weiter fünf Punkte voraus. Doch der düstere Scherz ihres Idols Uwe Seeler, den bei ihm vergangene Woche eingesetzten Herzschrittmacher brauche er vor allem wegen der Aufregung um seinen HSV, den könnte man auch auf die Mannschaft übertragen: Auch sie braucht womöglich einen Pulsgeber für die kommenden vier Wochen.

Jenes Machtgefühl, das sich im Volksparkstadion mit der eindrucksvollen Reihe von neun Heimspielen ohne Niederlage aufgebaut hatte, bröckelt jedenfalls. Und zwar offenbar deshalb, weil der "Kopf nicht mitspielte", wie Trainer Markus Gisdol feststellte. Es wurde ja, so Gisdol, ein "Muss-Sieg" gegen das Schlusslicht erwartet, aber man sei dann "ein bisschen gelähmt" gewesen. Gegen ein Spitzenteam wie Hoffenheim, das man kürzlich daheim 2:1 schlug, sei es als Außenseiter leichter, locker zu spielen, fügte er noch an.

Mittelfeldspieler Aaron Hunt glaubte für alle Kollegen zu sprechen, als er sagte: "Keiner hat die Darmstädter unterschätzt. Dafür ist unsere Situation viel zu prekär." Und Sportchef Jens Todt zog folgendes Fazit: "Es ging heute um viel, und wir sind nicht gut damit umgegangen."

Es war unübersehbar, dass kaum einer im HSV-Dress an das herankam, was man Normalform nennt. Es fehlte an Energie und Einfällen, obwohl, so Mittelfeldspieler Lewis Holtby, "genügend Räume da waren". Die Kritik galt auch für jene Profis, die man eigentlich als Stützpfeiler vorgesehen hatte. Etwa für den umworbenen Stürmer Bobby Wood, der am Saisonende über eine Ausstiegsklausel verfügt. Man hatte zuweilen das Gefühl, er beschäftige sich zu viel mit anderen Angeboten als mit der aktuellen Lage. Und auch die in der Winterpause verpflichteten Innenverteidiger Kyriakos Papadopoulos und Mergim Mavraj waren diesmal nicht die Anker, die dem HSV in den vergangenen Monaten schon so oft Halt gegeben hatten.

Je länger es 0:0 stehe, das ahnte Darmstadts Kapitän Aytac Sulu schon auf dem Platz, "desto zittriger würden die Hamburger werden". So kam es, und die Folge waren zwei Gästetore. Erst kam Sulu in der 51. Minute nach einem Eckball von Mario Vrancic völlig unbehelligt an den Ball und beförderte ihn über die Linie. Und nur zwei Minuten später spielte Mavraj einen verheerenden Fehlpass vor dem eigenen Strafraum, Vrancic passte zu Jerôme Gondorf, der wiederum brachte Felix Platte ins Spiel. Und der vollendete zum 0:2.

Nur der zum zweiten Male eingewechselten Bakery Jatta gefiel mit ein paar mutigen Aktionen, ansonsten war es ein rundum finsterer Nachmittag für den HSV. In der ersten Halbzeit blieb die Pfeife des Schiedsrichters Sascha Stegemann in elfmeterverdächtigen Situationen gleich zweimal stumm. Erst stoppte Wilson Kamavuaka den Hamburger Gideon Jung, dann stoppte Patrick Banggaard den Hamburger Mavraj, beide Darmstädter zerrten im Strafraum unsanft an den Hamburger Trikots. Unangenehm auch, dass den Hanseaten in Augsburg womöglich drei Profis fehlen werden: Filip Kostic fehlt mit Sicherheit (er ist nach der fünften gelben Karte gesperrt), Abwehrspieler Dennis Diekmeier und Torwart Christian Mathenia fehlen vielleicht. Die beiden prallten zusammen, Diekmeier musste vom Feld, Mathenia spielte mit Schmerzen am Knie und unter Schmerzmitteln weiter. Und zu allem Überfluss brachten dann auch noch die eigenen Fans das Team aus dem Rhythmus.

Schon kurz nach dem Anpfiff vernebelten sie mit Pyros und Böllern den Rasen derart, dass Stegemann die Partie für drei Minuten unterbrechen musste. "Da haben die Fans wohl etwas falsch verstanden", sagte Kapitän Gotoku Sakai, der die Anhänger in einem Offenen Brief zuvor aufgefordert hatte, alles für die Stimmung zu tun. Dennoch gab Keeper Mathenia tapfer an, sich auf das Spiel in Augsburg zu freuen. "Das ist Abstiegskampf pur", sagte er. Da kennt er sich aus: Mathenia spielte vergangene Saison in Darmstadt.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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