Hamburger SV:Torloser Gipfel

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Bei den Hanseaten herrscht nach dem 0:0 weniger Grund zur Freude als bei Zweitliga-Tabellenführer Bielefeld, der die nächste Hürde zum Aufstieg meistert.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Jonas Boldt hatte ursprünglich eine andere Idee, als er am 24. Mai 2019 als neuer Sportvorstand des Hamburger SV vorgestellt wurde. Er wollte schon vor seinem "einjährigen" Dienstjubiläum mit dem HSV die Rückkehr in die Bundesliga geschafft haben. Doch alles kam anders: 77 Tage musste sein neuer Klub warten, bis er wegen der Corona-Pandemie am Sonntag erstmals wieder in der eigenen Arena spielen durfte. Zudem war Tabellenführer Arminia Bielefeld dem HSV vor dem Gipfeltreffen (ebenso wie dem anderen Überraschungs-Zweitligisten VfB Stuttgart) bereits sieben Punkte enteilt. Und als das Spitzenspiel gegen die Bielefelder endlich im leeren Volksparkstadion angepfiffen wurde, gab es keinen Anlass, um das kleine Boldt-Jubiläum zu feiern.

Einerseits war deshalb keine Feierlaune angesagt, weil noch lange nicht feststeht, ob die Hamburger demnächst wieder in der aus ihrer Sicht angemessenen Liga gegen Bayern München oder Borussia Dortmund antreten dürfen. Zum anderen war vor dem Spiel der schwere Unfall des HSV-Idols Uwe Seeler das große Thema in der Hansestadt. Der 83-jährige Ehrenspielführer der Nationalmannschaft und des HSV war in seinem Haus so heftig gestürzt, dass er sich die Hüfte und drei Rippen brach.

Gedenkminute für Corona-Opfer: Die Spieler des HSV und aus Bielefeld vor dem torlosen Topspiel. (Foto: Christian Charisius/Pool via Get)

HSV-Trainer Dieter Hecking richtete rührende Worte an Seeler: "Uwe, bleib aufrecht, du schaffst das. Wir sind in Gedanken bei dir." Und er nahm sein Team gleich mit ins Boot: "Im Idealfall gewinnen wir am Sonntag, damit die Genesung schnell vonstatten geht." Dieser kleine wie einfache psychologische Trick entwickelte allerdings nur halbe Wirkung: Vor den Augen des Fernseh-Heimzuschauers Seeler gab es lediglich ein 0:0, das den Bielefeldern deutlich besser schmeckte als dem HSV.

Während die Ostwestfalen ihren Sieben-Punkte-Vorsprung hielten und der ersten Liga immer näher kommen, gewann der Tabellenzweite HSV immerhin einen Zähler gegenüber dem zuvor punktgleichen Dritten VfB Stuttgart, der auch sein zweites Spiel nach der Pause verlor (2:3 bei Holstein Kiel). Am Donnerstag muss der HSV zum Abschluss der Topspiel-Reihe in Stuttgart antreten. Hecking freut sich auf diese Auseinandersetzung, denn er war am Sonntag nur mit dem Ergebnis unzufrieden, nicht aber mit der Leistung seiner Profis.

„Lieber Uwe, bleib aufrecht, du schaffst das!“: Trainer Dieter Hecking schickt Genesungswünsche an die HSV-Ikone Uwe Seeler. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Hecking sah auf dem Rasen, den Boldt trotz der wirtschaftlichen Misere neu hatte verlegen lassen, eine "klar bessere Mannschaft" des HSV. Man habe leider "sechs, sieben hochkarätige Chancen" nicht genutzt. Dennoch habe man über 90 Minuten gesehen, dass vor den anstehenden Englischen Wochen "die Fitness kommt". Das belegte auch die Statistik: Der HSV absolvierte 50 Sprints mehr als Bielefeld.

Schon in der Anfangsphase hatten die Hanseaten drei Chancen. Die größte vergab Joan Pohjanpalo, als er, nachdem Verteidiger Fabian Kunze auf dem neuen Geläuf ausgerutscht war, so ungenau zielte, dass Arminia-Keeper Ortega noch zur Ecke klären konnte. Nach 20 Minuten folgte ein Mittelfeldgeplänkel, bei dem beide Teams fast nicht mehr in den Strafraum des Gegners kamen. Nach der Pause war dann die Frage, ob die defensiv eingestellten Bielefelder vom HSV noch mehr zurückgedrängt wurden oder ob ihre zum Teil zur Sechserkette geformte tiefe Abwehr Absicht war. Die Defensive der Arminia - wegen der fünften gelben Karte von Cedric Brunner erstmals seit 19 Spielen mit einer veränderten Abwehr-Viererreihe - konnte trotz des überragenden Schweden Joakim Nilsson nicht alles verhindern - zum Beispiel eine Flanke von Martin Harnik, die Außenverteidiger Tim Leibold in der 67. Minute per Kopf an den Pfosten setzte. Die Bielefelder überstanden allerdings auch das. Und sie hätten, obwohl sie das Tor der Hamburger so selten bedrängten, als sei dies verboten, beinahe das Ergebnis auf den Kopf gestellt. Als Torjäger Fabian Klos nach 78 Minuten aus der Drehung schoss, konnte Torwart Heuer Fernandez nur mit Mühe abwehren. In der Schlussphase strahlte die Arminia dann die Selbstsicherheit eines Teams aus, das in dieser Saison erst einmal auswärts verloren hat - ausgerechnet in Hamburg beim FC St.

Pauli (0:3). Dass die Bielefelder vorne noch eingeholt werden, ist unwahrscheinlich. Und wenn einer dem Arminia-Coach Uwe Neuhaus, der sein 300. Zweitliga-Spiel als Trainer begleitete, den Aufstieg wünscht, dann ist es der HSV-Kollege Hecking. Der ist allerdings auch überzeugt, dass sein eigenes Team den Aufstiegskampf siegreich gestalten kann: "Jetzt", sagt der frühere Gladbacher Trainer, "musst du da sein." Das hat er in seiner Laufbahn schon so oft erfolgreich erlebt, dass er daran keinen Zweifel hat.

© SZ vom 25.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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